Merkur Nr. 619, November 2000

Philosophie und Pornographie
Erlösungsmodelle von Sloterdijk, Kittler, Duerr, Theweleit

von Hannelore Schlaffer

 

»Alle Weisheitsbäume senken sich ins Fraueninnere hinab.« Das Bild, das Peter Sloterdijk im ersten Band seiner Sphären (1998) für den Ursprung der Kulturen wählt, verbindet zwei Pole, die bislang wenig voneinander wußten: Weisheit und Frauen. Sloterdijk ist der bekannteste Vertreter einer Gruppe von Männern, die ihre welt- und urgeschichtlichen Entwürfe an das Wesen des Weiblichen binden. Wenn auch ein Gott die Welt erschuf, so bewegt sie nun die Frau. Diese Männer, neben Sloterdijk vor allem Hans Peter Duerr, Friedrich A. Kittler, Klaus Theweleit, profitieren offensichtlich vom Feminismus, der ihnen die Augen geöffnet hat für eine von den akademischen Kollegen mißachtete Tendenz der Schöpfungsgeschichte.

Ihre welthistorischen Aussagen sehen freilich über die alltägliche Banalität der weiblichen Existenz hinweg; die kleinlichen Kämpfe um Quotenregelungen liegen weit unter dem Höhenflug philosophischer Nachdenklichkeit. Weiblichkeit ist für sie eine mythische Kraft, die Männer sich allerdings nur erotisch zu denken vermögen. Die Weltgeschichte wird zur Liebesgeschichte und zur pornographischen Anekdotensammlung. Die Mesalliance von Philosophie und Pornographie legitimiert sich der Sittengeschichte gegenüber durch den theoretischen Anspruch.

An ihrem Ursprung, so behauptet Peter Sloterdijk, unterscheiden sich die Kulturen noch nicht; alle unterliegen dem einen weiblichen Prinzip: »Wie in der Caesaren- und Päpstezeit alle Straßen nach Rom führten, wo Himmel und Erde einander angeblich näher sind als anderswo, so wurden in der Zeit des Ursprungsdenkens alle prinzipiellen Überlegungen zur Vulva hingezogen … Der Vulva-Zauber hat seinen Grund in dem Elementargedanken, daß das Muttertor, das von sich her als Ausgang dient, und nur als solcher, auch als Eingang in Anspruch genommen werden muß«.

Sloterdijks »Theorie der Gesamtwirklichkeit« setzt auf die Vermutung, daß die Sehnsucht des Menschen auf seine »Nicht-Abnabelung« gehe. Er zählt den Schmerz der Trennung und Entfremdung den anthropologischen Konstanten zu. Die abendländische Philosophie, stets auf logische Konstruktion, aufklärende Analyse und Intellektualität gerichtet, habe die Verankerung allen Lebens im Weiblichen zu verleugnen gesucht. Sloterdijk nennt seine Untersuchung »Paläontologie«, da sie sich, im Unterschied zur Archäologie, der Naturseite des Menschen zuwende, die der Kultur vorausliegt. Die anthropologische Archäologie bleibt bei den Zeichen stehen, die der Mensch, und das heißt der Mann, geschaffen hat. Sloterdijk hingegen findet in Petrefakten Abdrücke von Körpern eingeschlossen.

Anders aber als die wirklichen Paläontologen, die versteinerte Lebewesen aufspüren, stößt er bei seinen Grabungen immer nur auf Weichteile, ungestaltes Fleisch, Mollusken, Plasmen, Häute, nie auf ein Skelett. Sloterdijks durchaus männlicher Spürsinn ist eine Wünschelrute, die nur bei dem einen und einzigen Objekt ausschlägt: der Vulva. Das urgeschichtliche Trauma der Trennung äußert sich im Menschen als erotische Obsession: Vulva, Uterus, Loch, Sphäre und sono-sphärische Allianz, Ovum, Ei, Schoß, Fötus, Fötalraum, Genitalseite und Nabelseite, Plazenta, Nähewesen, Rundwelten, Milch der Stimme, dekolletierte Kehle, Seele, Ozean − das sind die Favoriten aus Sloterdijks Wörterbuch, das er mit vielen phantasievollen Neuschöpfungen angereichert hat. Sein Weltbild hat er, sozusagen als Hobby-Gynäkologe, gewonnen im Blick auf die Frau von unten.

