Merkur, Nr. 271, November 1970
Wenn eine Frau sich emanzipiert
von Carola Stern
I
Es begann mit dem Aufschrei meiner Freunde »Die ist total verrückt geworden«. Doch entzündete sich die Empörung späterer Kollegen nicht an der eigentlichen Sache, also nicht an dem Entschluß, es mit der Politik und Presse zu versuchen; sie galt vielmehr der Wahl des Pseudonyms. Jüdische Freunde fanden es verrückt, sich in Deutschland ausgerechnet mit dem Namen Stern zu schmücken; viele waren überzeugt, daß es viel angebrachter wäre, sich hinter einem Männernamen zu verstecken. Erstgenommen zu werden, politisch beeinflussen zu wollen — das schien echte oder vorgegebene Männlichkeit vorauszusetzen. Einige der Kolleginnen hielten sich daran: Sie zeichneten die Kommentare und Artikel mit Alfred B. oder mit Egon W.
Mein Entschluß, lieber für verrückt zu gelten, als den neuen Namen wieder aufzugeben, macht es etwas schwer, nun hinterher zu unterscheiden, wo Ressentiments und Mißtrauen der Frau, wo der »Jüdin« und wo beiden galt. Die anfängliche Abneigung von Männern, mit mir über Politik zu sprechen, die teils Erstaunen, teils Hochmut ausdrückenden Mienen widerspiegelten, davon bin ich überzeugt, hauptsächlich die Reaktion auf den für viele Männer immer noch so ungewohnten Anspruch von Frauen, mitreden zu wollen. Noch Anfang der Sechziger Jahre entschuldigte sich ein Clubleiter, der mich zu einem Vortrag eingeladen hatte, vor Herren aus der Industrie, es sei wegen der Urlaubszeit einfach nicht gelungen, einen Mann als Referenten zu gewinnen.
Aber schwieriger als die »Frauenfrage« war eigentlich das »jüdische Problem«. Dauernd entdeckten Leute »typisch jüdische Eigenschaften« an mir: »diese gewisse Lust, alles herunterzuziehen«, »ätzende Kritik«, »mit den Händen und den Füßen reden«, »nichts gegen die Juden, nein, bestimmt nicht, aber wenn man die Stern so sprechen hört, merkt man doch gleich, es gibt eben Unterschiede zwischen uns und denen« (so in einem Bonner Ministerialbeamtenkreis der Fünfziger Jahre). Oder: »Wie war doch gleich der Name? Hertz? Oder Stern? Ach ja, wir hatten damals in unserer Klasse auch einige Judenjungen… Nette Bengels, nichts zu sagen. — Ach so, Sie sind nicht… — Na, das hätten Sie aber doch gleich sagen müssen!« (So in einer württembergischen Pfarrei.)
Ich frage mich heute, wieweit dieses Stern, von dem ich zunächst nicht einmal wußte, daß es als jüdisch gilt, mir nicht von vornherein einen Sonderstatus verschaffte. Vielleicht aus der teils bewußten, teils unbewußten Auffassung heraus, daß bei Juden ja wohl alles möglich sei und daß es bei denen auch ganz intelligente Weiber geben soll, wurde ich als Ausnahme akzeptiert.
