Verschwörungsdenken und Gewalttoleranz
von Georg VobrubaI.
Schon am Tag nach den Verhaftungen der trüben Truppe, die eine politische Ordnung à la 1871 wiederherstellen wollte, stand die Verteidigungslinie in den einschlägigen Verschwörungsjournalen: Das alles sei ja nur eine von den Medien aufgebauschte Spinnerei einiger Greise; hinter der Razzia stehe die Absicht, kurzfristig von anderen Themen abzulenken und längerfristig für schärfere Gesetze gegen »Andersdenkende« Stimmung zu machen. Erst eine Gruppe, die unter dem Verdacht steht, eine gewaltbereite kriminelle Vereinigung zu sein, als einige absonderliche Greise verniedlichen, dann den Spieß umdrehen und über eine Verschwörung des Staates hinter der Verschwörung gegen den Staat raunen: Eindrucksvoll wird die Wahlverwandtschaft zwischen gewaltbereiten Reichsbürgern und Verschwörungspublizistik bezeugt. Es könnte aber mehr als bloße Wahlverwandtschaft sein. Die Frage ist, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen Verschwörungsdenken und Gewalt gibt.
II.
Die Anziehungskraft des Verschwörungsweltbilds besteht darin, angesichts komplexer Verhältnisse einfache Orientierungen zu bieten. Diese Leistungsfähigkeit beruht auf der Vorstellung einer übermächtigen Handlungsinstanz an der Spitze. Der Rückgriff auf sie erklärt alles. Früher mussten als ihre Personifikation vor allem die Juden oder die Freimaurer herhalten – bizarrstes Beispiel der Weltgeschichte: Die Protokolle der Weisen von Zion.
Gegenwärtig sind Bill Gates, das World Economic Forum, die WHO, die Ostküste der Vereinigten Staaten oder schlicht die Superreichen, Supermächtigen en vogue. Das Verschwörungsweltbild wird von einer Logik beherrscht, die dazu zwingt, eine solche supermächtige Spitze zu konstruieren. Diese Logik ist im Grunde einfach. Sie erklärt jedes Phänomen damit, dass hinter ihm eine Absicht steht, die es bewirkt hat. Intention = Effekt. Im Verschwörungsdenken gibt es keinen Zufall und keine anonymen, komplexen Prozesse. Alles hat einen zentralen Verursacher, alles einen Schuldigen.
Daraus ergibt sich die charakteristische Zirkularität des Verschwörungsdenkens. Verschwörungsgläubige schließen von der mächtigen Handlungsinstanz, die immer schon feststeht und der sie alles zutrauen, auf die konkrete Welt. Die leidenschaftslose Beobachtung dagegen erkennt die Tautologie: Um alle Phänomene erklären zu können, wird der Instanz erst umfassende Macht zugeschrieben; und steht sie als supermächtig fest, lassen sich dann alle Phänomene damit erklären. Dazu kommt, dass sich die Frage nach Ursachen in erster Linie bei unliebsamen, unverständlichen Phänomenen stellt. Also müssen die Supermächtigen böse sein. Tatsächlich stoßen Verschwörungsgläubige bei ihrer Suche nach der Ursache allen Übels auf dieser Welt immer wieder auf »das Böse«. Das Böse ist nicht weiter begründungsbedürftig.
Das Manichäische im Verschwörungsweltbild ergibt sich daraus ganz von selbst. Alles was sie, die Supermächtigen, tun und planen, richtet sich gegen »uns«. Was sich ereignet, ist von ihnen inszeniert und dient ihren Interessen. Die Verursacher sind die Schuldigen, sind die Nutznießer. Darum sind Verschwörungsgläubige davon überzeugt, dass sich die Wirklichkeit mit der Cui-bono-Frage aufschlüsseln lässt. Hat man den Nutznießer, hat man den Verursacher. Es ist ein Kampf des Bösen gegen das Gute; ein Kampf der »selbsternannten Elite« gegen »das Volk«; ein Kampf der wenigen Mächtigen gegen die große Mehrheit.
Der Newsletter der Kulturzeitschrift MERKUR erscheint einmal im Monat mit Informationen rund um das Heft, Gratis-Texten und Veranstaltungshinweisen.