Heft 887, April 2023

Silos systematisch aufbrechen

Gespräch über Friedrich Kittler von Guido Graf

Gespräch über Friedrich Kittler

»Unter technologischen Bedingungen verschwindet die Literatur […] im Untod ihres endlosen Verendens.« So steht es, fast am Ende, geschrieben in Friedrich Kittlers Aufsatz Draculas Vermächtnis von 1982. Zusammen mit anderen Texten aus dieser Zeit findet er sich im ersten erschienenen Band der Werkausgabe Kittlers.1 Mit den technologischen Bedingungen der Digitalität setzt sich die Ausgabe auseinander und modelliert neue Standards, wie mit Archiv und Gedächtnis umgegangen werden kann. Daher lohnt es sich, gemeinsam darüber nachzudenken, wie das endlose Verenden der Literatur und des Schreibens über Literatur und andere Medien gestaltet werden können. Am 26. September 2022 habe ich das in einem Gespräch versucht. Teilgenommen haben Moritz Hiller, Medienwissenschaftler an der Bauhaus-Universität Weimar und Mitherausgeber der Werke Kittlers; Susanne Holl, die Kittler noch während seiner Lehrtätigkeit in Bochum kennenlernte und 1995 heiratete; Kathrin Kur von der Data Futures GmbH, einem Nonprofit-Unternehmen aus Leipzig, das die technische Infrastruktur für die Edition entwickelt; Tom Lamberty, dem Verleger von Merve, wo die Kittler-Ausgabe erscheint; Martin Stingelin, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Dortmund und ebenfalls Mitherausgeber der Werkausgabe.

Graf: Ich habe davon gehört, dass eine Werkausgabe von Friedrich Kittler in Arbeit ist. Als ich die Ankündigung von Merve gesehen habe, dass der erste Band erscheint, war ich erst mal verwirrt über den Titel I.B.4 und habe dann, als ich das Buch in den Händen hielt, bei einem Text gedacht, in dem es um das Schreien auf Bühnen, Platten und Papieren geht: Den hätte ich damals kennen müssen, als ich mit Friedrich Kittler in einem Café in Berlin-Tempelhof gesprochen habe. Im Erdgeschoss des Hauses, in dem er damals wohnte, haben wir in einem Lokal zusammengesessen, im Hintergrund lief Karnevalsmusik, und wir sprachen für ein Hörstück, an dem ich gearbeitet habe, über das Schreien.

Holl: Es ging um Literaturgeräusche, nicht wahr? Ich wollte ohnehin fragen, ob dieses Interview tatsächlich zustande kam und ob es gesendet wurde. Damit hängt nämlich auch eine erste Antwort auf eine noch nicht einmal gestellte Frage zusammen, warum das eigentlich so lange dauert. Wir müssen sehr, sehr viel aus dem Nachlass aufarbeiten. Dazu gehören viele Korrespondenzen, aus denen wir dann erst erfahren, dass es so ein Interview von Guido Graf mit Friedrich Kittler gegeben hat.

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen

Weitere Artikel des Autors