Ob Redakteure davon absahen, mir Aufträge zu geben, weil ich eine Frau bin oder als Jüdin gelte, weiß ich nicht; ich habe dergleichen nie gehört. Immerhin, als ein Freund einmal versuchte, mich bei einer Zeitschrift unter meinem richtigen Namen anzupreisen, wurde ihm bedeutet, in »Sachen Sowjetzone« habe man eine andere namens Stern und die sei besser. Doch mögen fehlende Erfahrungen im Abgewiesenwerden vor allem mit dem Thema zusammenhängen, über das ich schrieb. Aus der DDR geflüchtet und mit Spezialkenntnissen aus dem Apparat der SED versehen, kam ich hier nach Ausbruch des Korea-Krieges in eine Hochzeit des Kalten Krieges und des Antikommunismus. Exkommunisten, vor allem solche, die etwas Besonderes wußten, waren in vielen Redaktionsstuben willkommen. Vielleicht läßt sich schlußfolgern: Spezialkenntnisse, und zwar möglichst etwas ausgefallen oder auf einem relativ neuen Feld erleichtern es den Frauen, sich in der Publizistik durchzusetzen. Die Konkurrenz ist viel geringer, nur auf das Fachgebiet beschränkt. Abgesehen von den vorhandenen Kenntnissen — ich verhielt mich damals nicht nur wegen des angenommenen Namens und der durch unvorhergesehene Reaktionen ausgelösten koketten Unsicherheit, ob ich vielleicht nicht wirklich etwas jüdisch sei, sondern auch als eine an Politik interessierte Frau ähnlich wie um gesellschaftliche Anerkennung bemühte Juden im deutschen Kaiserreich. Da der Zugang zu herkömmlichen Berufen, da der Aufstieg in gewohnten Bahnen als besonders schwierig galten, wich man aus in neue Berufe, etwa die Psychiatrie, in noch Unerforschtes, aber Erfolgversprechendes. Auch darum blieb ich so lange bei der Kommunismusforschung, die damals, Anfang der Fünfziger Jahre, entstand; darum liebäugele ich heute mit dem Gedanken, über Militärpolitik zu schreiben. Man muß eben nicht nur mehr als Männer bieten, sondern auch etwas Besonderes.
Denke ich heute an die Anfänge zurück, kommt es mir so vor, als sei das alles nicht knapp zwanzig, sondern weit über fünfzig Jahre her. Wie ist es möglich, frage ich mich oft, daß die Emanzipationsprobleme von heute Zwanzigjährigen mir manchmal so unverständlich sind? Kolleginnen, heute in dem Alter, in dem ich damals war, begegne ich weniger als verständnisvolle Ältere, die zu berichten weiß »So war das damals auch bei uns«, sondern eher als eine vom Altersstarrsinn schon etwas mitgenommene Oma, die beharrlich glaubt, eigentlich sei sie es, die zusammen mit noch älteren Geschlechtsgenossinnen die Fahne des wahren Fortschritts in den Händen halte. Das Ausmaß des Unterschieds erschreckt mich sehr.Keine meiner Altersgenossinnen und Kolleginnen, der heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen, wäre damals auf den Gedanken gekommen, sich mit Frauenfragen zu beschäftigen, über Probleme der Frauenemanzipation unaufhörlich die Seiten von Zeitschriften und Zeitungen zu füllen.
Als mich der Vorsteher meines SPD-Ortsvereins in Berlin-Steglitz aufforderte, über Frauenfragen zu referieren, denn über Kommunismus-Themen wollte man doch lieber Männer hören, lachte ich ihn einfach aus. Das Thema interessierte uns nicht. Krieg und Nachkrieg hatten uns zwar um eine unbeschwerte Jugend gebracht, aber sie hatten uns früh selbständig gemacht. Das Weltkriegsende hatte uns einfach zur politischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gezwungen, uns die große Chance vermittelt, Schuld- und Schamgefühle damals Achtzehnjähriger durch Aktivität beim Neuaufbau abzutragen. Alles drehte sich um Überleben und um die alte und die neue Politik. Wer dazu noch, so wie ich, in der ersten Nachkriegszeit als junges Mädchen zu den Kommunisten gegangen, als etwas versprechender Kader gefördert worden war, für den war Politik so selbstverständlich wie das Essen und das Trinken, Frauenemanzipation nun wirklich kein Problem.
Junge Kolleginnen sagen mir heute, zunächst einmal müßten sie sich über ihre Situation und Rolle als Frau Klarheit verschaffen. Das kam bei mir erst sehr viel später. In den allerersten Nachkriegsjahren gab es, wenn ich das richtig sehe, keine spezifischen Frauenfragen. Später, Anfang der Fünfziger Jahre, war für mich das eigentliche Problem, mich nach der Flucht aus der Pseudogeborgenheit eines kommunistischen Kollektivs in dieser seltsamen neuen Welt zurechtzufinden. Alles andere war nebensächlich. Dieses zaghafte Herantasten an die Politik bei vielen jungen Frauen heute, dieser Umweg über Frauenfragen oder Irrweg in die Frauenzoos politischer Parteien — mir war und bleibt es fremd.