Die pornographische Aura seines Vokabulars rechtfertigt Sloterdijk als Rücksichtslosigkeit philosophischer Wahrheitssuche, der die zeitbedingte Sittlichkeit keine Grenzen setzen dürfe. Der beherzte Blick in die sexuellen Urzustände der Menschheit macht den Philosophen zum Heros und nobilitiert seine Wissenschaft als Mutprobe. In seinem Essay Weltfremdheit gelangt Sloterdijk gar zu der für ihn vorteilhaften Unterscheidung einer vulgären und einer »noblen Anthropologie«.

Die Mixtur aus pornographischer Philosophie und nobler Anthropologie ist ein Publikumserfolg, vor allem bei Frauen, die in Sloterdijk ihren Fürsprecher vor dem Weltgericht der Männer erkennen. Die Männer sind Sloterdijk darob nicht böse, im Gegenteil: Sie freuen sich, daß einer von ihnen zeigt, was Männer mit dem wissenschaftlichen Ernst noch anfangen können. Hinter den andächtigen Zuhörerinnen erheben sich daher nach seinen Vorträgen die akademischen Kollegen, die helfen, Sloterdijks Un- und Tiefsinn der Geschichte der Philosophie von Platon bis Heidegger einzufügen. Bei dieser Einordnung in die Philosophiegeschichte fallen sie auf Sloterdijks Stellung als Professor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung herein, von dem wissenschaftliche Aufklärung und Aufgeklärtheit zu erwarten ist. Tatsächlich aber ist Sloterdijks Auftritt eine verspätete Szene aus der Kirchengeschichte.

Mit der Verführung von Frauen durch das besorgt tastende Wort beginnt auch der Aufstieg des Christentums. Es hatte seine Ausbreitung in der Antike nicht zuletzt der Überredungskunst von Predigern zu danken, die reiche Römerinnen dazu bewegen konnten, Leben und Geld in die Erlösungsreligion zu investieren. Die erotische Sprache, die sie führten, ist kaum minder direkt als die der heutigen philosophischen Heilsverkünder. Bei den heutigen Predigern hüllt sich die philanthropische Aufdringlichkeit des Heilsverkünders ins Gewand philosophischer Abstraktion. Bei Sloterdijk gebiert die Sprache Begriffsungeheuer wie »Schoßdifferenz«, »Schoßzwangzeitalter«, »Kritik der Schöße«, »Uterodizee«, deren Unhaltbarkeit nur dem philosophisch ungeschulten Ohr von Frauen unbemerkt bleiben kann, wie man ein wenig frauenfeindlich hinzufügen möchte.

Die Gottesverkünder, die zugleich Frauenführer und -verführer sind, scheinen übrigens seit der Antike dasselbe Aussehen zu haben. Auch wenn sie heute Ämter verwalten, treten sie noch immer im Habitus des Sandalen-Apostels auf. Hieronymus, selbst einer aus der Reihe dieser religiösen Virtuosi, warnt seine Schülerinnen: »Fliehe auch die Männer, die … die Haare nach Frauenart tragen, dazu einen Bocksbart und ein schwarzes Pallium, und der Kälte zum Trotz barfuß gehen. Alle diese Dinge verraten, daß der Teufel dabei seine Hand im Spiele hat … Sie verschafften sich Zutritt zu vornehmen Häusern und betörten die sündenbeladenen Weiblein, die immer lernen wollen und nie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.«

