Merkur Nr. 530, Mai 1993

Eine abgewehrte soziale Bewegung?
Der jugendliche Rechtspopulismus in der neuen Bundesrepublik

von Heinz Bude

 

Es ist sicher richtig, was Erwin K. Scheuch 1967 feststellte: daß der Rechtsradikalismus »zur normalen Pathologie von freiheitlichen Industriegesellschaften gehört.«[1. Erwin K. Scheuch unter Mitarbeit von Hans D. Klingemann, Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften. In: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 1967.] Der Code von »rechts« und »links« ist nach beiden Seiten hin offen, und Extremisierungen sind unter bestimmten Bedingungen des politischen Systems erwartbar. Außerdem ist die politische Rhetorik von Volkssolidarität, Führerglaube und Blutgesetz nach 1945 nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil: Wer sie heute benutzt, ist sich der öffentlichen Aufmerksamkeit sicher. Nur hat sich seit den glücklichen sechziger Jahren, als die NPD bei einigen Landtagswahlen immerhin die FDP überflügelte, in Deutschland einiges geändert. Das betrifft nicht allein die plötzliche deutsche Einigung, sondern vor allem grundlegende Revisionen in der Politik des Wohlfahrtsstaates. Es ist unklar, wie sich die staatliche Niveaugarantie für Bildung, Gesundheit, wirtschaftliches Wachstum und soziale Sicherheit in der Zukunft gestalten wird. Wohlfahrtsstaatliche Politik ist paradoxerweise zu einer Quelle für ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit geworden.

In dieser Situation kommt es zu einem Verteilungskampf der reichen Bürger der westlichen Wohlfahrtsstaaten, die ihre kollektive Existenzgrundlage in Gefahr sehen, mit den neuen, aber armen Bürgern aus den Staaten Osteuropas und zum Teil der sogenannten Dritten Welt, die nun zum Westen dazugekommen sind und den Anspruch auf eine westliche Lebensweise erheben. Hier liegt der Ursprung eines in der Mitte unserer Gesellschaft sich ausbreitenden »demokratischen Rassismus«. Dabei geht es nicht um die wiederkehrende Vorstellung »höherwertiger Rassen«, sondern um eine »Rhetorik der Unnachgiebigkeit« (Albert O. Hirschman) gegenüber neuen Anrechtsgruppen. Das erreichte »Eigene« wird gegen die habsüchtigen »Fremden« verteidigt. Es steht kein anderer Schematismus als der von »Eigenem« und »Fremdem« zur Verfügung, um das eigene schlechte Gewissen zu besänftigen. Bürger im rechtlichen und politischen Sinne sind wir alle, aber die sozialen und ökonomischen Wohlfahrtsrechte gelten nur für die Bürger des eigenen Landes. Die bohrende Frage lautet dann: Wer ist Bürger des eigenen Landes? Der Wohlfahrtsstaat ist national konstituiert, und man wird sich daher darauf einstellen müssen, daß er in nationalistischen Kategorien verteidigt wird.

In den sechziger Jahren konnte man noch glauben, der Rechtsradikalismus sei ein seelisches Relikt unbewältigter Vergangenheit, heute müssen wir uns eingestehen, daß die Offensive von rechts mitten aus unserer Gegenwart kommt. Diesen epochalen Problemwechsel darf man nicht aus dem Blick verlieren, wenn die Ursachen und Gründe des gegenwärtigen Rechtspopulismus zur Debatte stehen.

