Heft 848, Januar 2020

Rückkehr zum Rechtsglauben

Ein Versuch über die Voraussetzungen des Rechts von Andreas Engelmann

Ein Versuch über die Voraussetzungen des Rechts

Was passiert eigentlich, wenn niemand mehr glaubt? Wenn wir aufhören, uns den Versprechungen und Verheißungen hinzugeben, den Oberflächen und Narrativen, den Trugbildern und Fetischen? Eines ist klar: Wo nur noch »bare Münze« in Zahlung genommen wird, da herrscht Wirtschaftskrise. »In der Krise tritt die Forderung ein, dass sämtliche Wechsel, Wertpapiere, Waren auf einmal gleichzeitig in Bankgeld konvertibel sein sollen und dies sämtliche Bankgeld wieder in Gold«, schreibt Marx im dritten Band des Kapitals. Die allgemeine Konvertibilität verschiedener Waren-, Geld- und Kapitalarten, so lässt sich das Krisenphänomen entschlüsseln, ist die Voraussetzung für den Handel, es ist das, was ihn ermöglicht und »am Laufen« hält; sobald sie aber »ganz real« eingefordert wird, stellt sich ein Problem: Weil wirtschaftliches Funktionieren darauf beruht, dass Gegenstände zirkulieren und nie alles zugleich an jedem Ort sein kann, führt die Forderung, die Prämisse des Handels – allgemeine Konvertibilität – unter Präsenzbeweis zu stellen, zur Krise. Wollen alle ihr Geld am Bankautomaten ziehen, merken sie schnell, dass es nicht da ist. Um Handel treiben zu können, müssen die Bestandteile des Handels gegeneinander konvertibel sein, und der ständige Vollzug von Handelsbeziehungen beweist, dass sie es auf eine gewisse Weise auch sind. Wird der Beweis aber nicht mehr nur generell oder »in der Zukunft« verlangt, sondern jetzt und auf der Stelle eingefordert, misslingt er. Dieses Einfordern »jetzt und auf der Stelle« ist das, was ich Präsenz- oder Realbeweis nenne. Wo den Versicherungen und Vertröstungen auf zukünftige Leistung der Schleier heruntergerissen wird, finden wir keinen Goldschatz, sondern einen Kommunikations- und Transaktionsstopp. Es fehlt das, was die Welt »am Laufen« hält. Glaubensentzug heißt Kreditentzug, und Kreditentzug heißt Transaktionsstopp.

Verstehen wir die Krise als Kreditentzug und den Kreditentzug als Glaubensentzug, dann stellt sich die Frage, ob wir das überhaupt können: Können wir aufhören zu glauben? Was passiert, wenn Menschen anfangen, nach der Wirklichkeit hinter der Oberfläche zu suchen, hat Slavoj Žižek in den späten 1980er Jahren aus psychoanalytischer Perspektive beschrieben.1 Sein Schluss war, dass überhaupt nichts passiert, weil die Suche nach einem Grund unter der Oberfläche das Phantasma unberührt lässt, das die Erscheinungen strukturiert. Die Suche nach dem »Grund« bewirkt keinen Kreditentzug, weil sie auf der falschen Ebene ansetzt. Zwar käme es zur Krise, wenn viele Menschen ihr Geld aus dem Bankautomaten zögen, aber allein das Wissen darüber produziert noch nicht die Krise. Es fehlt der praktische Kreditentzug am Automaten. Das zynische Bewusstsein entzieht den Kredit nur scheinbar, solange wir mit unseren Handlungen für unseren Glauben einstehen. Sicher wissen wir, dass Papiergeld aus einer Druckerei kommt, in der Scheine bunt bedruckt werden. Jeder weiß, dass der Materialwert des Papiers keinem realen Wert entspricht, und es ist allgemein bekannt, dass Geldscheine ihren Wert durch Inflation verlieren können.

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