Nun hat man es bei den Erlösern, Predigern und pornographischen Philosophen zwar mit Erweckern, nicht aber mit wirklichen Verführern zu tun. Die reichen Römerinnen überließen Hieronymus ihre Seele, nicht den Körper, und opferten ihm statt dessen ihr gesamtes Vermögen; Sloterdijk und seinesgleichen finden Anhänger in der Regel im Hörsaal, wo für den Eintritt meist kein Obolus erhoben wird. Die modernen Kirchenväter sind im Grunde nichts weiter als gute Abendunterhalter, die wissen, wieviel Sinnlichkeit es für den lösenden und erlösenden Traum braucht. Schon das frühe Christentum übernahm mystische Lehren aus dem Orient, und auch die modernen Gurus leiten ihre Abkunft eher aus dieser Kultur als aus der christlichen Tradition ab. Sloterdijk bezieht seine Weisheit aus dem hinduistischen Tantrismus. Der Mutterschoß ist das Zentrum der Lehre des Bhagvan Sri Rajneesh, des Gründers von Poona, dem Sloterdijk eine Zeitlang anhing. Dort findet Sloterdijk, ähnlich wie übrigens auch bei dem abtrünnigen Freudschüler Otto Rank, die Idee des »Rebirthing«. Auch er will das Geburtstrauma rückgängig machen, indem er moderne Psychotechniken eklektizistisch mit hinduistischen Glaubensinhalten verbindet.

Alle, indische Gurus wie abendländische Seelenführer, stellen sich die Erlösung als spirituellen Inzest vor. Sloterdijk erfindet dafür einen kultischen Ort, an dem die Unio mystica stattfinden soll: »Vom Schoßgedanken strahlt die Evidenz aus, daß die Wahrheit einen geheimen Sitz habe, der sich durch Initiationen und rituelle Näherungen erreichen läßt. So wird man bis zum Ende des Schoßzwangzeitalters, wenn schon in den ätiologischen Philosophien der Griechen die erste Aufklärung sich ankündigt, zu den Müttern hinabsteigen, um bei ihnen und in ihnen etwas zu finden, was man, ohne zu erröten, Erkenntnis nennen wird.« Es braucht Männer, die des Wortes mächtig sind, um die Richtung zurück an den kultischen Ursprung zu weisen.

Sloterdijk erfüllt den Typus des Gurus auf dem Lehrstuhl vollkommen. Neben ihm wirken aber manche kleinere Seelentröster in dieser erlösungsbedürftigen Zeit. Vom Ort ihrer geistigen Abkunft Oder Wirkung her gesehen ließe sich geradezu von einer Oberrheinischen Schule der Heilsverkündigung sprechen. In Friedrich A. Kittlers Aufschreibesysteme 1800/1900 meint die Computergeneration der Studenten und Studentinnen die Vorgeschichte des Medienzeitalters zu erfahren und die Erklärung für ihre eigenen Probleme mit der Tradition der Schriftkultur zu finden. Wenn es in der abgelegenen Sphäre der Germanistik so etwas wie ein Kultbuch gab, so dieses bei seinem Erscheinen 1985 beziehungsweise, in überarbeiteter Form, 1987. Mit Klaus Theweleits Dissertation Männerphantasien (1977) zusammen gehört es zu den erfolgreichsten Dissertationen der Nachkriegszeit; beide entstanden an der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg.

Die Geschichte des Lesens und Schreibens verbindet auch Kittler mit Glanz und Elend des weiblichen Geschlechts. Das Buch beginnt mit dem Triumph einer matriarchalischen Lesekultur und endet mit der traurigen Degradierung der Frauen zum dienenden Heer der Sekretärinnen in der modernen Technologie. Die Töne, die am Anfang angeschlagen werden, sind durch das ganze Buch hindurch zu hören: Im Kapitel »Muttermund« lernt der Leser nicht nur, daß im 18. Jahrhundert den Kindern das Lesen vermittelt wurde, indem die Mutter den Text vorsprach, ihn durch ihren Mund formte, sondern auch, daß sich bei dieser Überschrift ebenso ein Körperteil oben wie eines unten denken läßt. Von da an ist der Leser gehalten, nichts mehr, was im Laufe der Schriftaneignung geschieht, nur als kulturellen Lernprozeß zu nehmen, sondern immer zugleich auch als Liebesakt.