Worum geht es? Ein Blick in die Kriminalitätsstatistik zeigt, daß es ab August 1991 zu einer dramatischen Erhöhung fremdenfeindlicher Straftaten in Deutschland kommt. Die Straftaten umfassen die klassischen Gewaltdelikte, aber dazu kommen noch die Straftatbestände der »Verbreitung von Propagandamitteln« und »Verwendung von Kennzeichen« verfassungsfeindlicher Organisationen sowie die »Störung des öffentlichen Friedens«. Im November und Dezember 1991 flacht die Welle deutlich ab, stabilisiert sich jedoch im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren auf hohem Niveau. Im September 1992 eskaliert die fremdenfeindliche Gewalt in bisher nicht gekanntem Ausmaße. Nach den Krawallen von Rostock scheint die Serie kein Ende nehmen zu wollen. Die als mediales Ereignis völlig verunglückte Staatsdemonstration gegen fremdenfeindliche Gewalt in Deutschland am 7. November 1992 in Berlin bildet den Ausgangspunkt für eine Reihe von selbstorganisierten Lichterketten für eine fremdenfreundliche Republik. Sie verdanken sich der Initiative einiger sich jung, dynamisch und modern gebender und im Umgang mit den Medien vertrauter Bürger. Im November und Dezember 1992 geht die Serie der Anschläge gegen Asylbewerberheime, der Schändung jüdischer Friedhöfe und Gräber und der Gewalttaten gegen Ausländer, Obdachlose und Wehrlose anscheinend zu Ende. Jedenfalls zwingt die Reaktion der öffentlichen Meinung den Rechtspopulismus in die Defensive. Allerdings ist wieder eine Erhöhung des Normalitätsniveaus von Gewalt mit rechtsradikalem Hintergrund festzustellen.

Die Gewalttäter sind zu 95 Prozent sehr junge Männer. Mehr als 80 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen sind jünger als 25 Jahre, über 70 Prozent jünger als 20 Jahre und mehr als 35 Prozent sogar jünger als 17 Jahre. Aus sozialarbeiterischer Perspektive lassen sich im rechten Spektrum drei Altersgruppen mit jeweils spezifischen Einstellungen identifizieren: Viele der 18- bis 23jährigen befinden sich in einer Phase adoleszenter Labilität, wo eine Freundin sie mit einem Mal aus der rechten Szene herausführen kann; die über 23jährigen sind dagegen in ihrer rechtsextremen Haltung weitaus fixierter und lassen sich meistens kaum noch beeinflussen; für die Jugendlichen unter 18 Jahren ist Rechtssein vor allem eine Geste, die den Spaß am Widerstand steigert. Allerdings versagt bei allen drei Gruppen wohlgemeinte Aufklärungsarbeit. Borniertheit, um eine kürzlich von Niklas Luhmann eingeführte Unterscheidung aufzugreifen, gefällt ihnen einfach besser als Empathie.

Ich möchte vor allem auf drei Entstehungsgründe für den jugendlichen Rechtspopulismus aufmerksam machen: auf die politische Gelegenheitsstruktur, die einen kollektiven Akteur ermutigt hat; auf die Interaktion zwischen der jugendlichen Akteursgruppe und anderen gesellschaftlichen Gruppen, die die Mobilisierungswelle zuerst verstärkt und dann zum Stillstand gebracht hat; und auf den reflexiven Charakter dieser Bewegung, die man als »rechte« Variation eines »linken« Schemas beschreiben kann.

Sidney Tarrow hat in einer Systematisierung einiger Elemente aus den verschiedenen Theorien sozialer Bewegungen vorgeschlagen, das Auftreten von Protestgruppen als kollektive Antwort auf eine günstige politische Gelegenheitsstruktur anzusehen.[1. Sidney Tarrow, Kollektives Handeln und politische Gelegenheitsstruktur in Mobilisierungswellen. Theoretische Perspektiven. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Nr.4, 1991.] Auch wenn man die rechtsradikalen jugendlichen Gewalttäter nicht als Protestgruppe bezeichnen mag, so führt diese Beschreibung doch einen bestimmten Entstehungszusammenhang dieser Welle von Gewalt vor Augen.

Anfang der neunziger Jahre kommt die Rede von der »Politikverdrossenheit« auf. Man denke nur an den enormen Erfolg der kleinen Studie des Ehepaars Scheuch über Cliquen, Klüngel und Karrieren, die im Untertitel Über den Verfall der politischen Parteien heißt. Nach dem Ende eines boomenden Jahrzehnts wird die Schwäche der politischen Bindungen entdeckt. Kohl erweist sich als der Kanzler des »Kasinokapitalismus«, dem zum Schluß noch ein großer Coup gelungen ist. Als nach der deutschen Einigung die Rechnung bezahlt werden muß, wird der Ruf nach der Politik wach. Aber in der »politischen Klasse« sind weder starke Überzeugungen noch gute Ideen zu finden. Es ist nicht nur ein Mangel an Moral, sondern vor allem an Regulationsintelligenz zu konstatieren.

