S. 41
die von einer sechzig Meter hohen Kuppel überwölbte Halle der Centraal Station
(Sebald, Austerlitz, S. 13)

S. 41
dem Welthandel und Weltverkehr geweihten Kathedrale
(ebd., S. 20)

S. 41
Gottheiten des 19. Jahrhunderts
(ebd. S.21)

S. 41
Korngarben, gekreuzten Hämmer und geflügelten Räder
(ebd.)

S. 41
das heraldische Motiv des Bienenkorbs
(ebd.)

S. 41
das Prinzip der Kapitalakkumulation
(ebd.)

S. 41
aber unter all diesen Symbolen … stehe an höchster Stelle die durch Zeiger und Zifferblatt vertretene Zeit.
(ebd.)

S. 42
als gäbe es überhaupt keine Zeit, sondern nur verschiedene, nach einer höheren Stereometrie ineinander verschachtelte Räume, zwischen denen die Lebendigen und die Toten, je nachdem es ihnen zumute ist, hin und her gehen können
(ebd., S. 269)

S. 42
englischen Päderasten
(Sebald, Schwindel. Gefühle., S. 103.)

S. 42
erfüllt von Gefühlen der äußersten Peinlichkeit
(ebd.)

S. 42
Ich saß an einem Tisch nahe der offenen Terrassentür, hatte meine Papiere und Aufzeichnungen um mich her ausgebreitet und zog Verbindungslinien zwischen weit auseinanderliegenden Ereignissen, die mir der selben Ordnung anzugehören schienen. Luciana, die hinter der Theke wirtschaftete, blickte immer wieder aus den Augenwinkeln zu mir herüber, als wolle sie sich vergewissern, daß mir der Faden nicht abgerissen sei. Einmal fragte sie mich, ob ich ein Journalist sei oder ein Schriftsteller. Als ich ihr sagte, daß weder das eine noch das andere ganz zutreffe, wollte sie wissen, was ich jetzt gerade zu Papier bringe, worauf ich ihr wahrheitsgemäß sagte, daß ich mir darüber selbst nicht recht im klaren sei, daß ich aber in zunehmendem Maße das Gefühl habe, es handle sich um einen Kriminalroman.
(ebd. S. 107f)

S. 43
In der Nacht vom neunten auf den zehnten Februar träumte mir, ich speiste auf einer Reise auf einer Straße in einer Bude, worin zugleich gewürfelt wurde. Mir gegenüber saß ein junger, gut angekleideter, etwas aufgequollener Mann auf einem Hochseil, der ohne auf uns andere zu achten seine Suppe aß, aber immer den zweiten oder dritten Löffel in die Höhe warf, wieder fing und dann ruhig ausschlürfte. Beim Würfeln saß eine lange, hagere Frau und hielt Pinocchio in den Armen. Ich fragte, was man da gewinnen könne, und sie sagte: »Nichts«, und als ich fragte, ob man was verlieren könne, sagte sie: »Nein!« Das hielt ich für ein wichtiges Spiel.
(http://a-l-l.org/#/stars/lichtenbergs-letzter-traum)

S. 45
der ehemalige Superintendent der Reinoldikirche
(https://de.wikipedia.org/wiki/Reinoldus)

S. 45
Es dürfte verhältnismäßig selten sein, daß man die Spuren des Schutzpatrons einer Kirche und einer Stadt außerhalb der historischen Überlieferung allein in Sage und Dichtung suchen muß
(ebd.)

S. 45
Ins Exil zu gehen bedeutet nicht, das man verschwindet, man macht sich klein, reduziert sich, langsam oder in rasender Geschwindigkeit, bis die wahre Größe erreicht ist, die wahre Seinsgröße. Alle Literatur trägt das Exil in sich, egal, ob sich der Schriftsteller mit zwanzig aus dem Staub machen musste oder nie sein Haus verlassen hat. Was, wenn wir alle Exilanten wären? Wenn wir alle durch fremde Länder irren?
(Bolaño, Exil im Niemandsland, S.12)

S. 45
Jedes gute deutschsprachige Buch ist auch ein Buch über Deutschland
(http://www.sueddeutsche.de/kultur/literatur-der-geist-gehoert-zu-deutschland-wie-bratwurst-und-bier-1.3634828)

