Männer!
von Marc DegensAUGENRAUSCHEN – WEISSES FLACKERN
Drei Männer stapfen durch den Schnee. In den Armen tragen sie schwere Bücherkisten.
ROBERTO BOLAÑO
(seufzend)
Die Heimat des wahren Schriftstellers ist seine Bibliothek, die aus Regalen oder aus seinem Gedächtnis besteht.
Die drei stellen ihre Kisten nacheinander ab.
GEORG CHRISTOPH LICHTENBERG
(zieht ein Taschentuch aus der Tasche seines Gehrocks und wischt sich damit den Schweiß von der Stirn)
Bücher werden aus Büchern geschrieben. Unsere Dichter werden meistenteils Dichter durch Dichter-Lesen.
Koeppen hebt seine Kiste wieder hoch und geht voran.
WOLFGANG KOEPPEN
(trotzig)
Ein Mensch ohne Bücher ist blind.
Bolaño und Lichtenberg nehmen ebenfalls wieder ihre Kisten und folgen Koeppen. Alle drei verschwinden aus dem Bild. Zurück bleibt das weiße Flackern. Es wird vom Bildschirm eines Fernsehers ausgestrahlt, der sich im Inneren eines Imbisswagens befindet. Vor dem Wagen steht van der Heijden. Er betrachtet das weiße Flackern auf dem Bildschirm, dreht sich um und spießt die letzten Pommes auf.
ADRIANUS FRANCISCUS THEODORUS VAN DER HEIJDEN
(kauend)
Meine Belesenheit ist gering, zumal wenn ich sie mit der von Schriftstellerkollegen vergleiche. Allerdings muss ich immer über die Wälzer lachen, mit denen sie in der Regel ankommen. Wälzer, deren Umfang in keiner Relation zu den durchsichtigen, hauchdünnen Büchern stehen, die sie selbst produzieren. Und dann fallen Worte wie Einfluss.
Er steckt die letzten Pommes in den Mund und wirft die Schale mitsamt der Gabel in den Mülleimer.
DERWEIL IN NEW YORK CITY
Straßenlärm, Autohupen, Polizeisirenen. Chabon und Tabori stehen mit Umhängetaschen von Strandbooks am Straßenrand und versuchen, ein Taxi anzuhalten. Mehrere Fahrzeuge fahren an ihnen vorbei.
GEORGE TABORI
Was ich immer erzählen muss, immer sagen muss. Dass ich keine Heimat habe, dass ich ein Fremder bin, und das meine ich nicht pathetisch, sondern als gute Sache. Weil ein Schriftsteller, nach meinem Geschmack, muss ein Fremder sein.
Ein Taxi bleibt vor ihnen stehen. Chabon öffnet die hintere Tür und lässt Tabori zuerst einsteigen, der einen Platz durchrückt.
MICHAEL CHABON
(erleichtert)
Natürlich ist die Lebensform eines Autors nicht entscheidend für die Art seines Werkes, und doch kann man fragen, ob nicht die reale Mobilität eine geistige miterzeugt.
Er steigt ebenfalls in das Auto und schließt die Tür. Das Yellow Cab verschwindet in der Straßenschlucht.
FRANKFURTER BUCHMESSE – HALLE 4.1.
Am Suhrkamp-Stand. Bernhard, Goetz und Handke sitzen vor ihren überdimensionierten, provisorisch angebrachten Autorenporträts an den Stellwänden. Leere Gänge.
PETER HANDKE
(stolz)
Eigentlich seit ich angefangen habe zu denken, wollte ich immer Literatur machen. Oder besser: nicht Literatur machen, sondern als Schriftsteller leben.
RAINALD GOETZ
(begeistert in die Hände klatschend)
Ich glaube, dass jeder normale Mensch gerne so ein Leben führen würde wie ich. Einfach weil man als freier Schreiber total machen kann, was man will.
JOACHIM LOTTMANN
(im Vorbeihuschen gehetzt in die Kamera sprechend)
Denn schreiben heißt lesen, recherchieren, an die Wand starren, telefonieren, Farbfilme aus den fünfziger Jahren sehen oder noch unentdeckte italienische Neorealisten, ins Kaffeehaus gehen, Leute beobachten und auf jeden Fall ganz, ganz viel nachdenken.
THOMAS BERNHARD
(die Beine übereinander schlagend)
Am liebsten würde ich ja, wenn ich nicht schreiben müsste, dauernd herumfahren und überhaupt nichts tun.
PAUL NIZON