Merkur, Nr. 350, Juli 1977

»Wofern du Emma heißest …«

von Dagmar Barnouw

 

Bei Angriffen auf den status quo zu Vorsicht und Umsicht zu mahnen, ist eine mißliche Angelegenheit; man wird genau dort mißverstanden, wo man Mißverständnisse verhüten helfen will. Sei’s drum: die Sache ist zu wichtig.

Der Name EMMA für die neueste »Zeitschrift für Frauen von Frauen« erinnert an Biedermeierbürgertöchter, Tanten und Dienstmädchen um die Jahrhundertwende, an Morgensterns Möwen und an Flauberts und Jane Austens Romanheldinnen. Dann ist da noch eine vage Klang-Assoziation: Emanzipation — darüber schwebend sozusagen. Die Beziehung auf Austens Emma wird übrigens in der »Bücherspalte« des ersten Heftes explizit hergestellt, mit Bild der Verfasserin und Feststellungen wie: »Schreiben war damals eine für Frauen unerhörte Tätigkeit« und: man könne aus Austens Roman »herausfinden, wie Bürgerstöchter zur Zeit von Jane (1775 bis 1817) lebten«.

Nun, beides ist eindeutig falsch. Schreiben wie Jane Austen war immer unerhört — für Frauen wie für Männer; das Schreiben von recht guter Trivialliteratur haben Frauen im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert geschickt und erfolgreich besorgt. Jane Austens Protagonistinnen sind notorisch komplizierte Kunstgeschöpfe, nicht ohne einen sozialen Kontext agierend, aber eben einen sorgfältig und höchst selektiv konstruierten. Die außerordentlich artikulierte, spröde, selbstbewußte junge Heldin des letzten und besten Austen-Romans (1816) ist charakterisiert durch ihre »self-love«, die gerade noch soviel gesellschaftliche Grazie, d. h. Selbstdisziplin und Selbst-Ironie toleriert, daß Katastrophen — für andere — vermieden werden können. Sehr viel von dem Selbstverständnis, auch der Selbstkritik der Autorin ist in sie eingegangen.

So grausam genau Emma andere beobachtet und kategorisiert — sie ist ein immer wieder zu verbessernder Snob — so genau befragt sie sich selbst. Die besondere Position dieses Romans im Literatur-Kanon ist bestimmt durch die für eine weibliche Heldin ungewöhnliche Selbstliebe und ihr selbstbewußtes Spiel mit der weiblichen Rolle, die subtile Intimität ihrer Selbstkenntnis. Die Basis für solche Charakter-Entwicklung ist Austens Perspektive auf den verworrenen Komplex sozialer Beziehungen, ebenso konsequent individuell wie diese Individualität in Frage stellend.

Natürlich kann eine feministische Zeitschrift, auch wenn sie »Emma« heißt, solche Genauigkeit in der Analyse sozialer Beziehungen, das heißt Herrschaftsverhältnisse, nicht erreichen; sie kann sie sich nicht einmal gestatten. Doch wäre es für ihre Intentionen gut, wenn sie die Beziehung auf Austens Heldin ernster nähme, wenn sie sprachlich und intellektuell weniger schlampig, wenn ihre Selbstliebe weniger selbstgerecht wäre; wenn sie ihre Position ab und zu befragte und Leserin und Leser (denn auch er zählt) an solcher Selbst-Befragung teilnehmen ließe. Das sollte auch für eine feministische Zeitschrift möglich sein — die amerikanische MS, mit der die »Emma«-Herausgeberin Alice Schwarzer ihre Zeitschrift ausdrücklich und »stolz« vergleicht, hat das im großen und ganzen bewiesen. Der Grund zu meinem Mißbehagen bei der Lektüre der ersten »Emma«-Hefte ist nicht, daß sie nicht so gut ist wie MS, sondern daß sie bei wichtigen Problemen anders ansetzt.