Die Funktion der politischen Eliten in der Demokratie besteht, mit den klassischen Begriffen von Rousseau gesprochen, darin, den »volonté de tous« in einen »volonté générale« zu verwandeln. Diese Grundvoraussetzung für die politische Willensbildung des Volkes ist offenbar immer weniger gegeben. Die vollständige Demokratisierung des Nichtwissens fördert angesichts des Schwindens der Normalitätsunterstellungen der Nachkriegszeit eine Atmosphäre erhöhter gesellschaftlicher Nervosität. Die Asylfrage bringt ein rumorendes Gefühl auf den Punkt. Der dramatisierende Effekt der entsprechenden Diskussion zwischen den Parteien rührt daher, daß Reform oder Wiederherstellung des vormaligen Zustandes gleichermaßen unmöglich scheinen. In der Sicht von Albert O. Hirschman stellen solche No-exit-Situationen bekanntlich eine auslösende Bedingung für das Entstehen sozialer Bewegungen dar.

Die rechtspopulistische Bewegung profitiert von der hier deutlich werdenden politischen Handlungsunfähigkeit. Es mehren sich die sowieso schon vorhandenen Zweifel an der Interventionsfähigkeit des Staates und seiner Institutionen. Solche sich zuspitzenden »Vertrauenskrisen« können Gruppen mit geringen Ressourcen an Geld, Macht und Vertrauen ermutigen, sich in der Rolle von Volkstribunen zu versuchen, die den eigentlichen Willen der schweigenden Mehrheit zum Ausdruck bringen.

Aber eine randständige Akteursgruppe kann nur dann in der Öffentlichkeit hervortreten, wenn die Reaktion der dominanten gesellschaftlichen Gruppen es erlaubt. Das Aufschäumen des jugendlichen Rechtspopulismus verdankt sich Einer merkwürdig unentschiedenen Antwort anderer gesellschaftlicher Gruppen. Auf Verhalten wurde nämlich nicht sogleich mit Verhalten reagiert, sondern lange Zeit mit Verständnis. Auffällig war das interpretative Bemühen, das von den staatlichen Organisationen, von den Medien, von den politischen Parteien und nicht zuletzt von den Sozialwissenschaften an den Tag gelegt wurde, um die Beweggründe dieser »fehlgeleiteten Jugendlichen« zu verstehen. Es muß doch etwas dahinter stehen, wenn sich unsere Kinder so verhalten. Die Eltern, die so fragen, fragen in der Regel nach sich selbst. Man kommt nicht umhin, das Wirken eines Systems verborgener Loyalitäten in den Interaktionsprozessen zwischen der rechtsradikalen Akteursgruppe und den gesellschaftlichen Instanzen zu vermuten. Hier geht die gruppensoziologisch angelegte Theorie sozialer Bewegungen in eine Psychoanalyse des Sozialen über.

Nicht täuschen darf man sich freilich über den reflexiven Charakter dieser sozialen Bewegung von rechts. Das Aktionsrepertoire des jugendlichen Rechtspopulismus macht Anleihen an der Geschichte sozialer Bewegungen. Es werden nicht allein die Symbolwelten der nationalsozialistischen Bewegung beschworen, die Form der »direkten Aktion« hat, wenn man so will, »antiautoritäre« Vorbilder. Die Bewegung verfolgt kein anderes Ziel als die Bewegung. Und ob sich etwas bewegt, zeigt sich in den Medien. Ein entscheidender Mechanismus für die Mobilisierung kollektiven Handelns ist »media coverage«. Die Brandanschläge sind keine Aktionen auf dem Wege zur Verwirklichung eines langfristigen Projekts, sie dienen allein der Darstellung von Präsenz. Daher ist die »kritische Masse«, die notwendig ist, um einen kollektiven Akteur in Gang zu setzen, auch so gering. 7000 potentiell gewaltbereite Jugendliche − mehr sind es nach polizeistatistischer Schätzung nicht − können eine ganze Nation in Atem halten.

