Heft 847, Dezember 2019

Was wir vom Geld wissen, aber nicht glauben wollen

von Eske Bockelmann

Es gibt eine Erkenntnis über das Geld, die ist so schrecklich trivial, dass man sie gar nicht aussprechen mag. Und doch ist ihr genauso wenig zu widersprechen. Dass das Geld aktuell regiert, lässt sich nicht leugnen, und keinem Zweifel kann auch unterliegen, was es ist, das vom Geld regiert wird. Zugleich ist zur Trivialität geworden, wie es um eben die vom Geld regierte Welt mittlerweile steht. Schon Schulkinder können das heute herbeten, und manche sehen gar Anlass, es öffentlich zu tun, weil auch nach Jahrzehnten des Umweltbewusstseins und der Umweltministerien die Vergiftungen und die Zerstörungen der Welt nicht etwa nachgelassen haben, sondern nur immer weiter ausgreifen. Der vom Geld regierten Welt geht es schlecht und schlechter.

Nimmt man aber beides so trivial Offensichtliche zusammen, das Regieren des Gelds und den bedrohlichen Zustand unserer Welt, kann man nur staunen, dass die einfachste Schlussfolgerung daraus so gar nicht in aller Munde ist: Wenn die Welt vom Geld regiert wird und unter seinem Regiment in einen solchen Zustand geraten ist, dann ist dem Regiment des Gelds eben dieser Zustand auch anzulasten. Dann geht dieser Zustand alles in allem auf das Geld zurück. Diese Feststellung ist undifferenziert, ja, aber man könnte die Differenzierungen so weit treiben, wie man nur wollte, und würde nichts anderes feststellen.

Dabei ist nun eines höchst seltsam. An diesem so unschwer zu erreichenden Punkt, wo es um die Folgen der Geldregierung geht, will mit einem Mal niemand mehr etwas davon wissen, dass das Geld überhaupt regiert. Denn nichts anderes bedeutet es, wenn da vor Parlamenten demonstriert wird, um sie zu hinreichenden Maßnahmen etwa gegen den Klimawandel zu bewegen. Sollte das Sinn ergeben, müsste die Annahme gelten, die Parlamente stünden noch über dem Geld, von dem die Menschen zu ihrem klimaschädlichen Handeln gezwungen werden: Eine Staatsregierung könnte über das Geld und darüber, was es den Menschen abverlangt, frei gebieten.

Dabei dürften an dieser Stelle alle sehr leicht klarer sehen. Die Vereinigten Staaten etwa, der unangefochten mächtigste Staat der heutigen Welt, verweigern sich noch dem dürftigsten Klimaabkommen mit einer Begründung, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt: dass sich dergleichen nicht mit den Interessen ihrer »Wirtschaft« verträgt. Und bei einer Wirtschaft, die auf Geld basiert, sind diese Interessen, ob man nun will oder nicht, Geldinteressen.

Dabei gibt es keinen Anlass, auf Politiker zu schimpfen oder von ihnen enttäuscht zu sein, weil sie ihren Auftrag missachten oder verfehlen würden. Nein, sie erfüllen ihren Auftrag getreulich, und wieder weiß jeder, worin dieser Auftrag besteht: für das Staatswohl zu sorgen. Nur dass dieses Staatswohl bekanntlich von eben dem Bereich abhängt, um dessen Wohl und Wehe jeweils nicht nur ein speziell dafür eingerichtetes Ministerium, sondern stets der gesamte Staatsapparat besorgt sein muss: der Wirtschaft – einer über Geld laufenden Wirtschaft.