An MS ist von rechts und links viel Kritik geübt worden — insofern man Konzentration auf die Belange der rassischen und sexuellen Minoritäten als »links« bezeichnen will. Im Juni 1974 berichtete das radikale »underground paper« Off Our Backs, eine seit 1974 in Washington, D. C. erscheinende feministische Zeitschrift, von einer Podiumsdiskussion zur Frage der spezifischen Verantwortlichkeit feministischer Zeitschriften. Die schwarze lesbische Journalistin Margaret Sloan, die seit der Gründung von MS ein wichtiges Mitglied des Redaktionsstabs gewesen war und diesen Posten gerade aufgegeben hatte, wurde von einer Sprecherin der Gruppe »Lesbian Feminist Liberation« über die Vernachlässigung lesbischer Interessen bei den redaktionellen Entscheidungen in MS gefragt.[1. Die beiden ersten MS-Hefte bringen ausgezeichnete Beiträge lesbischer Journalistinnen zum Problem des Lesbianismus; es ist vor allem in der politisch organisierten Frauenbewegung ein schwieriges Problem, und MS ist hier in den letzten 5 Jahren vorsichtiger/konservativer geworden.] Sloan, maßgebend in der »Black Feminist Organization« tätig, verweist auf die außerordentlichen Erwartungen, die viele Frauen auf sie gesetzt hatten: »It is one of the rare good philosophies of MS, that it is a combination of all different kinds of women.«

Frauen verschiedener Klassen und Rassen mit sehr verschiedenen Erfahrungen schreiben und lesen heute MS. Das Resultat ist eine große sprachliche und inhaltliche Variationsbreite: da so viel widersprüchliche, ambivalente Erfahrungen und Einsichten zur Sprache kommen sollen und Forderungen der einen Gruppe von den Fragen der anderen Gruppen aus ihrer Eindeutigkeit gedrängt werden, ist eine scharf umrissene, »selbstverständlich« feministische Position nicht möglich. Das erste MS-Heft vom Juli 1972 beginnt mit einem »Personal Report« zum Zwecke der Information: ein Bericht, wie die Zeitschrift, von der bisher ein »preview« im Frühling 1972 erschienen war, zustande gekommen war: »First, there were some women writers and editors who started asking questions.« Die Fragen betrafen vor allem die für Frauen ungünstigen Medienpraktiken: Wie Geld beschaffen für Informationsdienste und Selbsthilfeprojekte?

Die wichtigste Hilfe kommt von dem Herausgeber von New York, der das Heft publiziert mit der Auflage, daß die Hälfte des möglichen Gewinns an New York gehen und die Frauen völlige redaktionelle Autonomie haben, die Kontrolle des Anzeigenteils aber bei New York liegen sollte. Sowohl die Geburt von MS aus der Rippe sozusagen des kosmopolitisch gewandt liberalen New York als auch die Teilnahme von MS an der Welt der großen Werbung — Zigaretten, Deodorants, Scotch, Parfüms, Autos, Mode — sind natürlich Anlaß zu grundsätzlicher Kritik gewesen, auf die die Redaktion jedoch nicht eingeht.

Ausgeschlossen werden Anzeigen, die ein negatives oder entstellendes Konzept »Frau« benutzen und/oder auf der Grundlage sozial allgemein bestätigter weiblicher Ängste Produkte verkaufen wollen: Intimsprays z. B. oder Enthaarungsmittel — beides immer noch kommerziell sehr erfolgreich. Sobald MS wegen der Qualität der Beiträge sich auf dem Wege zum kommerziellen Erfolg ausweist, kann sie sich die Anzeigen aussuchen. Es ist ein langsamer Weg mit vielen Fallgruben, aber unverrückbar bleibt als Ziel die sichere Unabhängigkeit der Frauen.

Zu solcher Unabhängigkeit gehörte die Ausweitung der »Frauenfrage« in eine »Frauen-und-Männer-Frage«. MS sieht sich als Spiegel der Erfahrungen, die Frauen jetzt zu machen lernen; die Zeitschrift will sein »as serious, outrageous, satisfying, sad, funky, intimate, global, compassionate, and full of change as women’s lives really are«. Die meisten Erfahrungen werden in der Welt der Männer gemacht, und die veränderte Perspektive, die Frauen an diese Welt herantragen, wird sie langsam verändern. »Emma« dagegen erklärt kategorisch: »In ›Emma‹ wird kein Mann schreiben.« Der Grund: »Denn Männer stecken nun mal nicht in Frauenhaut«. Mir scheint das ein außerordentlich kurzsichtiger Entschluß und ein wenig durchdachter Grund: Wer steckt schon in wessen Haut? Etwa die junge Journalistin, die Landarbeiterinnen bei der Tabakernte photographiert oder die kinderreichen Ehefrauen arbeitsloser Männer nach ihren Erfahrungen fragt? — beides sind Beiträge zum ersten »Emma«-Heft. Man kann auch ohne Identifikation das Leben des anderen sehen lernen; Distanz kann bei der schwierigsten aller Aufgaben behilflich sein, welche die Frauenbewegung konfrontieren: die Eigenberechtigung der Existenz der anderen so gut wie des anderen zu akzeptieren. Aus eben diesem Grund scheint mir die Entscheidung der MS-Redaktion, in das für den Erfolg der Zeitschrift so wichtige »preview« zwei längere Beiträge von Männern hereinzunehmen, so richtig.