Ähnlich geht es mir mit der sexuellen Revolution. Kleinbürgerliche Vorstellungen, wie sie das Elternhaus vermittelt hatte, waren sowieso in dem allgemeinen Aufwasch 1945 mit über Bord gegangen. Bei den Kommunisten in der DDR begannen Prüderie und Puritanismus eigentlich erst wieder mit dem Staatsaufbau, als es vor allem darum ging, Pläne zu erfüllen. Verwundert habe ich die Anfänge, die Neuauflage preußischer Moral in Ostdeutschland erlebt. Für uns war »freie Liebe« selbstverständlich. Sie war angesichts der sonstigen Misere und der Männerknappheit in den Kriegsgenerationen eine der wenigen Möglichkeiten, sich jung zu fühlen. Dennoch spielte die Sexualität in unserem Leben eine viel geringere Rolle als heute bei den Jungen. Wer der Überzeugung ist, daß Berufstätigkeit und beruflicher Erfolg der Frau soundsoviel Emanzipationsprobleme löst, wer noch dazu gezwungen ist, sich auf Gebieten zu behaupten, die als Domänen von Männern gelten, muß so viel leisten, daß er sich nicht erlauben kann, und auch nicht nötig hat, dauernd im Bett Emanzipation zu üben.
Resümee: Als ich anfing, in Westberlin politische Artikel zu schreiben, hatte ich große Schwierigkeiten, mich als Flüchtling von einer kommunistischen Parteihochschule an einer Freien Universität, auf der ich Politik studierte, in einer »freien Welt« zurechtzufinden. Ich hatte Schwierigkeiten, mir das entsetzliche Parteichinesisch abzugewöhnen, halbwegs lesbar zu formulieren. Mein Deutsch und meine Bildung waren ziemlich schauderhaft. Aber die Schwierigkeiten, in den politischen Journalismus hereinzukommen, waren relativ gering. Viel komplizierter wurde es, nachdem ich aufgenommen worden war.
II
Nach ersten Erfolgen, der Veröffentlichung von zwei Büchern zur Politik und Geschichte der SED, begann ich bald zu spüren, daß ich von männlichen Kollegen akzeptiert, politisch für voll genommen wurde. Mit ihnen über Politik zu diskutieren, das war nun selbstverständlich. Doch nach der ersten kurzen Freude erkannte ich sehr schnell, was eigentlich geschehen war. Die Komplimente verrieten es zuerst. Hemdsärmlig-burschikos wurde von meiner Tüchtigkeit gesprochen. Als Krönung männlicher Wertschätzung galt die Erklärung, ich hätte einen »männlichen Verstand«. Weitere Gunstbezeugungen: Zum Beispiel Männerwitze mitanhören zu dürfen, von denen Ehefrauen und Freundinnen ausgeschlossen werden. Dafür wird man selber von Blumenpresenten und ähnlichem »Firlefanz für Weiber« ausgeschlossen, weil man so etwas »gottseidank nicht nötig hat«. Das alles wäre gar nicht schlimm gewesen, hätte sich dahinter nicht etwas offenbart, das mir einige Jahre schwer zu schaffen machte.
