Suizidhilfe – Aufstieg und Fall des Strafrechtsparagraphen 217
von Wolfgang Putz, Michael de RidderDas Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020, welches das Suizidhilfeverbot des § 217 Strafgesetzbuch für nichtig erklärte, hat die alte, von 1871 bis 2015 geltende Rechtslage wiederhergestellt. Das Urteil stellt also im rechtlichen Sinne keineswegs, wie vielfach behauptet, eine »Liberalisierung« der Suizidhilfe dar, sondern die Rücknahme einer verfassungswidrigen Einschränkung von Grundrechten.
Bis 2015 war das Thema »Suizidhilfe« in breiten Kreisen der Bevölkerung, aber auch bei den Berufen, die Menschen am Lebensende beraten und versorgen, kaum ein Thema. Lediglich Humanisten, Agnostiker und andere »Außenseiter« griffen es auf. Es blieb ein gutgehütetes Geheimnis, dass Suizidhilfe für Freiverantwortliche – in aller Regel Schwerstkranke – auch in Deutschland zwar legales Handeln war, doch war es selten, endete unerkannt oder wurde totgeschwiegen. Ärzten und Rechtsanwälten blieb jedoch nicht verborgen: Es findet sich notfalls schon ein seelenverwandter Helfer, und häufig eben auch ein Arzt, der dann zusätzlich zur Suizidhilfe zur Bewahrung aller Beteiligten vor unliebsamen Nachforschungen auch noch eine »natürliche Todesursache« bescheinigt. Letzteres wiederum kann auch als Straftat verfolgt werden.
Freiverantwortlichkeit und Vulnerabilität
Die Sterbehilfeorganisationen waren es, die das Thema aus dem gesellschaftlichen Abseits in den Fokus der Öffentlichkeit brachten. Entstanden waren sie, weil die Ärzteschaft sterbewilligen Schwerstkranken Suizidhilfe verweigerte. Raffiniert und oftmals polemisch wurde suggeriert, die kranken, verzweifelten, deprimierten – nicht selten auch sehr alten – Menschen, denen man Hilfe zum Leben und nicht Hilfe zum Sterben schulde, seien diesen Organisationen wegen ihrer besonderen Verletzlichkeit (im juristischen Fachjargon »Vulnerabilität«) schutzlos ausgeliefert. Was aber in Wirklichkeit am meisten störte, war, dass die Sterbehelfer für ihre Dienste auch noch Geld nahmen. Obgleich sie schon aus strafrechtlichem Eigenschutz die Freiverantwortlichkeit der Suizidwilligen nach Kräften prüften und dies vor jeder Unterstützung dokumentierten, empörte sich die Öffentlichkeit.
Dass im Gegenteil genau jener vulnerable Personenkreis schon immer und auch in Zukunft durch das scharfe Schwert des Strafrechts geschützt ist, war unbekannt oder wurde tunlichst nicht angesprochen. Denn eine Suizidhilfe für nicht freiverantwortliche Suizidwillige ist eine Tötung in mittelbarer Täterschaft. § 212 STGB droht für diesen Tatbestand weit höhere Strafen an, als es § 217 STGB in seinem kurzen Dasein getan hat.
Das war übrigens rechtlich handlungsleitend für die neben den Verfassern ebenfalls als Klägerin gegen § 217 STGB auftretende Organisation »Sterbehilfe Deutschland«, wo die Rechtslage im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit bestens bekannt war. 2019 bekam der Bundesgerichtshof mit dem Verfahren gegen die Ärzte Dr. Spittler und Dr. Turowski endlich die Gelegenheit, diese Rechtslage mit Freisprüchen höchstrichterlich festzustellen. Beide Ärzte hatten vor Inkrafttreten des § 217 STGB nachweislich freiverantwortlichen Menschen Suizidhilfe geleistet und sich danach selbst angezeigt.