Die ersten Lichterketten waren Ausdruck des Erschreckens der Eltern über ihre sittlich verwahrlosten Kinder. Der Furie der Jugend wurden brennende Kerzen entgegengehalten. Da spielte vorweihnachtliche Sentimentalität mit, aber im Blick auf die latente Sinnstruktur dieser Antwort mag man vielleicht über die Symbolik des heilenden Lichts nicht mehr spotten. Wie auch immer, die Botschaft der Lichterketten an die rechtsradikalen Jugendlichen lautete, daß sie sich bei ihrer Gewalt nicht mehr auf das Gefühl einer geheimen Delegation von der schweigenden Mehrheit auf die militante Minderheit berufen können, sondern daß sie fortan mit ihren Aktionen alleine stehen. Es handelt sich gewissermaßen um den Versuch eines kollektiven Liebesentzugs. Man muß nun warten, ob diese sozialisatorische Praktik bei den Jugendlichen verfängt.

»Niemand, der die Sitten und Auffassungen seiner Umwelt verletzt, entrinnt der Strafe ihrer Kritik und ihrer Feindseligkeit. Nicht einer unter zehntausend Menschen ist so unbeugsam und so stumpf, so unempfindlich, daß er sich aufrechthalten könnte, wenn er in seinem Kreis auf Ablehnung und Unbeliebtheit stößt. Das muß ein unnatürlicher und abwegiger Charakter sein, der sich damit abfinden kann, in seiner engeren Umgebung überall Mißachtung zu spüren. Viele Menschen haben die Einsamkeit gesucht und sich mit ihr befreundet: aber wer überhaupt ein menschenähnliches Wesen hat, bringt es nicht fertig, in einer Welt zu leben, in der ihm seine Mitmenschen − seine Bekannten und die Leute, mit denen er spricht − ständig abweisend und verächtlich begegnen.« Niemand anders als Elisabeth Noelle-Neumann beruft sich bei der ersten Formulierung ihrer in der Umfrageforschung sehr einflußreichen Theorie der öffentlichen Meinung[1. Elisabeth Noelle, Öffentliche Meinung und Soziale Kontrolle. Tübingen: Mohr 1966.] auf John Lockes Erläuterungen zum »law of opinion« in dessen Essay Concerning Human Understanding. Es ist die öffentliche Meinung, die im Zweifelsfall, das heißt im Zustand der Veränderung, Erregung, Störung oder Gefahr, die sittliche Integrität der Gesellschaft garantiert.

Elisabeth Noelle-Neumann macht darauf aufmerksam, daß die öffentliche Meinung nach zwei Seiten hin wirkt: Sie kontrolliert einerseits die politische Herrschaft, und sie integriert andererseits den einzelnen in die Gesellschaft. In beiden Fällen geht es um soziale Kontrolle, aber die Mittel sind unterschiedlich: Der einzelne wird isoliert, und den Herrschenden wird der Entzug der Macht angedroht.

In einer bestimmten kritischen Tradition haben wir uns daran gewöhnt, die kontrollierende Funktion der öffentlichen Meinung nur gegenüber dem politischen System als positiv anzusehen, nicht jedoch gegenüber den Selbstentfaltungsansprüchen des einzelnen. Dem gesamten »labeling-approach« zum Beispiel, der das »abweichende Verhalten« zu einem Definitionsproblem der anderen erklärt, liegt die Absicht zugrunde, die naturalisierenden Konstrukte der öffentlichen Meinung zu destruieren, um dem Recht auf individuelle Differenz Platz zu schaffen. Plötzlich steht uns jedoch vor Augen, daß es Grenzen der individuellen Erlebnissteigerung gibt, wenn die republikanische Grundordnung auf dem Spiele steht, und wir sind froh, daß sich in unserem Land eine öffentliche Meinung kundtut, die diese Grenzen bekräftigt.