In der zweiten Hälfte der Fünfziger Jahre wurde ich nämlich für würdig befunden, im Klub der Männer, in der Welt der Männer Aufnahme zu finden. Der Eintrittspreis ist außerordentlich hoch: Man hat von nun an zu vergessen, eine Frau zu sein. Denn die Mehrzahl aller Männer hat sich drauf festgelegt: Wer von uns als gleichberechtigt akzeptiert wird, wer was leistet, wer was kann, der ist eigentlich von unserem Stamm und der gehört zu uns, den Männern. Zuerst hörte ich es hintenherum, dann auch direkt: »Gewiß, recht tüchtig, aber keine Frau!« — »Von der Politik versteht sie etwas, aber sehr unweiblich, nicht wahr?« Ich hoffe, einige Leute können verstehen, was das für eine Frau so um die dreißig herum bedeutet. Das tangiert die Selbstsicherheit, verunsichert das Selbstverständnis, verkrampft. Heute kommt man zu dem Ergebnis, notgedrungen das Angebot der Männer so wie es lautet zu akzeptieren, morgen ist man dem Rat der Tante zugetan, sich doch lieber »manchmal ein bißchen dumm zu stellen, weil das die Männer mögen«, verwirft ihn übermorgen wieder, verliert weibliche Sicherheit und fragt sich ständig: Bin ich nun selber oder sind die Männer schuld?
Natürlich sind die Männer schuld. Ihre Komplexe bringen uns auch welche bei. Publizistischer Umgang mit der Politik, besonders mit kommunistischer, erfordert Sachlichkeit. Im Beruf, in der engagierten Diskussion, kommt mir nicht der Gedanke, für meine Argumente »weibliche Waffen« einzusetzen. Diese eigentlich selbstverständliche berufliche Nüchternheit scheint Männer außer-ordentlich zu irritieren. Fühlen sie sich auch noch sachlich unterlegen, hilft nur noch der Schluß: eine richtige Frau kann das nicht sein.
Da Frauen im politischen Journalismus immer noch relativ selten sind, leuchtet mir ein, daß sie sowohl Männer als auch andere Frauen irritieren können. Ein anderes Beispiel dafür erlebte ich, als meine Ulbricht-Biographie erschien. Wie kommt wohl ausgerechnet eine Frau dazu, ein solches Buch zu schreiben? Natürlich, sie war die Geliebte dieses Mannes! Und weil er sie nicht heiraten wollte, kam sie in den Westen, um nun aus Bache auszupacken. Etwa zur gleichen Zeit, in der ich diese Geschichte hörte, übrigens von einem Universitätsdozenten verbreitet, brachte ich als Verlagslektorin ein Buch über Fidel Castro heraus. Auch hier die Verfasserin eine Frau. Es verkaufte sich so gut wie gar nicht. »Buchhändler sagen«, erklärten die Vertreter, »das wird wohl eine frühere Geliebte sein, die sich nur rächen will.«
Aber die Infamie, die einem gelegentlich entgegenschlägt, läßt sich mit Irritiertsein allein wohl nicht erklären. Sie muß noch andere Gründe haben. Konkurrenzneid paart sich mit Nachwirkungen der Tradition. Ach, diese Inkonsequenz von Männern! Einerseits wird man behandelt wie ihresgleichen; andererseits behaupten sie, beruflicher Ehrgeiz bei Männern sei positiv, bei Frauen einfach widerlich. »Dieses Weibstück verzehrt sich ja vor Ehrgeiz!« Und warum wohl? »Weil es keinen Mann bekommen hat!«
Weitere Inkonsequenz: Die halbwegs erfolgreiche Frau ist zwar »eigentlich ein Mann«, im Gegensatz zu diesem kann sie jedoch im Berufsleben Befriedigung und Glück nicht finden. Das kann ihr ausschließlich ein Ehemann oder Geliebter schenken. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten Journalisten in der Bundesrepublik riet mir deshalb, einmal vier Wochen an die Adria zu fahren und jeden Tag drei Italiener zu verzehren. Dann würde mir viel wohler werden. Es empfiehlt sich, angesichts solcher Ratschläge Fassung zu bewahren. Tränen der Entrüstung gelten als Bestätigung der These, daß man mit Frauen nicht zusammenarbeiten kann, weil sie, emotional aufgeladen, bei der kleinsten Gelegenheit weinen und beleidigt sind.