Das Kind lernt bei Kittler im allgemeinen eben nicht von der Mutter lesen und schreiben, sondern aus dem Muttermund. Die emotionale und erotische Aufladung eines Erziehungsprozesses gelingt Kittler, indem er die Mutter als die Inkarnation des Naturbegriffs der Aufklärung versteht. Die Natur ist – ein taktisch notwendiger, wenngleich religionsgeschichtlich paradoxer Schlenker − in der Mutter Mensch geworden, und sie hat, wie einst der Erlöser, den Menschenkindern eine Botschaft hinterlassen: »Die Natur im Aufschreibesystem von 1800 ist Die Frau. Ihre Funktion geht darin auf, Menschen und d.h. Männer zum Sprechen zu bringen.«

Freilich müssen sich die Mütter die Befähigung für die hohe Aufgabe, Männer »herzustellen« − im Zeitalter der bürgerlichen Bildung ist Lesenlernen nichts anderes als Menschwerdung − selbst erst aneignen. Merkwürdigerweise gelingt ihnen das, indem sie ihre eigene erotische Zweideutigkeit erkennen: »Wo ehedem Analphabeten lesen lernten, lernen erst einmal Mütter den eigenen Mund kennen. Das phonetische Selbstexperiment Lautieren stellt den Muttermund mit seinen Gängen, Höhlen, Abgründen allererst her. Und die Kleinen, statt Büchern oder philanthropischen Buchstabierspielen zu gehorchen, sind nur noch Auge und Ohr für die Instrumentaldarbietungen dieses Mundes.«

 

 

Nachdem also so die Frauen ihre neuen Fähigkeiten entdeckt haben, haben die Kinder sie geradezu zum Fressen gern. Über Basedows Lautiermethode in seinem Elementarwerk heißt es: »Er läßt zum Behufe seines Unterrichts eßbare Buchstaben backen. Die philanthropische Alphabetisierung zielt also auf eine kulinarische Oralität, deren unausgesprochenes Rätsellösungswort Mutter heißt.« Die mütterliche Unterweisung läßt eine Schriftstellergeneration entstehen, indem sich die Leidenschaft zur Mutter − die besprochenen Autoren sind der ins Leben getretene Beweis für diese These − in Schreibleidenschaft verwandelt: »Viel zu leidenschaftlich hat der soufflierte Diskurs seine Schriftlichkeit − das Heiligtum der Worte und die Erektion des Griffels − unterstrichen, um sie wieder durchzustreichen.«

Kittler verfährt im Sinne von Sloterdijks »nobler Anthropologie«, indem er seinen anspielungsreichen Minnesang an eine abstrakte, an »Die Frau« richtet. Hans Peter Duerr, der alle Hoch- und Eingeborenenkulturen auf der Suche nach erotisch aufgeladenen Kulten und Mythen durchwandert, um seine Sammelware auf einer theoretischen Behelfsbühne auszustellen, ist auf eine sehr unnoble Weise direkt in seinem Vokabular. Auch er benötigt, wie Sloterdijk und Theweleit, mehrere Bände, um seine kulturelle Totalität zu entfalten. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß (seit 1988 sind vier Bände erschienen) wendet sich vor allem gegen den Kulturphilosophen Norbert Elias, der in den dreißiger Jahren den »Prozeß der Zivilisation« als allmähliche Verdrängung aller körperlichen und damit auch erotischen und analen Begierden aus dem öffentlichen in den privaten Raum beschrieben hatte.

Duerr richtet gegen ihn die These, daß auch in den Hochkulturen animalische Bedürfnisse und die Ausstellung des Körpers ein kulturtragendes Element geblieben seien. Nicht anders als Sloterdijk stolpert Duerr bei seiner Wanderung durch die Menschheitsgeschichte bei jedem Schritt über ein Geschlechtsteil. Im Unterschied zu Sloterdijk benennt er es mit unzeremonieller Direktheit. Sloterdijks, Duerrs und Kittlers Bücher, so unterschiedlich auch in der Dimension ihres Weltentwurfs − der eine erfaßt die ganze Menschheitsgeschichte, der andere alle Weltkulturen, der nächste nur den Zeitraum der bürgerlichen Epoche seit der Aufklärung −, sind Männerphantasien, die, sobald sie ausgesprochen werden, vor allem Frauen faszinieren.

