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Die Türsteher Europas in Afrika von Thomas MeaneyDie Türsteher Europas in Afrika
Die Sahara ist einer der wenigen Orte auf der Erde, deren Eroberung bislang schon daran scheiterte, dass niemand leichtsinnig genug war, es überhaupt zu versuchen. Es hat jedoch im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Bestrebungen gegeben, sie zu regieren. In Ghat, einer der letzten libyschen Städte im Fessan, bevor die Wüste die Oberhand gewinnt, stößt man auf die Überreste der Bemühungen, dem Land eine Ordnung aufzuzwingen: Beduinenpfade aus dem Mittelalter; eine von den Osmanen begonnene und von italienischen Faschisten fertiggestellte Festung, die auf die ausgehöhlten Ruinen einer Medina blickt. Die Händler, Milizen, Verkäufer und Touristenführer hier vertreten die verschiedensten Ansichten über das wiedererwachte Interesse Europas an ihrer Region. Einige sehen darin das Versprechen auf bessere Lebensverhältnisse: Sie hoffen auf ihren Anteil an der enormen Geldsumme, die die EU jetzt nach Nordafrika pumpt, oder zumindest darauf, die Verluste auszugleichen, die sich infolge der Zerstörung von Gaddafis Distributionsnetzwerken durch die Nato ergaben. (Als Gaddafis Sohn 2017 aus dem Gefängnis entlassen wurde, feierten das die Bürger von Ghat auf den Straßen mit Gewehrsalven.) Für andere sind die neuen elektrischen Zäune, die biometrischen Scan-Stationen, die militärischen Außenposten und eine wachsende Zahl europäischer Soldaten Zeichen dafür, dass die empfindlichen Kreisläufe von Beziehungen und Handel gestört werden. In einem behelfsmäßigen Café in einer Tankstelle am Rand von Ghat traf ich einen Tuareg, der mit einer örtlichen Miliz in Verbindung steht. »Sie werden müde, sie wollen einfach nur noch weg«, sagte er über die europäischen Streitkräfte, als sei ihre Ankunft eher ein Ärgernis als ein Paradigmenwechsel.
Seit dem Beginn der libyschen und syrischen Bürgerkriege im Jahr 2011 hat die europäische Politik gegenüber Nordafrika einen höheren Gang eingelegt. In Agadez, einer alten Handelsstadt im Herzen von Niger, stehen Hunderte beschlagnahmter weißer Pickup-Trucks auf einem Militärstützpunkt. Sie gehörten Männern, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten, ihre westafrikanischen Landsleute über Niger und durch die Sahara nach Libyen zu transportieren, die nun aber, wenn sie nicht gerade im Gefängnis sitzen, als Unternehmer einer weitgehend nicht existenten Start-up-Szene durchzugehen versuchen. An der Grenze zwischen Niger und Mali, mehr als zweihundert Meilen weiter westlich, wurden mit EU- und UN-Mitteln provisorische Dörfer für diejenigen gebaut, die vor der unsicheren Situation in Mali fliehen, die wiederum eine Folge der Nato-Intervention in Libyen ist. Frauen und Männer stehen Schlange für das maschinelle Abspeichern ihrer Fingerabdrücke, damit der Staat den Überblick behält – das Scannen ist erforderlich, wenn man eine Unterkunft angeboten bekommen will. In Niamey, der Hauptstadt Nigers, werden Asylanträge durch französische Experten und Spezialisten der UN geprüft, mehrere tausend Meilen von der französischen Küste entfernt, wobei nur diejenigen, deren Anträge am Plausibelsten wirken, weiterreisen dürfen. Es ist die Art der Offshore-Bearbeitung, für die britische Grenztruppen wohl nur Neid übrighaben.