Hilft eine wohlwollende Umwelt außerhalb des Kollegenkreises über so etwas hinweg? Verwandtschaft kann da meistens wenig helfen. Da es in unserer Familie bisher nur pommersche Viehhändler und Fischer, Feldwebel, kleine Beamte, »Zwölfender«, Ehefrauen und Mütter gegeben hatte, wurde ich irgendwo zwischen Rosa Luxemburg und einer Entfesselungskünstlerin im Wanderzirkus angesiedelt. Da alles »irgendwie« im Skandal und einer Katastrophe enden mußte, was auch Kartenlegerinnen und Wahrsagerinnen im Dorf bestätigten, busselte die Familie vorsorglich an einer Auffangstellung, bereitete sich auf meine Flucht vor, zurück ins warme Nest der Angehörigen, wo Vergeben und Vergessen und vielleicht sogar ein solider Witwer mit ein paar Kindern warten sollten, denn »das ist doch das einzig Wahre«.
Eine Anhäufung mehr oder weniger unglücklicher, untypischer Umstände? Im liberalen Bürgertum sieht alles anders aus? »Liberale« Ärzte und Rechtsanwälte, die ich in den Fünfziger Jahren kennenlernte, äußerten nach meinen ersten Rundfunkkommentaren, das könne jeder, das hätten auch sie zustande bringen können. So lange man nicht Leitartikel in einer großen Zeitung schreibt, Bucherfolge aufzuweisen hat, in einer Fernsehdiskussion auftreten darf, meint die Umwelt, zunächst einmal sei Skepsis angemessen. Gerade das, was man in dieser Zeit am meisten braucht, Zuspruch, etwas Bewunderung, Mutmachen, dieses Du-schaffst-es-schon, bekommt man nicht genügend.
Über die Einstellung nichtberufstätiger Ehefrauen ist schon genug geschrieben worden. Eifersucht und Mißgunst, die hier herrschen, bekommen auch andere weibliche Berufstätige, besonders Ledige, zu spüren. Warum sitzen denn so viele unverheiratete und im Beruf erfolgreiche Frauen so oft allein in ihren Wohnungen herum? Weil die Frauen ihrer Kollegen Einladungen nicht wünschen: »Erstens hat die meinen Mann ja sowieso den ganzen Tag und wer weiß, was sich da abspielt. Und zweitens kann ich mich mit der Frau nicht unterhalten, weil sie keinen Sinn für Haushalt und Kinderpflege hat.«
Anfang der Sechziger Jahre entschuldigte sich mein privater Englischlehrer, ein netter, älterer Studienrat, daß er mich nicht zum Abendessen in sein Einfamilienhäuschen bitten könne, weil seine Frau darauf bestehe, daß ihr nicht zuzumuten sei, mich einzuladen. Ich nehme an, auch der Englischlehrer hatte aus meinen Berufsinteressen und Ansichten geschlossen, daß ich so eine Mischung aus alter APO und aus Lola Montez sei und zu Hause entsprechendes berichtet.
Resümee: Die Jahre, in denen ich versuchte, mich durchzusetzen und voranzukommen, aber noch keine Erfolge aufzuweisen hatte, die auch Skeptiker überzeugten, waren für mich die schwersten. Das liegt wohl an dieser Zeit des Übergangs. Jahrhundertelang bestand die Funktion der Frau darin, dem Mann durch Bewunderung und Zuspruch, durch Kinder und durch Häuslichkeit immer wieder jenes Selbstbewußtsein zurückzugewinnen helfen, das er quäntchenweise tagsüber im Beruf, im Umgang mit Vorgesetzten und mit Untergebenen verloren hatte. Gegenüber einer auf Anbetung dressierten Frau gab es ungezählte Möglichkeiten ein Held zu sein. Zu plötzlich für die Männer treten Frauen scharenweise
mit dem Anspruch auf, als Kollegen akzeptiert zu werden, auch in den männlichen Domänen. Gleichzeitig wird die Funktion des Mannes, alleiniger Glücksbringer für die Frau zu sein, bezweifelt. Nicht mehr quasi Geschlecht zu herrschen, das lernt sich nicht von heute auf morgen. Würde es uns selbst manchmal nicht so schwer gemacht, man könnte Mitleid mit den Männern haben.