Als Adressaten dieser Philosophie oder Anthropologie kommt den Frauen die Funktion zu, die das Proletariat für die Studenten von 1968 hatte: Sie sind eine angebliche Mehrheit, die sich wie eine Minderheit mißachtet fühlt und daher dankbar für jede Aufmerksamkeit ist. Gern stilisieren die Theoretiker ihre philosophischen Überlegungen zu einer »Kritik« im Sinne Kants. Kittler gibt seine Aufschreibesysteme als Kritik der Schriftkultur aus, Sloterdijk bezeichnet Ziel und Methode seiner Schriften mit dem Terminus »Schoßkritik«. Eine Aufgabe der Theologie, die Theodizee, übernimmt oder parodiert Sloterdijk mit dem Terminus »Uterodizee«. Kritik und Wesensbeschreibung der »Schöße« aber stellt in Wahrheit die Wendung zur Aufklärung in Frage. Die »Schoßkritik« sucht hinter der historischen die endgültige Wahrheit und gelangt dabei in mythische und mystische Tiefen.

Die Frau als Allegorie des Seelenheils, an das alle Autoren Theorie und Erlösung knüpfen, ist keine Erfahrung, sie ist eine männliche Schöpfung. Schon in der konservativen Romantik, die das Dunkel, das die Aufklärung verscheuchte, wieder herzustellen versucht, läßt sich der Prozeß der Aufwertung der Frau zur Allegorie einer neuen kosmogonischen Weltsicht beobachten. Brentano, Friedrich Schlegel, Ludwig Schnorr von Carolsfeld und Justinus Kerner gebrauchen zwar kein erotisches Vokabular; dem an Freud geschulten Ohr aber ist die Erotik der beschriebenen Zustände unmißverständlich genug. Stigmatisierung, Schlafwandel, Starrsucht, Somnambulismus, Clairvoyance sind ekstatische Zustände vor allem von Frauen, in denen sie, so behaupten die Männer, zum Geheimnis der Welt vordringen. Die »Seherin«, die leidende Auserwählte, ist nichts anderes als Freuds Hysterikerin, und beide sind männliche Schöpfungen.

So ähnlich die »Schau« der Mystiker des 20.Jahrhunderts diesen romantischen Visionen sein mag, so blieb ihnen nach aller sexuellen Aufklärung doch nur ein Bereich, der noch tabuisiert genug und also dem männlichen Diskurs nicht zugänglich ist, so daß das Sprechen darüber gehörig lasziv werden konnte: der Mutterschoß und das Drama der Geburt. Sloterdijks und Kittlers Spürsinn hat diesen Ort gewittert. Die Zeitenwende der Wahrheit, die sie beschreiben, vollzieht sich als Übergang von der Phallokratie zur Uterodizee. Dieser Wandel liegt zwischen Freud und seinem Schüler Otto Rank (1884−1939), auf den sich Sloterdijk ausdrücklich in seinem Buch Weltfremdheit beruft. Er schließt sich Rank als dem Überwinder Freuds an. Ranks Lehre von der Wiedergeburt sei ein Fortschritt der Wissenschaft, der die Erkenntnis tiefer dem Wesen des Menschen anpasse. Sloterdijks Uterodizee ist die historische oder paläontologische Auslegung von Ranks zentraler These, daß »jede Lust letzten Endes zur Wiederherstellung der intrauterinen Urlust« tendiere.

