Heft 853, Juni 2020

Seuchen am See

I Promessi Sposi von Barbara Vinken

I Promessi Sposi

Wir waren in einem kleinen Bergdorf, das wie ein Adlernest hoch über dem Comer See liegt, als Corona bei uns zu Hause ankam. Ein Freund aus Mailand, der als Architekt auch unser Haus gebaut hatte, erzählte beim Abendessen erschrocken von den ersten zwei Todesfällen in seiner Stadt. Mailand liegt im Süden, nicht weit in der Ebene, aber auch nicht zu nah; selbst bei gutem Wetter sieht man nicht so weit. Es war ein verschleiert sonniger Vorfrühlingstag, der 22. Februar.

Am nächsten Tag fuhren wir zurück nach München, am Rosenmontag flog ich zur Preisrede von Thomas Meinecke nach Berlin, die Berliner waren wie immer in ihrem Wir-sind-Berlin-Rausch. Corona war dort nicht angekommen, am nächsten Morgen ging es weiter nach Bern. Zu diesem Zeitpunkt wurden in der Schweiz die Rückkehrer aus China ins Home Office geschickt, die Lombardei war noch keine knallrote Sperrzone. Ich fuhr nicht wie geplant an den See zurück, sondern flog nach München.

Mittlerweile waren nicht nur der Carnevale in Venedig und die Fashion Week in Mailand, sondern auch alle öffentlichen Veranstaltungen wie Tagungen der Villa Vigoni abgesagt, Mailänder Dom und Scala geschlossen. Kreuzfahrtschiffe lagen mit der Seuche an Bord vor der Küste. Venedig, zur Sperrzone erklärt, war ausgestorben. Die Todesfälle schossen in die Höhe, zum Opfer fielen der Seuche vor allem die Großeltern, in Italien Kern des Familienlebens und nicht abgeschoben in die Einsamkeit und vermeintliche Sicherheit eines Heims.