 

 

Aber war das nicht ein einmaliger Vorgang, der uns über die Möglichkeiten einer normativen Integration der Gesellschaft täuscht? Es ist in der Tat zu fragen, ob nach dem »Ende der Aufrichtigkeit« (Lionel Trilling) die Bezugnahme auf ein System der Sittlichkeit nicht hilflos bleibt. In der »Erlebnisgesellschaft« (Gerhard Schulze), so wird uns gesagt, ist die soziale Umwelt nur noch Mittel der individuellen Sensibilität, die Anerkennung durch andere nicht mehr Zweck der subjektiven Selbstvervollkommnung. Mit welchen Gründen kann dann noch jemand an seinem Vergnügen an rassistischer Borniertheit gehindert werden? Kann die Androhung des kollektiven Liebesentzugs überhaupt noch Wirkung haben?

Wie man die Erfolgsaussichten dieser Intervention beurteilt, hängt davon ab, wo man den Anfang des jugendlichen Rechtspopulismus sieht. Vielfach wird behauptet, mit der deutschen Einigung habe alles angefangen. Der jugendliche Rechtspopulismus sei nur der extreme und abgespaltene Ausdruck eines niedergedrückten nationalen Größen-Selbst. Die Wächter des bundesrepublikanischen Funktionsstaates würden das gefährliche Spiel mit den nationalistischen Parolen geradezu provozieren. Weil die einen überhaupt nicht von Deutschland reden, tun es die anderen nur noch.

Richtig daran ist sicher, daß sich mit der deutschen Einigung eine Veränderung des Gesellschaftskörpers ergeben hat, die weder intellektuell noch politisch eine angemessene Deutung gefunden hat. Das Ende der Nachkriegszeit bedeutete in Deutschland das Ende eines Provisoriums, das die meisten für einen Dauerzustand gehalten hatten. Was es nun heißt, eine Nation zu sein, die die Wahrung der eigenen Interessen nicht mehr anderen überlassen kann, dafür fehlt noch der Boden des Selbstverständlichen. Zumindest bietet dafür die »verhärtete Leugnung des Nationalcharakters«, von der Norbert Elias in seinen Studien über die Deutschen gesprochen hat, keine gute Voraussetzung.

Eine andere Erklärung hebt darauf ab, daß in der internationalen Popkultur seit langem eine Tendenz zu einer mit rechtsradikaler Symbolik arbeitenden Ästhetik der Grausamkeit zu erkennen ist. Der Punk hat dem Pop dieses Register zugänglich gemacht. Schon 1977 sang Johnny Rotten von den Sex Pistols »I don’t want a holiday in the sun, I want to go to the new Belsen«. Gemeint war das KZ Bergen-Belsen, und die Platte hieß Holidays in the Sun. Vor dem Dada-Geist des Punk war auch die Welt des Nationalsozialismus nicht sicher. 1981 forderte die Gruppe Deutsch-Amerikanische Freundschaft: »Beweg deine Hüften, geh in die Knie und tanz den Mussolini. Und jetzt den Adolf Hitler …« Dem Punk der Sex Pistols fühlen sich auch die Böhsen Onkelz verpflichtet. 1986 skandierten sie auf ihrem Album Der nette Mann »Türken raus!« oder »Deutschland den Deutschen!«. Das war deutscher Punk, und die Onkelz galten als »Fascho-Gruppe«. Heute versuchen sie, dieses Image loszuwerden und gelten als die einzige Gruppe im rechten Spektrum, die über ein vermittelndes Potential verfügt. Mit der neuen Position ist indes ein quälender Relativismus verbunden, wie er sich etwa in dieser Sequenz ausdrückt: »Was ist verboten, was ist legal, was ist entartet, was ist normal?« Die militanten rechtsradikalen Gruppen kennen die Ironie, die im Namen der Böhsen Onkelz noch auftaucht, nicht mehr. Sie heißen Störkraft, Kahlkopf, Volkszorn oder Endsieg. Die Popkultur, die als Entstehungsbedingung für eine autonome Jugendsphäre jenseits jugendbewegter Idylle angesehen werden kann, ist nicht mehr selbstverständlich links oder libertinär eingestellt, und sie garantiert kein jugendliches Weltbürgertum. Wenn Affektgenauigkeit über politischer Korrektheit steht, ist offen, wohin die Sache geht. Die »Blumen des Bösen« stellen im übrigen immer eine Versuchung dar.

