Wettbewerbsorientierung und Flexibilisierung in der Wissenschaft
Eine gegenwartsgeschichtliche Perspektive von Ariane LeendertzEine gegenwartsgeschichtliche Perspektive
In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren haben sich die Rahmenbedingungen von Forschung und Wissenschaft in Deutschland tiefgreifend verändert. An den Universitäten und in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen setzten sich in diesem Zeitraum neue Leitbilder und Steuerungsinstrumente wie Strategiepapiere und Zukunftskonzepte, quantitative Indikatoren, Leistungsvergleiche und Evaluationen, Pakte, Selbstverpflichtungen und Zielvereinbarungen, strategisches Management, Qualitätssicherung und Monitoring sowie das Wissenschaftsbranding und Wissenschaftsmarketing durch. Im Fall der Universitäten schufen Wissenschaftsfunktionäre und politische Akteure aus Bund und Ländern mit dem Drittmittelwettbewerb, der seine deutlichste Ausprägung in der Exzellenzinitiative fand, eine neue Handlungsarena, die Strukturen und Handlungsorientierungen auf allen Ebenen erheblich beeinflusste. Ähnlich wie privatwirtschaftliche Unternehmen begannen sich Universitäten und Wissenschaftsorganisationen als strategisch denkende Wettbewerbsakteure zu verstehen.1
Im Hochschulbereich bildete die finanzielle Steuerung über Dritt- und Sondermittel offenbar den stärksten Hebel, Wettbewerbsorientierung zu perpetuieren. Ein typisches Bild bietet der Haushalt der Universität zu Köln: 2019 betrug der Anteil der temporär und kompetitiv vergebenen Dritt- und Sondermittel dort 40 Prozent.2 Doch auch die Arbeit der Max-Planck-Gesellschaft, für die Drittmittel eine nachgeordnete Rolle spielen, ist seit den neunziger Jahren dezidiert wettbewerbsorientiert ausgerichtet.
Zunehmender politischer Legitimationsdruck
Bereits in den achtziger Jahren hatte der politische Legitimationsdruck auf wissenschaftliche Einrichtungen und die staatliche Wissenschaftsförderung angesichts knapper öffentlicher Mittel zugenommen. Politische Akteure in Bund und Ländern wünschten sich von den Wissenschaftsorganisationen klare Aussagen über die Erfolgsaussichten, die erwarteten Ergebnisse und über die ökonomisch verwertbaren Anwendungsmöglichkeiten von Forschungen, um die öffentlichen Mittel möglichst effizient einsetzen und die Ausgaben politisch rechtfertigen zu können.
Breite politisch-öffentliche Debatten darüber entfalteten sich allerdings erst nach der Wiedervereinigung. Sie standen im Zeichen des überaus wirkmächtigen wirtschaftlichen Globalisierungsdiskurses, der von einem sich ständig verschärfenden Wettbewerb zwischen Nationen und Wirtschaftsräumen ausging und von der Sorge um die ökonomische Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik getragen war. Angesichts der zentralen Bedeutung, die in der neuen, »wissensbasierten Ökonomie« den jeweiligen nationalen »Innovationssystemen« zukam, war in der hochschulpolitischen Diskussion nun allenthalben von einer mangelhaften Wettbewerbsfähigkeit des »Wissenschaftsstandorts Deutschland« die Rede. Als Beleg dafür, dass auf diesem Feld dringender Reformbedarf bestehe, wurden unter anderem der geringe Anteil ausländischer Studierender sowie die Abwanderung deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Ausland, der sogenannte Brain Drain, angeführt.
Auch Wirtschaftsverbände schalteten sich in die Debatte ein. Im Namen einer »neuen Industriepolitik« forderten sie Umschichtungen zugunsten anwendungsorientierter technischer Disziplinen sowie mehr Mitsprache in der Forschungs- und Technologiepolitik. Ein zentraler Vorwurf lautete, die Grundlagenforschung sei mittlerweile durch »starke Marktferne« gekennzeichnet und ihre Ergebnisse seien für die Industrie »kaum noch brauchbar«.3 Diese Position machte sich auch das Bundesforschungsministerium zu eigen, das die leitenden Prinzipien der Forschungsförderung 1993 in Gestalt bald wohlbekannter Schlagworte umriss: Forschungsfelder dürften nicht wie »Erbhöfe« behandelt werden, die Wissenschaft solle sich stattdessen »agil, dynamisch und flexibel im Wettbewerb um Förderung engagieren«. Das Ministerium wolle die Voraussetzungen für »mehr Wettbewerb«, »mehr Beweglichkeit« und »mehr Eigeninitiative« schaffen; anstelle der Dauerförderung solle die »Belohnung von Erfolg« und die »Belohnung von Beweglichkeit und Ideen« treten.4 »Deutsche Spitzenleistungen in der Grundlagenforschung«, so forderte das CDU-geführte Ministerium, »sollten mehr als bisher zu einem technologischen Vorsprung führen, der in Wettbewerbsvorteile auf Märkten umzusetzen ist.«
Die Max-Planck-Gesellschaft reagierte Anfang der neunziger Jahre zunächst noch zurückhaltend auf dieses neue, an ökonomischer Effizienz, Flexibilität und marktförmiger Verwertbarkeit orientierte Leitbild. Ihr damaliger Präsident Hans Zacher warnte 1993 ausdrücklich vor der »Gefahr«, die der Grundlagenforschung in Gestalt von Forderungen nach Produktnähe und industriepolitisch definierten Forschungszielen erwachse. In allen großen Industrienationen in Europa und Amerika bestehe die Tendenz, Forschung einseitig auf industrielle Ziele hin zu konzentrieren und in »politisch-gesellschaftlich abgesprochene Programme« einzubinden. »Und überall heißt es, nur so könne der Wettbewerb mit Japan gewonnen werden.«5
Als der Verhaltensbiologe und Zoologe Hubert Markl 1996 Zachers Nachfolge antrat, veränderte sich der Ton deutlich. Markl stellte die Globalisierung, den sich stets verschärfenden Wettbewerb, die Alternativlosigkeit der Innovation und die Platzierung Deutschlands und der Max-Planck-Gesellschaft im weltweiten Vergleich ausdrücklich ins Zentrum seiner organisationspolitischen Entscheidungen und wissenschaftspolitischen Forderungen. Gesellschaft und Politik hätten sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen. Dies gelte auch für die wissenschaftliche Forschung, die im internationalen Wettbewerb um Innovation und Wirtschaftsleistung eine wichtige Rolle spiele. Auch die Max-Planck-Institute stünden im internationalen Wettbewerb.6 Wenn sich andere Länder wie Großbritannien, die USA und Japan nun verstärkt in der Grundlagenforschung engagierten, so Markl im MPG-Senat, gelte es, auch in Deutschland immer wieder mit Nachdruck deutlich zu machen, dass alles dafür getan werden müsse, um konkurrenzfähig zu bleiben.7 Es herrsche ein harter internationaler Wettbewerb um die weltweit besten Spitzenforscher, in dem die Max-Planck-Gesellschaft zuletzt höchst bedauerliche Rufabsagen habe hinnehmen müssen, da sie nicht die »voll wettbewerbsfähigen Bedingungen« habe anbieten können. Setze sich dieser Trend fort, drohe hierdurch eine Gefährdung der Spitzenforschung in Deutschland.8
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