Wertekataloge, Sprichwörter, Leerformeln
Zur Arbeit von Expertenkommissionen von Stefan KühlDie Zeit vor den Wahlen ist die Boom-Phase von Expertenkommissionen. Stiftungen, Akademien oder Regierungsbehörden stellen einen Kreis von Experten zusammen, um mit konkreten Handlungsvorschlägen Wahlkampfdiskussionen und Entscheidungen in den Koalitionsverhandlungen beeinflussen zu können. Normalerweise gehen die Ergebnisse der Expertenkommissionen im allgemeinen Strudel aktueller Nachrichten unter und werden höchstens in Fachkreisen zur Kenntnis genommen. Je prominenter die Experten, je bedeutender die Schirmherren, je einflussreicher die Initiatoren, desto größer sind die Chancen, im Stimmengewirr während und nach der Wahl gehört zu werden.
Kaum eine Expertengruppe ist dabei in den letzten Jahrzehnten so erfolgreich gewesen wie die Initiative des ehemaligen Verfassungsrichters Andreas Voßkuhle, des ehemaligen Verteidigungs- und Innenministers Thomas de Maizière, des ehemaligen Finanzministers Peer Steinbrück und der ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Gruner + Jahr Julia Jäkel. Von pauschalen Forderungen nach »guter Gesetzgebung« über die Einrichtung von »Experimentierklauseln« bis hin zur »Neuordnung der föderalen Beziehungen« – ein großer Teil der Ideen der Kommission ist in den aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU /CSU und SPD eingeflossen.
Der Staatsrechtler Florian Meinel vermutet hinter dem Papier der vier »Ehemaligen« einen neuen »Populismus der Eliten«. Hinter dem Begriff der »Staatsreform« verstecke sich in Wirklichkeit eine Mischung aus einem »konservativen Krisendiskurs«, der »alten konservativen Kritik des Wohlfahrtstaates« und der Idee eines letztlich europafeindlichen »ökonomischen Nationalismus«. Die Rechtswissenschaftlerin Angelika Nußberger geht Meinels Kritik viel zu weit. Sie sieht in der »Aufnahme von Millionen Geflüchteter«, der »erfolgreichen Bewältigung der Pandemie« und der »rasanten Umstellung auf eine Energieversorgung ohne russisches Gas« keinen Ausdruck der Handlungsfähigkeit des Staates, sondern betrachtet die Überlegungen der Kommission zu den »Gelingensbedingungen staatlichen Handelns« als einen zentralen Hebel, um den »Vertrauensverlust« der Bürger gegenüber dem Staat zu stoppen. Bei allem Dissens, was die ideologische Zielrichtung der Kommission angeht, überschätzen dabei beide Staatsrechtler die Rationalität solcher Kommissionsempfehlungen.
Die Kommission für einen handlungsfähigen Staat ist lediglich die letzte einer Vielzahl von Kommissionen, die versucht, über den Abbau von gesetzlichen Vorschriften die klarere Zuordnung von Kompetenzen und durch die Einführung digitalisierter Verwaltungsprozesse die Bürokratie zu reduzieren. In den letzten Jahrzehnten haben Regierungen, Stiftungen und Interessenorganisationen in immer kürzeren Zyklen Sachverständigenräte, Expertenkreise und Arbeitsgruppen zusammengestellt, um Maßnahmenpakete zum Bürokratieabbau vorzulegen. Nach der Vorlage des Forderungskatalogs gehen die Kommissionsmitglieder wieder auseinander, die Geschäftsstelle, die die Kommission unterstützt hat, wird aufgelöst, Unterlagen werden abgeheftet und in den Aktenkeller verfrachtet. Die Experten kehren in ihren wohlverdienten Ruhestand zurück oder konzentrieren sich wieder auf ihren Hauptberuf, bis sie in die nächste Entbürokratisierungskommission berufen werden.
Die von den Expertenkommissionen zum Bürokratieabbau produzierten Berichte ähneln in ihrer Machart dem üblichen Managementbestseller. Der Einstieg besteht immer in einer dramatischen Schilderung der Ausgangssituation. Ein Staat ist nicht »wirklich verteidigungsfähig«, die Infrastruktur ist »marode«, die Versorgung mit bezahlbarer »Energie« gefährdet, Bund und Länder sind »verhakt«, die »Digitalisierung« wird verschleppt. Es wird darauf verwiesen, dass es dringend einen »Aufbruch« brauche, um mit »beherzten Reformen« in möglichst vielen Bereichen die Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Angereichert werden die Berichte der Expertenkommission dann mit wohlklingenden Wertelisten, gegen die niemand irgendetwas haben kann.
Gesetzgebungsverfahren sollen »gründlicher«, »integrativer« und »transparenter«, Gesetze »innovationsoffener« gestaltet, die Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Kommunen soll »besser« gegeneinander abgegrenzt werden. Die Wertelisten werden anschließend konkreten Handlungsempfehlungen hinterlegt, die mit Verweisen auf die »best practice« einzelner Unternehmen, Verwaltungen und Universitäten plausibilisiert werden. Am Ende wird ein Fahrplan vorgestellt, wie die Vorschläge umgesetzt werden können.