 

 

Nicholas von Hoffman, bekannt durch seine politischen Reportagen, schreibt über »My Mother the Dentist«, deren Außerordentlichkeit in ihrer gelassenen Selbstkenntnis lag. Selbständig, »selfmade«, wußte sie genau, wie schwer es ist, wirklich mit einem anderen zusammenzuleben, und war gerade deshalb so tolerant, auch dem eigenen Sohn gegenüber.

Ebenso ansteckend wie einsichtsreich ist Hoffmans Vergnügen an den Widersprüchlichkeiten, den scharfen und den sanften Ironien der Emanzipation. Daniel Ellsbergs Überlegungen zum Problem Frauen und Krieg — wir sind im Frühling 1972 [1. Seine erste Publikation in Deutschland (über den Vietnam-Krieg) stand im Märzheft 1971 des MERKUR — Monate bevor sein Name durch die Affäre der »Pentagon Papers« international bekannt wurde.] — gehen aus von der statistisch belegten Tatsache, daß sehr viel weniger Frauen für den Krieg in Indochina waren als Männer und die Unterschiede zwischen einem »gerechten« und einem »ungerechten« Krieg besser und deutlicher sahen als diese. Sein Argument, eine Humanisierung der Führerrolle für Frauen und Männer sei wohl am ehesten von den Frauen zu erwarten, ist wichtig — auch für den Änderungsprozeß der Männer.

Dieser Änderungsprozeß sollte möglichst in Auseinandersetzung mit dem der Frauen vor sich gehen. MS bringt deshalb längere Artikel über bessere Arten des Zusammenlebens: Heiratskontrakte in Theorie und Praxis, die auf der Notwendigkeit von Flexibilität beider Partner in jeder sozialen Beziehung bestehen. In einem witzigen kleinen Essay »We are the Crazy Lady« gibt die bekannte Schriftstellerin Cynthia Ozick Frauen, die über Frauen schreiben, den Rat: »In saying what is obvious, never choose cunning. Yelling works better.«

Aber weder sie selbst noch MS haben diesen Rat befolgt. Sie haben sich auf das »cunning«, die List, verlassen — und vor allem auf die allmähliche Überzeugungskraft des so gelassen und umsichtig wie möglich vorgetragenen Arguments gegen den vom Antifeminismus geschützten status quo.

Genau hier sollte und könnte »Emma« von MS lernen. Ob es sich nun um das recht peinliche Gespräch zwischen Alice Schwarzer und Romy Schneider handelt oder um die »Männerjustiz«: »Emma« schreit zuviel, und dann gibt es nur einen Ton. Das liegt wahrscheinlich an der Schwäche für überscharfe (Selbst-)Definitionen. Schneider und Schwarzer als die beiden meistgehaßten Frauen Deutschlands und doch so deutsch: »Deutsch in ihrer Absolutheit, ihrem permanenten Widerspruch und ihrer quälenden Verweigerung der einfachen Lösung« (EMMA, Heft 1, S. 24). Für Feministinnen ist das Persönliche zu Recht ein Politikum, aber das Persönliche darf nicht ins Private trivialisiert werden. Mit solcher Trivialisierung zusammen geht der Verlust der Fähigkeit, die kritische Leserin als Kommunikationspartner ernst zu nehmen. Die Schwarzer mutet ihr Heldinnen und Märtyrerinnen zu, wo sie ihr das Durchbrechen solcher Abstraktionen versprochen hat. Schwerwiegender: durch den Einheitston, der die ganze Zeitschrift beherrscht, gemischt aus Denunziation und vorzeitiger, angeblich antiautoritär gemeinter Vertraulichkeit wird die kritische Leserin (vom Leser ganz zu schweigen) sofort in ein imaginäres feindliches Lager abgedrängt.

