Heft 919, Dezember 2025

Soziale Farbe (IV)

Haut von Timon Beyes

Haut

I

Seit 2012 sammelt und dokumentiert das Humanæ-Projekt der brasilianischen, in Spanien ansässigen Fotografin Angélica Dass Hautfarben. 4500 Personen aus über 20 Ländern haben sich bisher gemeldet, um ihr Porträt – Kopf, Hals und Schultern – vor einem neutralen Hintergrund aufnehmen zu lassen. Die Fotografin entnimmt jedem Foto ein digitales Farbsample der Nase, das mit der standardisierten Farbpalette Pantones (mit seinen über 2000 Einzeltönen das dominante Unternehmen des globalisierten, kommerziellen Farbhandels) abgeglichen wird. Mittels dieses industriellen Farbschemas wird jeder Person ein Pantone-Farbton zugeordnet. Zudem wird der Bildhintergrund in der Nasen- beziehungsweise Pantone-Farbe eingefärbt, und jedes Porträt erhält als Bildunterschrift die entsprechende Pantone-Nummerierung.

Die visuelle Strenge der Aufnahmen erinnert an die freudlose Kopf- und Mundhaltung biometrischer Passbilder, angesichts der deutlich sichtbaren Nummerierung mag man auch an US-amerikanische Gefängnisfotos von Neuinhaftierten denken, an erkennungsdienstliche Behandlung in Form von üblicherweise auch mit einer Personennummer versehenen mugshots. Interessant sind die feinen Unterschiede: So wirkt eine ältere Dame, »Pantone 97-7 C«, eher skeptisch, vielleicht in Vorahnung des zartrosa Tons von Nase und Hintergrund; ein junger Mann, »Pantone 62-5 C«, schaut, wie einige andere, freundlich-optimistisch; ein Kind, »Pantone 71-6 C«, schmuggelt ein anarchisch wirkendes Grinsen in die standardisierte Sammlung.

Zusammengestellt in unterschiedlichen Anordnungen von Köpfen und Farben, die jeweils wie auf Farbkarten in gleichformatigen Kästchen neben- und untereinander aufgereiht werden (und damit auch an Fahndungsplakate erinnern können), produziert das Projekt mosaikartige Darstellungen der chromatischen Vielfalt menschlicher Haut in unterschiedlichen Größenordnungen. The colours we share: Insbesondere die größer gerahmten Poster oder Wandbilder mit ihren Zusammenstellungen einer Vielzahl von Porträts sind Sammelsurien wimmelnder Farbtöne, die scheinbar mühelos und willkürlich über das Spektrum dem menschlichen Auge zugänglicher Farben gleiten.

Oder die Farben, die uns teilen? Der farblich mit der Nasenspitze korrespondierende Hintergrund sowie die numerische Bezeichnung jeder abgelichteten Person gemäß Pantone-Kürzel scheinen zu suggerieren, dass die Vielfalt an Farbtönen in Kombination mit ihrer Kodifizierung in nun digitalen Datenbanken ein herausragendes Mittel der Identifizierung und Klassifizierung menschlicher Körper darstellt. Handelt es sich um eine Parodie oder Satire humanwissenschaftlicher Klassifizierung? Eine Untersuchung der Rolle der Farbe in diesen Zusammenhängen? Eine Strategie künstlerischer Überidentifikation, mit der die Kategorisierung und Hierarchisierung menschlicher Gruppen qua hautfarbenbasierter Raster ad absurdum geführt werden soll? Das Projekt ist langfristig angelegt und hat ein offenes Ende, denn, wie der britische Soziologe Paul Gilroy in seiner Kritik der epidermalen, hautfarbenbezogenen Verständnisse von »Rasse« fragt, wer könne schon wissen, wie viele Hautfarben es gebe. Um Parodie und Satire geht es indes wohl nicht. Eher präsentiert die Fotografin ihr Projekt affirmativ – in Interviews, in millionenfach abgerufenen TED Talks sowie unterschiedlichen, mittels über den Globus verteilter Ausstellungen und prominent über Bildungsprojekte an Schulen – als zivilgesellschaftliche und edukative Intervention, mit der körperliche Vielfalt und menschliche Schönheit jeglicher Couleur gefeiert und gegen Vorurteile und rassistische Kategorisierungen vorgegangen werden soll. Dass es um das Humanæ-Projekt in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden zu sein scheint, ist vor dem Hintergrund einer zu beobachtenden Renaissance unsäglicher »Rassenwissenschaft« und der politisch-affektiven Ausschlachtung eines vermeintlichen anti-white feeling nicht nur in den Vereinigten Staaten keine gute Nachricht.

Der brasilianische Hintergrund der Künstlerin mag eine Rolle spielen: Sie führt die Genese des Projekts auf die unterschiedlichen Hauttöne in ihrer Familie zurück und auf die Verknüpfung dieser Farben mit gesellschaftlichen Zuschreibungen, mit Farbe als Kraft sozialer Organisation und Stratifikation also, mit der sie jenseits des Familienkontexts konfrontiert worden sei. So existiert in Brasilien ein breitgefächertes Vokabular zur Benennung unterschiedlicher Hautfarben, und Forscherinnen und Kommentatoren sind uneins, ob Begriff und Konzept der »Rasse« und die damit verbundenen Hierarchien schlicht keine Rolle spielen oder ob der Alltag nuancierter Farbunterscheidungen einem komplexeren Schema rassifizierter Kategorien und ihrer Diskriminierungsverhältnisse gleicht. Zumindest ist der brasilianische Kontext eine Mahnung, angloamerikanisch geprägte Verständnisse von race, colour line und eine rigide Teilung in schwarz und weiß nicht unterhinterfragt auf andere Kontexte zu übertragen, wo völlig andere Historien der Vermengung von Hautfarben, Klassifizierung und sozialer Schichtung in Betracht zu ziehen sind. So haben die Soziologen Pierre Bourdieu und Loïc Wacquant bereits vor einem Vierteljahrhundert (auch mit Blick auf den brasilianischen Kontext) davor gewarnt, partikulare nordamerikanische Annahmen und Erkenntnisse zu race und ähnlichen Begriffen zu universalisieren und auf andere Regionen anzuwenden, und diese Praxis provokant als kulturellen Imperialismus bezeichnet.

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