Heft 902, Juli 2024

Partikular /Universal

James Baldwins Verhältnis zu Malcolm X und Martin Luther King von René Aguigah

No Name in the Street

1968/69 verbrachte James Baldwin mehrere Monate in Hollywood – beziehungsweise in einem Umkreis von zwei, drei Autostunden, der Beverly Hills ebenso umfasste wie das damals Schwarze Viertel Watts in Los Angeles, den Strand am pazifischen Ozean und die mondäne Wüstenstadt Palm Springs. Dem Aufsteiger aus Harlem, obwohl ihm Glamour längst nicht mehr fremd war, zu schweigen vom Leben in Hotels, wurde das Beverly Hills Hotel, wo er untergebracht war, zur gespenstischen Umgebung. »Die Leute in der Bar, in der Lounge, in den Fluren, auf den Spaziergängen, in den Swimmingpools, in den Geschäften schienen ebenso entwurzelt wie ich, schienen unwirklich.« Die gesellschaftliche Spaltung in Schwarz und Weiß, in hyperreich und vernachlässigt arm, die er doch auf der Insel Manhattan in allen Details kannte, wirkte in den urbanen Weiten von Los Angeles noch einmal neu auf ihn: »Die Autofahrt von Beverly Hills nach Watts und zurück ist eine lange und beschwerliche Fahrt – ich hatte manchmal das Gefühl, als würde mein Körper über diese Meilen gestreckt […] Diese beiden Welten würden einander niemals treffen, und diese Tatsache war ein Vorbote des Unheils für meine Landsleute und für mich.«

Ausgerechnet in diesem Hollywood widmete er sich der Lebensgeschichte jenes ehemaligen Gangsters, der es zum Wortführer der Schwarzen in den Ghettos des Landes gebracht hatte: Die Autobiography of Malcolm X, in Malcolms Todesjahr 1965 erschienen, sollte auf die Leinwand gebracht werden, und Columbia Pictures gewann Baldwin dafür als Autor. Ein Projekt, das ihm übrigens, als er am Rande einer Fundraising-Veranstaltung davon erzählte, einen argwöhnischen Blick von Martin Luther King einhandelte, sei es wegen dessen distanziertem Verhältnis zu Malcolm X, sei es aus Misstrauen Hollywood gegenüber.

Baldwin reizte der Auftrag nicht zuletzt deshalb, weil er auf einen Einstieg in die Kinobranche spekulierte. Seit seinem ersten Roman hatte er auf Verfilmungen seiner Bücher gehofft. Doch nicht nur die sozialen Akklimatisierungsschwierigkeiten in Los Angeles machten ihm zu schaffen, auch in der Zusammenarbeit mit Columbia klemmte es von Anfang an. »Der Konflikt bestand einfach zwischen meinem Leben als Schriftsteller und meinem Leben als – nicht eben als Sprachrohr, aber als öffentlicher Zeuge für die Situation der Schwarzen«, schreibt Baldwin – was hier konkret bedeutet: Er reiste immer wieder für Auftritte bei Bürgerrechtsveranstaltungen zurück an die Ostküste und saß weniger an der Schreibmaschine in seinem Westküsten-Hotel, als es der Exklusivvertrag mit Columbia vorsah.

Schwerer noch wogen die filmindustriellen Eingriffe in seine Entwürfe. Baldwin wurde darüber unterrichtet, dass Malcolm X’ »Tragödie« darin bestanden haben soll, dass ihn früh einige Weiße schlecht behandelt und später viele Schwarze verraten hätten. Sein Produzent stellte ihm einen »›technischen‹ Experten« als Ko-Autor zur Seite. So schildert es Baldwin in The Devil Finds Work (1976), seinem Buchessay über das US-amerikanische Kino. Im Frühling 1969 stieg er aus dem Vertrag aus. Sein Malcolm X-Drehbuch veröffentlichte er unter dem Titel One Day When I Was Lost (1972).

In den Erinnerungen von No Name in the Street erscheint Malcolm X als leidenschaftlicher und aufrechter Kämpfer für die Sache der Entrechteten, die sich von ihm gesehen und repräsentiert fühlen; als Wortführer, der die Leute, für die er spricht, tatsächlich liebt; als mitreißender Redner natürlich, als vehementer Debattierer und auch als Gesprächspartner mit Humor – »er war einer der sanftesten Menschen, die ich je getroffen habe«. So gesehen, ähnelt dieser Malcolm auffällig jenem Martin, den Baldwin zehn Jahre zuvor in einem Essay fürs Harper’s Magazine gezeichnet hatte.

Zu den Begegnungen, von denen No Name in the Street erzählt, gehört eine Diskussionssendung, an der neben Baldwin und Malcolm X unter anderem der konservative Schwarze Publizist George S. Schuyler teilnahm. Einzelne Inhalte spart Baldwin in den Erinnerungen aus, wohl aber beschreibt er den Frontverlauf von Sympathie und Antipathie, die Nähen und Distanzen im Grundsätzlichen. Es habe nicht lang gedauert, bis Malcolm und er eine gemeinsame Achse gegen die anderen gebildet hätten, so Baldwin, als »die alten Straßenratten und die Erben von Baptistenpredigern«. Er habe zur Diskussion kaum anderes beitragen können, als einige von Malcolms Punkten auszuführen, zu modifizieren oder zu unterstreichen, »aber es war mir unmöglich, ihm zu widersprechen«.

James Baldwin konnte nicht ahnen, dass sein Publikum des 21. Jahrhunderts nicht mehr auf beschwerliche Reisen in Rundfunkarchive angewiesen ist, um zumindest einen Teil seiner Beiträge in Funk und Fernsehen nachzuhören. Jene einstündige Diskussion mit Baldwin, Malcolm X und Schuyler von 1961, die auf den handelsüblichen Plattformen im Netz zu finden ist, lohnt, wie alle Medienauftritte Baldwins, nicht weniger als die Lektüre seiner Bücher. In Baldwins erstem Redebeitrag fällt der Satz: »Das ist der Streit, den ich mit Mr. X habe.« Was folgt, ist Kritik am Separatismus der Black Muslims.

Was Malcolm X und die Nation of Islam wollten, ähnele der ohnehin existierenden Segregation in Mississippi oder Georgia, der möglichst sauberen Trennung von Schwarzen und Weißen, mit dem einzigen Unterschied, dass die Weißen in den Südstaaten zusätzlich daran festhielten, dass die Schwarzen weiter für sie arbeiteten. Er, Baldwin, lehne eine solche Trennung nicht nur ab, sondern: »I don’t, in the first place, believe in races!« Die Lage sei völlig anders als etwa jene der Kongolesen in ihrem Kampf gegen die Kolonialmacht Belgien, denn die Schwarzen in den USA, »ob es die Weißen oder Schwarzen einräumen mögen oder nicht, bekämpfen ihre eigenen Brüder und Vorfahren«. Baldwin argumentiert am Mikrofon auf der gleichen Linie, die in The Fire Next Time (1963) nachzulesen ist: Er teilt die Diagnose über Geschichte und Gegenwart der desaströsen Lage der Schwarzen, wie sie die Black Muslims stellen; und er weist deren Traum von der Entmischung in eigene Volkswirtschaften oder Staaten zurück.

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