Heft 916, September 2025

Soziale Farbe (III)

Blau machen von Timon Beyes

Blau machen

»Doch was für eine Art von Liebe ist das eigentlich? Mach dir nichts vor und nenne sie erhaben. Gestehe dir ein, dass du in einem Museum vor einem kleinem Puderhäufchen lapisblauen Pigments in einem Glas gestanden und ein stechendes Verlangen empfunden hast. Aber was tun? Es befreien? Kaufen? Sich einverleiben? […] Vielleicht möchtest du zum Beispiel die Hand ausstrecken und den aufgehäuften Pigmentstaub aufwühlen, damit erst deine Finger und dann die ganze Welt beflecken. Vielleicht möchtest Du ihn verdünnen und darin schwimmen, vielleicht willst du deine Nippel damit schminken, vielleicht willst du damit das Kleid einer Jungfrau malen. Und trotzdem hättest du keinen Zugang zu seinem Blau. Nicht ganz.«

Maggie Nelson, Bluets

I

Im Frühjahr 2025 hängen im Foyer des Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) achtzehn Stoffbahnen in unterschiedlichen Blautönen von der Decke. Musafiri: Von Reisenden und Gästen lautet der Titel der Ausstellung und Mood Indigo der des handgenähten und handgefärbten Werks des in Mali ansässigen und dort sowie in Frankreich aufgewachsenen Künstlers und Designers Aboubakar Fofana. Die Bahnen changieren in unterschiedlichen Blaustufen von beinahe gräulichen bis zu dunkelgesättigten, erhaben wirkenden Indigo-Tönen. An dünnen Fäden herabhängend werden sie von den leichtesten Luftzügen erfasst und wirken beweglich, wankelmütig und fragil. Mit Einfall und Verschwinden des Sonnenlichts verändert sich das Spiel der Blautöne, werden sie heller und teils durchsichtig, dann wieder dunkler und schwerer. Indigo als Farbe in Bewegung also, zwischen unterschiedlichen Schattierungen, Beziehungen und Orten changierend, eine Flüchtende oder Flüchtige unter den Farben, wie es ein Historiker einmal zu den Aufständen gegen die koloniale Farbindustrie in Indien schrieb.

Flüchtig, reisend und wunderschön: So war Indigo die wohl bedeutendste Sehnsuchtsfarbe des Kolonialhandels und global werdender Konsumverhältnisse, gewonnen in unterschiedlichen Produktions- und Ausbeutungsverhältnissen in Afrika, Südamerika und vor allem Indien. Auch daran erinnert die Stimmung, die Mood Indigo im Foyer des HKW. Es ist leicht, sich einige der Stoffbahnen als Vorhänge, Decken, Schals und Kleider für ein gehobenes Segment vorzustellen, für das Aboubakar Fofana ebenfalls produziert. Er betreibt eine genossenschaftliche Farm in Mali, auf der nach alten Rezepten das Handwerk beziehungsweise eine als kosmologische, spirituelle Praxis verstandene Form der Indigo-Gewinnung und des Indigo-Färbens wiederentdeckt wurde und bewahrt wird.

Das Spiel von Bewegung und Anmut, Sehnsucht und Verlangen macht abseits der anderen, zum Schicksal von Reisenden und Gästen zumeist expliziteren Ausstellungstücke eher vergessen, dass es Fofana mit der Rückkehr zu vorkolonialer Produktionsweise auch um Farbgewinnung als düsteres Kapitel kolonialer Geschichte geht: um die Verstrickung der Farbe in Ausbeutung und Sklavenhandel sowie um die Heilung von den Wunden dieser Geschichte qua Rückbesinnung auf vergessene westafrikanische Produktionsweisen (deren Dokumentation wiederum in einer Bibliothek in der ehemaligen Kolonialhauptstadt Paris zu finden war und von dort nach Mali reimportiert wurde).

Indigo, das »Koks des Empire«, sei eine ebenso prächtige und magnetisch anziehende wie heimtückische und böswillige Farbe, schreibt die Kunsthistorikerin Natasha Eaton in ihrer Studie zur Geschichte der Farbe zwischen dem kolonisierten Indien und der Kolonialherrschaft Großbritanniens. Auf der documenta 14 im Jahr 2017 nannte Fofana ein ähnliches, in Kassel produziertes und ausgestelltes – und mir als eindrücklicher in Erinnerung gebliebenes – Werk Fundi (Aufstand). Er stellte die Stoffbahnen damit in den direkten Bezug zu den blue mutinies, den blauen Aufständen, die die Geschichte der kolonialen Indigo-Produktion begleiteten.

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