Heft 886, März 2023

Verschwörungsdenken und Gewalttoleranz

von Georg Vobruba

I.

Schon am Tag nach den Verhaftungen der trüben Truppe, die eine politische Ordnung à la 1871 wiederherstellen wollte, stand die Verteidigungslinie in den einschlägigen Verschwörungsjournalen: Das alles sei ja nur eine von den Medien aufgebauschte Spinnerei einiger Greise; hinter der Razzia stehe die Absicht, kurzfristig von anderen Themen abzulenken und längerfristig für schärfere Gesetze gegen »Andersdenkende« Stimmung zu machen. Erst eine Gruppe, die unter dem Verdacht steht, eine gewaltbereite kriminelle Vereinigung zu sein, als einige absonderliche Greise verniedlichen, dann den Spieß umdrehen und über eine Verschwörung des Staates hinter der Verschwörung gegen den Staat raunen: Eindrucksvoll wird die Wahlverwandtschaft zwischen gewaltbereiten Reichsbürgern und Verschwörungspublizistik bezeugt. Es könnte aber mehr als bloße Wahlverwandtschaft sein. Die Frage ist, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen Verschwörungsdenken und Gewalt gibt.

II.

Die Anziehungskraft des Verschwörungsweltbilds besteht darin, angesichts komplexer Verhältnisse einfache Orientierungen zu bieten. Diese Leistungsfähigkeit beruht auf der Vorstellung einer übermächtigen Handlungsinstanz an der Spitze. Der Rückgriff auf sie erklärt alles. Früher mussten als ihre Personifikation vor allem die Juden oder die Freimaurer herhalten – bizarrstes Beispiel der Weltgeschichte: Die Protokolle der Weisen von Zion.1

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