Eine solche Wirtschaft kennt kein Gleichgewicht und keinen Einstand, sondern ist notwendig auf das berühmt-berüchtigte »Wachstum« ausgerichtet, das nicht nachlassen oder gar abreißen darf und das sich, wie schon wieder jeder weiß, nicht eben mit zarter Rücksichtnahme auf das Gedeihen der Welt verträgt. Doch siehe, auch hier erweist sich, wie umstandslos die einfache Erkenntnis, dass das Geld regiert, dem gegenteiligen Glauben weicht. Denn es gibt eine Erklärung für den Wachstumszwang, die so recht jedem einleuchtet: Gier. Die Gier der Menschen nach immer mehr wäre es, so geht der Glaube, durch die die Wirtschaft sich gezwungen sähe, immer mehr zu produzieren und zu verkaufen und darüber nolens volens auch Gewinne zu machen. Nicht vom Geld also ginge der Zwang zu seiner Vermehrung aus, sondern von einem Wahn der Menschen. Würden die nur umdenken, würden sie das richtige Bewusstsein entwickeln, würden sie bescheidener werden, bräuchte es auch kein Wirtschafts- und Geldwachstum mehr.

Man erlebt zwar, dass schon ein Wirtschaftswachstum, das zu gering ausfällt, objektiv Krise bedeutet, und dass diese Krise Menschen wirklich statt wahnhaft in tiefere Nöte stürzt. Man weiß zwar, dass Geld wirklich seinen Wert verlieren und auch die gewaltigste Summe sich in nichts auflösen kann, wenn da nicht ständig mehr Geld nach- und herauskommt. Hochoffiziell wurde man unterrichtet, dass es Institutionen gibt, die »systemrelevant« sind und nicht aufgegeben werden dürfen, dass also ein ganzes System den Rückgang der Geschäfte nicht vertrüge und die Staaten zwingt, für seinen Erhalt alles zu tun: mit Unmengen zusätzlichen Geldes und mit Maßnahmen, die unter anderem die massenhafte Verschrottung von Autos belohnen, wenn dafür neue gekauft werden. Doch angesichts all dessen anzuerkennen, dass hier eine im Geld selbst gegründete Logik regiert, fällt offenbar zu schwer.

Anscheinend gibt es in Bezug auf Geld eine Reihe von Grundüberzeugungen, die offen einer klareren Erkenntnis widersprechen und denen daher niemand unterliegen muss, die sich aber unwillkürlich aufdrängen. Sie können aufsteigen bis zur bewusst vertretenen Lehrmeinung, in der Regel formulieren sie sich jedoch gar nicht explizit, sondern lassen sich nur erschließen: als unwillkürlich gemachte Voraussetzung. Insbesondere drei von ihnen bilden eine Art Abc der täuschenden Annahmen über das Geld.

Die erste gilt der Frage, wie Geld überhaupt entstanden sei, und ist logische Prämisse für jenen Glauben, die Menschen könnten frei über das Geld und seine Eigenschaften bestimmen: weil sie es nämlich erfunden hätten. Wie jede Erfindung habe also auch das Geld seinen guten Grund und seinen guten Sinn, und wenn es in irgendeiner Hinsicht nicht funktioniert wie gewünscht, müsse sich Geld wie jede Erfindung folglich nach Wunsch verbessern und adjustieren lassen. Erfunden aber hätten es die Menschen, so der gängigste Glaube, zur sinnigen Erleichterung eines allgemeinen Tauschhandels.

Die zweite Annahme rechtfertigt das Geld ebenso als ein hohes Gut: Das einzige Übel, das die Welt bedrohe, sei fehlendes Geld. Nur mit Geld nämlich lasse sich, so wie alles, auch die Wohlfahrt der Welt erreichen. Die Welt mit allem zu versorgen, was ihr und den Menschen not und gut tut, dazu sei das Geld geschaffen, und dazu sei das Geld vonnöten.

Und schließlich erklärt die dritte dieser Annahmen das Geld geradewegs für unverzichtbar: Jedes Ding habe seinen Wert, und diesen Wert darzustellen sei notwendige Leistung und Aufgabe des Geldes. Weil alles seinen Wert habe, brauche es das Geld, um alles nach seinem Wert und damit richtig zu behandeln.

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