Nun wäre das an sich nicht der Rede wert, wenn es sich um irgendeine Zeitschrift handelte. Es ist aber a) eine der wenigen feministischen Zeitschriften, und b) spiegeln sich in ihren Schwierigkeiten gewisse zentrale Probleme des Feminismus: elitäre Cliquenwirtschaft und Nichtachtung eines flexiblen Konsensus-Begriffs. Hier nur zum zweiten Problem: Alice Schwarzer beruft sich in einem Leit-Artikel »Männerhaß« auf den Haß, zu dem Juden und Schwarze gegenüber Antisemiten und Rassisten berechtigt seien, und argumentiert, daß folglich »eine von Männern — einzeln und/oder gesamtgesellschaftlich — unterdrückte Frau« zu Männerhaß berechtigt sei. Erstens liegen die Verhältnisse beim Sexismus sehr viel anders, verworrener, subtiler als beim Rassismus — auch wenn beide als Arbeitsbegriff oft aufeinander bezogen worden sind. Liberale Männer vor allem haben den Vergleich hergestellt, um ihre Bereitschaft auszudrücken, ein schlechtes Gewissen zu haben und bei der Veränderung der Verhältnisse mitzuhelfen. Das bringt mich zu »zweitens«: diesen guten Willen sollte man sehr ernst nehmen. Was nützt schon die »Berechtigung« zum Haß, wohin führt sie? Simone de Beauvoir, von A. Schwarzer interviewt, sagt: »Frauen wollen die Gleichberechtigung nicht gewährt bekommen; sie wollen sie gewinnen.« Mir scheint das »Gewähren« und »Gewinnen“ zusammenzuhängen. Gleichberechtigung ist Angelegenheit eines Konsensus zwischen den Geschlechtern, der immer wieder von neuem hergestellt werden muß. Als ob mit »Siegen« jemals etwas erreicht worden wäre.

Einsicht ist, wie Konsensus, ein Prozeß; Ärger und Wut der Frau sind Stadien. »On Getting Angry« ist der Titel eines Aufsatzes von Ingrid Bengis im ersten MS-Heft; eine Korrektur zur Position der Beauvoir: »Hier warst du selbstsüchtig, hier gedankenlos, hier ein Heuchler; du hast mich zur Verzweiflung gebracht; schließlich bin ich wild geworden, ich habe um mich geschlagen. Ich war im Recht; und du hast es nie zugegeben, hast mich nicht angehört, hast mir Unrecht getan« — in Situationen, die, wie die Schreibende wohl weiß, seit sehr langer Zeit solche Selbstsucht, Heuchelei, Gedankenlosigkeit des Mannes hervorgerufen oder zumindest gestützt haben. Es ist ein sehr persönlicher Aufsatz mit einer sehr gelassenen öffentlichen Oberfläche, die Zugang zum »Persönlichen als Politischen« gewährt, ohne es absolut zu setzen. Auch ein Leser kann den Prozeß des »getting angry« verstehen, nicht nur die Berechtigung.

1. Schwarzer ist an solchen Prozessen uninteressiert; sie will klare Fronten und, vor allem, Solidarität. Frauen sind aber nun einmal keine Klasse, auch nicht eine Kaste, wie die Beauvoir will. Wir sind nicht alle hysterisch, frigide, lesbisch, neurotisch, Männerhasserinnen: uns aus strategischen Gründen mit diesen Positionen solidarisch zu erklären, hat keinen Sinn. Der Kampf um die Gleichberechtigung ist kein Klassenkampf. Wir sind alle sehr verschieden und haben uns, mehr noch als die Männer, den Umständen gemäß entwickeln müssen, aber manchmal auch dürfen. Beauvoir z. B. hat mit Sartre zusammengelebt, der kein Unterdrücker war.

Es wäre ja schön, weil einfach, wenn die verfilzten, oft schmerzlichen Beziehungen zwischen Männern und Frauen in ein reinliches Schema von Unterdrücker und Unterdrückte gepreßt werden könnten. Aber so einfach darf man es sich nicht machen, wenn man gegen einen realen und real verhärteten status quo wirken will: »O Mensch, du wirst nie nebenbei / der Möwe Flug erreichen. / Wofern du Emma heißest, sei / zufrieden, ihr zu gleichen.« Ein schlechter Rat, auch wenn er von Morgenstern und ernst gemeint ist.