Im Unterschied zu Sloterdijks träumerischer Vision entsteht Klaus Theweleits Weltbild aus der Kritik an dem, was der männliche Schöpfungswille hervorbrachte. Auch Theweleit kann die Kraft des Weiblichen, dessen Übermacht der männliche Stumpfsinn nicht wahrhaben will, nicht hoch genug schätzen, wenn er im ersten Band des Buchs der Könige feststellt: »Schließlich ergibt sich …, daß der Phallus nicht der einzige Signifikant der Geschichte und der symbolischen Systeme wäre. Signifikanter (nur verdrängter) wäre das Loch, das Rauschen, die Verschlingung, die Leere, in die ›die Geschichte(n)‹, das Leben, immer wieder gefallen wären: die Körper auslöschend und sie programmierend zugleich … Als Autor der Schöpfungsgeschichten kommt die Mafia [der Männer] demnach in Frage; nicht aber als die Schöpfungskraft selbst. In diese teilen sich Frauen und Katastrophen.«

Trotz der Behauptung, Frauen verkörperten sowohl schöpferische als auch zerstörerische Energien, interessieren Theweleit am meisten die Katastrophen, die Männer bewirkten. Die Geschichte belegt ihre ewige Kriegsbereitschaft. Selbst die Kunst − eigentlich unternimmt Theweleit mit dem Buch der Könige den Versuch einer Kunsttheorie – entsteht aus dem Kampf. Über die Auseinandersetzung zwischen Benn, Becher und Kisch befindet er: »Es ist Männer-Krieg um die Weltschöpfungsarten, ihr Lieblingsspiel.« Der kritische Ton, in dem das gesagt ist, kann nur schwer die Faszination verbergen, die das männliche Imponiergehabe auf den Freiburger Philosophen ausübt. Gewitzt aber durch seine Erkenntnis über männliche Wunschträume, die er mit seinem ersten Buch Männerphantasien gewonnen hat, geht Theweleit raffinierter mit dem erotischen Material um als seine philosophischen Zeitgenossen; er dosiert es vorsichtiger und wirkt deshalb seriöser. Um die Laszivität zu verbergen, arbeitet Theweleit mit dem gegenseitigen Kommentar von Text und Bild. Der Text braucht nicht zu sagen, was das Bild nur allzu deutlich verkündet.

Die Moritat von der amerikanischen Jüdin, Journalistin, Fabrikantentochter Natalie Clifford Barney ist ein Beispiel für diese Taktik des Autors. Herkunft und Tätigkeit machen sie zu einem Wesen, das Theweleits ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht und seine Bewunderung herausfordern würde, wäre sie nicht letztlich dadurch dubios, daß sie sich für den Faschismus entschied.

Dies ist eine Gelegenheit, den Hang zu verbotenen Leidenschaften in ihr zu entdecken und zu genießen. Davon aber sagt der Text nichts. Das Arrangement der Bilder, die den Text begleiten, ersetzt die Analyse des Falls. Die Serie der Abbildungen von Gemälden oder Kunstwerken beginnt mit zwei Porträtfotos von Frauen − »Mischfotos« nennt sie Theweleit, weil sich in ihnen Züge von Jane Fonda bis Marilyn Monroe mischen −, deren lyrisch-zartes Gesicht jedes Männerherz dahinschmelzen läßt; eine kunsthandwerkliche Darstellung der weiblichen Genitalien zwischen gespreizten Beinen nach einem Gemälde Natalie Barneys folgt, auf der gegenüberliegenden Seite sieht man Mussolini an seinem gewaltigen Schreibtisch sitzen, über den hinweg seine raubtierhaftstechenden Augen den Betrachter anfunkeln, Dämonie, die männliches Fleisch geworden ist; die Fleisch gewordene Weiblichkeit hingegen stellt sich gleich darauf in zwei Frauen aus einem Rubensgemälde vor; ihm folgen grazilere Figuren: bacchantische Tänzerinnen in schwingenden Gewändern; dasselbe, noch einmal tanzende Frauen, wiederholt sich auf dem nächsten Tableau in modernisierter Gestalt als eine Art Schlafzimmerkitsch; ein Foto aus der Gegenwart aktualisiert die verführerische Bildergalerie: Es zeigt zwei appetitliche junge Damen in Unterwäsche, die sich gegenseitig frisieren; das Ausrufezeichen, das diesen pornographischen Bildsatz abschließt, ist ein kniender Männerleib, dessen Kopf eine Faust ersetzt. Die Bilder bleiben stumm. Theweleit spricht nicht mehr, wie in den Männerphantasien, über Bilder, sondern durch sie.