III
Man nehme: Einen Büroschreibtisch, einen Sessel dahinter und einen Stuhl davor, also ein Arbeitszimmer in einer Redaktion oder in einem Lektorat, erreichbar nur durch das Vorzimmer mit Sekretärin. Dazu ein Telefon, das zunächst bei der Sekretärin läutet. Hat man das als Frau erreicht, ist es geschafft. Der Preis, wenigstens nach meinen eigenen Erfahrungen: ein zunächst miserables Gehalt, das dem der Sekretärin gleichen kann, weil man, im Gegensatz zu ihr, ja »eine Chance« bekommt.
Unsere Gesellschaft will sich an Statuszeichen orientieren. Als ich Anfang der Sechziger Jahre einen Verlagsschreibtisch und eine Sekretärin hatte, waren viele Schwierigkeiten wie weggeblasen. Die Skepsis der Umwelt wurde aufgegeben, ich stellte in einem Beruf, der viel Prestige und viel zu wenig Geld einbringt, nun »etwas dar«. Zweifel daran, ob Frauen fähig sind, politische Manuskripte zu beurteilen, meldete in zehn Jahren nur einmal ein mit seinem Werke abgewiesener Weltverbesserer an. Die große Mehrheit wirkte überzeugt: Wenn sie auf diesen Stuhl gekommen ist, wird sie wohl auch die Arbeit machen können. Verwandelt wirkten Umwelt und Kollegen. Vielleicht lag das auch daran, daß ich mich selbst geändert hatte. Ist man erst einmal vierzig, wird man von der Meinung anderer unabhängiger, lacht man über den Unsinn, der früher Tränendrüsen reizte. Sieht man auch deutlicher, was man gewonnen hat, nicht zuletzt Freundschaft mit Kollegen. Natürlich gibt es noch ein paar Schwierigkeiten im Umgang mit den Männern. Ihr Frauenbild, immer noch an einem vergangenen orientiert, erschwert es vielen, mit Frauen meiner Sorte etwas anfangen zu können. Wie redet man mit einer, die in althergebrachte Kategorien nicht paßt, zum Beispiel auf Gesellschaften? Man schweigt. Manchmal wird angesichts des Berufes Hochachtung ausgedrückt, ergänzt durch die Bemerkung: »Aber wissen Sie, verheiratet möchte ich mit einer Frau wie Ihnen doch nicht sein.« (Eine Auffassung, die ganz auf Gegenseitigkeit beruht.) »Welcher Mann läßt es sich denn gefallen, daß seine Frau dauernd verreist, sich um den Haushalt nicht richtig kümmert und alles besser wissen will?«
Etwas anstrengend finde ich auch manchmal, Bonner Großparties zu besuchen, weil man sich gegenüber Fremden ständig neu legitimieren muß. Fragt ein männlicher Partygast den anderen nach seiner Meinung über die letzten Moskauer Gespräche, findet der das selbstverständlich. Fragt eine Frau, die man nicht kennt, werden zunächst einmal Augenbrauen hochgezogen. Doch bin ich sehr gewöhnt an alles dies und überzeugt, daß es nicht gegen mich, sondern gegen die anderen spricht.
Ist schließlich alles gut gegangen? Für mich persönlich schon. Aber: Was ich erreicht habe, den Einbruch in die »Hauptabteilung Politik« eines deutschen Bundfunksenders, das ist doch auch zwanzig Jahre später noch ein Einzelfall. In meinen Dimensionen komme ich mir vor wie jener amerikanische Automobil- oder Zigarettenkönig, der es vom Schuhputzer zum Millionär gebracht hat und an dessen Beispiel früher bewiesen werden sollte, welche Aufstiegschancen das Land der unbegrenzten Möglichkeiten bietet. Ich bin zum Alibi geworden.
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