Aber weder die deutsche Einigung noch der Punk von rechts können erklären, warum ausgerechnet im August 1991 die Bewegung der Gewalt begann. Da war der Golfkrieg gerade beendet, der eine klare Botschaft enthielt: Es gibt Probleme zwischen Menschen und Völkern, die lassen sich mit Kommunikation nicht lösen. Von einem bestimmten Moment an muß gehandelt werden − auch wenn das Krieg bedeutet.

Vielleicht liegt hier einer der Gründe für die plötzliche Legitimierung von Gewalt als Mittel wilder Selbstbehauptung. Nachdem die deutsche Einigung glücklich über die Bühne gegangen war, sahen sich die Deutschen beinahe wieder in einen Krieg verwickelt. Noch einmal nahmen ihnen die Alliierten das Handeln ab, aber dafür mußten sie sich besonders von den Engländern, die sich an die Zeiten Churchills erinnert fühlten, den Vorwurf der Schwäche bei der Verteidigung der demokratischen Werte gefallen lassen. Die Deutschen, so hieß es, können nur zahlen, nicht kämpfen.

Den Golfkrieg kann man politisch und moralisch gewiß ganz unterschiedlich beurteilen − und es gab ja auch in Deutschland den Streit zwischen »Bellizisten« und »Pazifisten« −, fest steht wohl nur, daß Reden allein nicht mehr geholfen hätte. Die jugendlichen Gewalttäter scheinen daraus ihre Folgerungen gezogen zu haben. Nur hat das nichts mehr mit der Verteidigung von Werten zu tun, das bloße Schema der Gewalt ist übriggeblieben. Andererseits ist in der Reaktion auf den jugendlichen Rechtspopulismus die Frage nach dem »demokratischen Leviathan« aufgeworfen worden. Mit rechtsradikalen Straftätern, die die Geschäftsordnung unserer Republik gefährden, kann man nicht nur reden, da muß auch gehandelt werden. Gewalt, in diesem Fall staatlich monopolisiert und legitimiert, wurde von der im Prinzip immer noch links eingestellten kulturellen Mehrheit als Mittel zur Verteidigung der liberalen Demokratie bejaht. Damit hat der kommunikative Optimismus der alten Bundesrepublik ein Ende gefunden.

Der jugendliche Rechtspopulismus ist zugleich eine Folge und Ausdruck des Endes des Erlebnisjahrzehnts der achtziger Jahre. Folge insofern, als das Rechtssein in den achtziger Jahren in das jugendliche Spaßregister aufgenommen worden ist und sich zudem als Waffe im Generationenkampf bewährte. Erfolgreicher kann man einen aus der Generation der Kriegskinder stammenden Lehrer nicht provozieren, als daß man seine Uneinsichtigkeit bei der Aufklärung über den Nationalsozialismus zur Schau stellt. Andererseits unterbricht das rassistische Schema des Rechtsradikalismus das endlose Weitermachen mit dem Vertrauten und Bekannten. Mit einem Mal tritt die Unwahrscheinlichkeit der Bundesrepublik nach 1945 ins allgemeine Bewußtsein. Es wird deutlich, daß die liberale Demokratie nicht das logische Ende der Geschichte darstellt, sondern ein immer gefährdetes und niemals gesichertes Projekt, das im Zweifelsfall verteidigt werden muß.

Mit der »Geschichte« kehrte auch der »Mensch« zurück, dem der zwanglose Zwang des besseren Arguments völlig gleichgültig ist. Das Böse, ganz unmetaphysisch und ganz unästhetisch, ist wieder als grundlegende anthropologische Möglichkeit zu entdecken. Die liberale Demokratie kann sich freilich auf nichts anderem gründen als auf dem kommunikativen Paradigma. Aber der »Mensch« kann offensichtlich auch in dieser Hinsicht anders. Zum Glück erhöht die Einsicht, daß es keine universellen Garantien der Verständigung gibt, den Wert der Kommunikation.