Seine Historiographie ist dabei so gut pornographisch wie die Philosophie Sloterdijks. Theweleits Geschichte der Brutalität ist nur das Komplement zu jener Vision, die Sloterdijk verkündet. Beide Modelle gehören zusammen wie Apokalypse und Erlösung. In der Heilsgeschichte übernimmt Theweleit die Rolle des Weltenrichters, Sloterdijk die des Heilands, der den Weg zurück in eine bessere Welt weist. Die Regentschaft führt, je nachdem, der dämonische Vater oder die marianische Mutter.

Der Zusammenhang von Frauenverehrung, Kriegsphantasie und apokalyptischer Katastrophe ist bei Theweleit wie bei Kittler an der Wortwahl zu erkennen. Bei diesem ist die sentimentale Sehnsucht nach dem Muttermund eingekerkert in die Sprache der Verwaltung und Technologie. Die sehnsuchtsvoll imaginierten weiblichen Köperteile geraten ins Stahlgewitter einer kriegerischen Sprachphantasie. Eine beliebige Auswahl aus Kittlers Formulierungen mag das zeigen: »Die Mütter (gelangen) auf strategisch entscheidenden Posten.« »Die Zerlegung Spr/ach/e stellt die basale Maschinenoperation im Aufschreibesystem von 1800 dar.« »Das alte Marionettentheater ist denkbar geeignet, Geschlechterkriegssiege nach strategisch-politischen Regeln ins Bild zu setzen.«

Theweleit wählt statt dessen außer pornographischen Bildern lieber einen salopp-aggressiven Stammtischstil. Über eine Auseinandersetzung Benns mit Kisch und Becher heißt es: »Ihr Krieg wird angenommen: Johannes R. Becher und Egon Kisch … schlagen zurück als politische Journalisten, links, gegen einen Artistensack.« Vom Stammtisch bezieht Theweleit die Erzähltaktik seiner Bücher überhaupt, das Politisieren so gut wie die dazwischen eingestreuten Männerwitze. Die sparsame Verwendung pornographischer Elemente gehört zum Schwadronierstil der Stammtischrunde. Das männliche Verantwortungsbewußtsein politischen Verhältnissen gegenüber wird lange durchgehalten, bis sich schließlich doch die Schamlosigkeit Luft macht und der männlichen Potenz zu ihrem Recht verhilft, indem durch zweideutige Reden die Heiligtümer des Bürgertums beschmutzt werden.

Anzüglichkeit ist der Stil aller Porno-Philosophie. Dieser Habitus, so sollte man meinen, müßte Frauen von der Lektüre der Bücher abhalten. Um eben das zu verhindern, lassen sich die Männer die Verehrung der Weiblichkeit so demonstrativ angelegen sein. Mit Zweideutigkeiten, zumal wenn sie durch Amt und Würde geschützt sind, läßt sich ein weibliches Publikum leicht fangen. Daß mit einer Banane ein Phallus, mit einer Pflaume das weibliche Geschlechtsteil gemeint sein könnte, daß, wenn von etwas gesagt wird, es stehe wie eine Eins, die männliche Potenz aufgerufen ist und daß einer, den man eine Flasche nennt, sich als Weib diffamiert fühlen muß: Das zu begreifen sind Frauen nicht geschult; Frauen bleiben ein Leben lang semiotisch unschuldig. Dies ist die Bedingung für ihre Verführbarkeit durch männliche Ver-Sprechungen von der Art der pornographischen Philosophie.

Eine offene Rede über die Sexualität ist heute in jeder Gesellschaft erlaubt. Gerade die Vermischung mit dem philosophischen Ernst macht die erotischen Ver-Sprecher wieder lasziv. Porno-Philosophie ist die hohe Kunst des Redens in Zweideutigkeiten, die als weltgeschichtliche Ahnungen ausgegeben werden.