Vom Pöbel zum Populismus
von Roman WidderWer ist das Volk? Die Münchner Satirezeitschrift Simplicissimus hat diese noch immer umstrittene Frage 1897 mit einer klugen Karikatur unter dem Titel Der – Die – Das beantwortet. »Das Volk« besteht darin ausschließlich aus den gebildeten Ständen, die zur Demonstration in Frack und Zylinder aufwarten. »Der Pöbel« hingegen wird als eine schmutzige, schreiende, mit Stöcken und Pistolen bewaffnete Personengruppe dargestellt. »Die Menge« schließlich vermittelt zwischen Volk und Pöbel nicht nur durch ihr grammatisches Geschlecht, sondern auch politisch. Sie ist das passive Pendant zum militanten Pöbel und bewundert die Parade der Armee. Es ist die soziale Seite des Volks-Begriffs, an welche die Karikatur damit indirekt appelliert: Dieses Volk in Frack und Zylindern, will sie sagen, ist nicht das eigentliche, zumindest nicht das ganze Volk. Wer das Volk sucht, findet es eher in den anderen Bildsegmenten: Es ist gespalten in eine Figur widerständiger Militanz (Pöbel) und die Neugierigen und Bewunderer (Menge). In allen drei Teilen spielt allerdings die Armee eine wichtige Rolle: Die von der Menge bewunderte Armee dient offenbar dazu, das Volk der Gebildeten und Gesättigten vor der militanten Entrüstung des Pöbels zu schützen.
Während die Geschichte des Volks, seiner demokratischen Norm und seiner nationalistischen Beschlagnahmung, vielfach geschrieben wurde, fristet in seinem Schatten der Pöbel bis heute eine weitgehend unerforschte Existenz. Dabei gehört die Beschimpfung des Pöbels, das heißt die Beschimpfung verschiedener Akteure des politischen Lebens als »Pöbel«, in der medialen Auseinandersetzung bis heute zum alltäglichen Kampf um Deutungsmacht. Wer ist nun aber der Pöbel, von dem ja noch immer gesprochen wird, historisch betrachtet? Woher kommt und woran rührt diese Rede? Wer hat historisch wen wann und warum als Pöbel bezeichnet? Und was lässt sich davon über die Gegenwart lernen?