S. 45-46
mir fällt ein Gedicht von Nicanor Parra ein“, schreibt er, „ein Gedicht, das mir wie geschaffen scheint, um von Literatur zu reden, auch von chilenischer Literatur, dem Exil und der Verbannung. In dem Gedicht ist gleich zu Beginn die Rede von den vier großen Dichtern Chiles, eine eminent chilenische Debatte, von der alle anderen, das heißt 99,99 Prozent der Literaturkritik auf dem Planeten Erde, höflich und leicht genervt keinerlei Notiz nehmen. Es gibt Leute, die behaupten, die vier großen Dichter Chiles seien Gabriela Mistral, Pablo Neruda, Vicente Huidobro und Pablo de Rokha; andere meinen, es seien Pablo Neruda, Nicanor Parra, Vicente Huidobro und Gabriela Mistral; die Reihenfolge verändert sich also je nach Zusammensetzung der Diskutierenden, aber es gibt immer fünf Anwärter auf vier Stühle, während es doch nur logisch wäre, von den fünf großen Dichtern Chiles zu reden und nicht von den vier großen Dichtern Chiles. Aber dann gibt es noch das Gedicht von Parra, wo es heißt: Die vier großen Dichter Chiles / Sind drei: / Alonso de Ercilla und Rubén Darío. Wie Sie wissen war Alonso de Ercilla spanischer Soldat, ein stattlicher Aristokrat, der an den Kolonialkriegen gegen die Araukanier teilnahm und der, wieder daheim in seiner Heimat Kastilien, La Araucana schrieb, für die Chilenen das Grundlagenwerk unseres Landes und für die Liebhaber der Dichtung und der Geschichte ein großartiges Buch, voller Elan und herrlicher Großmut. Rubén Darío war, wie Sie vielleicht wissen, und wenn Sie es nicht wissen, dann macht es nichts – kaum einer weiß es, nicht einmal wir selbst –, der Begründer des modernismo und einer der bedeutendsten Dichter in spanischer Sprache im zwanzigsten Jahrhundert, wahrscheinlich der bedeutendste, geboren 1867 in Nicaragua und gestorben 1916 in Nicaragua, der am Ende des neunzehnten Jahrhunderts nach Chile kam, wo er gute Freunde fand und schöne Lesungen abhielt, wo er aber von der herrschenden Klasse, die sich immer in der eitlen Vorstellung sonnte, zu hundert Prozent ein Teil der weißen Rasse zu sein, als Indianer oder Neger behandelt wurde.
(Bolaño, Exil im Niemandsland, S.37f)

S. 46
ein explosives Artefakt, dazu da, damit uns Chilenen die Augen geöffnet werden und wir endlich mit den Dummheiten aufhören, ein Gedicht, das die vierte Dimension erkundet, aber eine vierte Dimension des bürgerlichen Bewusstseins, denn obwohl es auf den ersten Blick wie ein Witz wirkt, ganz abgesehen davon, dass es ein Witz ist, offenbart es sich auf den zweiten Blick als eine Art Deklaration der Menschenrechte.
(ebd., S. 39)

S. 47
Abends mit Magda Film ‚M‘ von Fritz Lang gesehen. Fabelhaft! Gegen die Humanitätsduselei. Für Todesstrafe! Gut gemacht.(https://de.wikipedia.org/wiki/M_(1931))

S. 48
Wir haben also Alonso de Ercilla und Rubén Darío, die vier großen Dichter Chiles, und wir haben das, was uns Parras Gedicht zuallererst lehren will, nämlich dass wir sie nicht haben, dass wir sie uns nicht aneignen können, nur lesen können wir sie, und das ist schon eine ganze Menge.
(Bolaño, Exil im Niemandsland, S.40)

S. 48
ohne die Absicht zu bleiben, ohne die geringste Absicht
(ebd. S.40)

S. 48
Über Schicksal und Verhängnis
(Bolaño, 2666, S. 14)

S. 48
der Stotterer aus Lille

fünfzigjährige Nutte

(Bolaño, Die Nöte des wahren Polizisten, S. 175f)

S. 49
Bar in der Spenglerstraße
(Bolaño, 2666, S. 1015)

S. 49
Ich war mir sicher, ich würde dich oder jemanden wie dich hier finden
(ebd. S. 1019)

S. 49
Ich liebe sie, ich kenne sie, und vieles an ihr werde ich noch kennen lernen, aber soviel es auch je sein mag, es wird immer wenig sein, fast nichts.
(Böll, Der Engel schwieg, S. 156)

S. 49
ein Nichts aus Bauschutt
(Bolaño, 2666, S. 1019)

S. 49
staunend vor den Ruinen der stummen Stadt
(Bolaño, 2666, S. 1021)

S. 49
verkohlten Ruinen der Stadt, eine zerrissene finstere Silhouette
(Böll, Der Engel schwieg, S. 68)

S. 49
Sperma sei wertvolle Nahrung, ein Konzentrat aus allerlei Vitaminen, das beste Mittel gegen Grippe
(Bolaño, 2666, S, 1021)

