Soziale Farbe (I)
Mocha Mousse, die Unordnung der Farbe und die Ordnung des Sozialen von Timon BeyesMocha Mousse, die Unordnung der Farbe und die Ordnung des Sozialen
I
2025 steht im Zeichen eines cremigen Brauns. Die Farbe des Jahres, gekürt vom Pantone Color Institute Ende 2024, heißt »Mocha Mousse« beziehungsweise als Farbkarte 17-1230 TCX (für Textilien), 17-1230 TPG (für Pigmente und Beschichtungen) und 17-1230 PMS (für das Grafikdesign). 17-1230 ist eine von etwas mehr als 2000 vom Unternehmen Pantone vermarkteten Sonderfarben. Wie die Kaffee- und Schaumreferenz nahelegt, handelt es sich um ein warmes Braun, je nach Oberfläche, Lichteinfall, Umgebungsfarben und wahrnehmendem Augenpaar mit mehr oder minder ausgeprägt rötlichem Unterton oder an ein dunkles Beige gemahnend. Die Welt des globalen Konsums ist im laufenden Jahr damit bräunlich grundiert. Denn es ist davon auszugehen, dass Hunderttausende von Unternehmen – oder gemäß Eigendarstellung Pantones mehr als 10 Millionen Designerinnen und Produzenten – Mocha Mousse (sowie die mit diesem Ton vorgeschlagenen Farbharmonien zwischen beige, rosa und dunkelbraun) einen großen Stellenwert im Design unzähliger Konsumgüter einräumen werden.
Sicherlich ist die Kür der Farbe des Jahres eine öffentlichkeitswirksame Marketing-Aktion, die dem Unternehmen Pantone weithin und jährlich wiederkehrend zu Sichtbarkeit verhilft. Wie auf Kommando reagierten nicht nur Mode- und Stilkanäle, sondern auch etablierte Presseorgane auf die Verkündung (gerade online lassen sich die kaffeefarbenen Mode-, Einrichtungs- und Naturaufnahmen zu einem visuell eindrücklichen Traum in braun arrangieren).1 Zudem wird über Lizenzvereinbarungen mit ausgewählten Konsumgüterproduzenten dafür gesorgt, dass das cremige Braun an unterschiedlichen Ecken und Enden aufscheint, etwa in Form von Kosmetikartikeln, Klebezetteln, Kaschmirpullovern, Sesseln, Smartphones, Teesorten und Tapeten.
»Braun wie der Zeitgeist«, titelte die FAZ mit Blick auf Mocha Mousse sarkastisch und vermisste beim globalen Hegemon der Farbindustrie angesichts der aktuellen Entwicklungen ein Bewusstsein politischer Farbenlehre.2 Aber warum sollten nationaldeutsche Befindlichkeiten für die in New Jersey ansässigen Farbvorhersager eine Rolle spielen? Es geht um ein globales Geschäft mit Farbe und darum, was diese vermeintlich ausrichten kann. Pantones Kerngeschäft ist die Ordnung der Farbe durch die Objektivierung, Standardisierung, Indizierung sowie Privatisierung von Farbtönen. Diese werden in Form von Farbkarten und Farbfächerpaletten oder per digitalem Lizenzmodell für Designerinnen und Hersteller in unterschiedlichsten Branchen veräußert.3 Dafür präsentieren Pantone und sein Forschungsinstitut Farbtöne als universell wirksame Kräfte in Form von kollektiven Befindlichkeiten, Stimmungen und ihrer Modulierung. Auf diese Weise inszeniert sich das Farbinstitut des Unternehmens als Trendsetter der kulturprägenden Kraft des Chromatischen.
Das ist durchaus unheimlich. So lässt sich Pantones Einfluss nicht auf die Marktführerschaft in der Farbindustrie – und ihren Bereichen der Herstellung oder Programmierung von Farbmitteln und -tafeln sowie dem colour sampling, colour forecasting und colour consulting – reduzieren. In den Worten des Anthropologen Michael Taussig ist Farbe nicht nur Ware, sondern »die Ware der Ware« (»the commodity’s commodity«), die den Verkaufsobjekten einen ästhetischen Mehrwert verleiht, auf dem die moderne Konsumgesellschaft fußt.4 Wie ein Ungetüm beherrsche das Unternehmen den Globus, so Bruce Falconer in einer Recherche für das New York Times Magazine, und übe enormen Einfluss auf das visuelle Erscheinungsbild der Weltwirtschaft aus. Pantone-Farbbücher bildeten die Lingua franca der sichtbaren Farbwelt. Und für den Erfolg dieser atmosphärischen Verkehrssprache der Globalökonomie werden die ästhetischen (Vor)Urteile des Unternehmens, plausibel gemacht durch Trendforschung, zu sich selbst erfüllenden und sich selbst erhaltenden Farbprophezeiungen für die Welt des Geschmacks und des Konsums.5 Mit Pantone stellt sich die Frage nach sozialen Farbwirkungen, nach Handlungskraft und Macht der Farbe.
II
Mit Blick auf Mocha Mousse liest man nun, dass dieser sanfte Braunton und seine tröstliche Wärme nicht nur das Verlangen nach Komfort und Harmonie bediene (als verkaufsfördernde Annahme gegenwärtig wohl naheliegend), sondern auch den Genuss einfacher und mit anderen geteilter Freuden vergrößere. In früheren Jahren gab es beispielsweise Viva Magenta (18-1750), ein rosafarbenes Rot, das für 2023 Schwung und Elan, Mut und Furchtlosigkeit versprach, oder die blau-lila schimmernde Very Peri (17-3938), die eine muntere, fröhliche Haltung sowie mutige Kreativität für 2022 vermitteln sollte, während das dunkle Lila Ultra Violet (18-3838) als Farbton der Gegenkultur und Unangepasstheit im Jahr 2018 zu Originalität, Einfallsreichtum und visionärem Denken verhelfen sollte.
Unter Bezug auf Goethes Farbenlehre, bis heute Referenzwerk für beinahe alle, die im westlichen Kontext über Farbwirkungen nachdenken, heißt es in The Complete Color Harmony, einem der Bücher von Pantone über Pantone, dass Farbtöne eine Persönlichkeit annähmen, die Botschaften und Bedeutungen in die Welt hinaustragen könnte. Die Beschreibung dieser Farbtonpersönlichkeiten ist voller Widersprüche und nicht ohne Komik. In den Worten von Leatrice Eiseman, Executive Director des Pantone Color Institute sowie International Color Guru: »Wenn Sie blaugrün mögen […], sind Sie höher entwickelt und ein bisschen komplex. Sie sind ordentlich (bis hin zur Umständlichkeit) und gepflegt. Sie sind sensibel, aber auch kultiviert, selbstbewusst und streben nach Stabilität.« Und wenn Sie blaugrüne Farbtöne nicht mögen: »So unordentlich Sie auch sein mögen, eine kleine Stimme in Ihnen (war es Ihre Mutter, Ihr Vater oder Ihre Mitbewohnerin?) sagt Ihnen immer wieder, dass Sie Ihr Zimmer aufräumen sollen.«6
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