S. 50
die Vision (und noch das Wort Vision ist zu hochtrabend) einer Literatur in drei Abteilungen, die nur auf sehr unterschwellige Weise miteinander in Verbindung standen. Die erste umfasste die Bücher, die er wieder und wieder las, die er wunderbar und manchmal ungeheuerlich fand. Die zweite Abteilung umfasste die Bücher epigonaler und solcher Autoren, die er „die Horde“ nannte und im Grunde als seine Feinde ansah. Die dritte Abteilung umfasste seine eigenen Bücher und Buchprojekte, die in seinen Augen ein Spiel waren und auch ein Geschäft, ein Spiel in dem Maße, wie er am Schreiben Vergnügen fand, ähnlich wie es einen Detektiv Vergnügen macht, den Mörder zu entlarven, und ein Geschäft in dem Maße, wie die Veröffentlichungen seiner Werke ihm ein, wie immer auch bescheidenes, Zubrot zu seinem Lohn als Türsteher bescherte
(ebd., S. 1080f)

S. 50
wie Plinius der Ältere im Jahr 79 erwähnt. Um 1060 findet der Roquefort unter diesem Namen erste Erwähnung in Klosterbüchern, im Jahr 1411 erteilte Karl VI. den Bewohnern von Roquefort das Monopol für die Käsereifung in Kalksteinhöhlen des Bergmassivs Combalou im Westen der Cevennen.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Roquefort_(K%C3%A4se))

S. 50-51
dass hier eine Hand ist
(Wittgenstein, Über Gewißheit)

S. 51
alles übrige
(Wittgenstein, Über Gewißheit)

S. 51
die Lächerlichkeit, Gedichte zu schreiben, lieber, als die Lächerlichkeit, keine zu schreiben
(Szymborska, Gedichte)

S. 51
warum er keine Gedichte schreibe

die gesamte Dichtung in all ihren Spielarten sei in einem Roman enthalten oder könne in ihm enthalten sein

(Bolaño, 2066. S. 1023)

S. 51
Verantwortung
(ebd., S. 23)

S. 51-52
saubere Ortschaften und Dörfer, aufgeräumte Fabrik- und Bauhöfe, liebevoll gehegte Gärten, unter den Vordächern ordentlich aufgeschichtetes Brennholz, gleichmäßig geteerte Fuhrwege quer durch die Wiesengründe, Straßen, auf denen bunte Autos mit großer Geschwindigkeit dahinschnurrten, wohlgenutzte Waldparzellen, regulierte Bachläufe und neue Bahnhofsgebäude, vor die offenbar kein Vorstand mehr hinaustreten mußte.
(Sebald, Austerlitz, S. 320)

S. 52
Noch niemals zuvor hatte ich deutschen Boden betreten, hatte es stets vermieden, auch nur das geringste über die deutsche Topographie, die deutsche Geschichte oder die heutigen deutschen Lebensverhältnisse in Erfahrung zu bringen, und also war Deutschland für mich wohl das unbekannteste aller Länder, fremder sogar als Afghanistan oder Paraguay. Ich glaube, daß es an einem Samstag gewesen ist, wenn die Leute zum Einkaufen in die Stadt fahren und diese Fußgängerparadiese überschwemmen, die es anscheinend in Deutschland, wie ich mir seither habe sagen lassen, in mehr oder weniger derselben Form in sämtlichen Städten gibt. Länger in die Gesichter derjenigen zu schauen, die mir entgegenkamen, scheute ich mich. Seltsam berührte mich auch, wie wenige Stimmen ich um mich her hörte, wie lautlos sich diese Menschen durch die Stadt bewegten, und es beunruhigte mich, daß ich, wenn ich emporblickte an den Fassaden zu beiden Seiten der Straße, selbst an den ihrem Stil nach älteren, bis in das 16. oder 15. Jahrhundert zurückgehenden Gebäuden nirgends, weder an den Eckkanten, noch an den Giebeln, Fensterstöcken oder Gesimsen eine krumme Linie erkennen konnte oder sonst eine Spur der vergangenen Zeit.
(ebd., S. 322)

S. 52
alles mit Lineal, Winkelmaß und Kompass angelegt
(Bolaño, 2666, S.1082)

S. 53
Lichtenberg im Angesicht des Todes

Lichtenberg ist unser Philosoph

Manchmal ist man versucht zu sagen, er sei unser einziger Philosoph, aber natürlich ist da noch Pascal, der an Bauchspeicheldrüsenentzündung starb, und Diogenes, der unübertroffene Spaßvogel. Wir jedoch (und wenn ich ‚wir‘ sage, weiß ich, offen gestanden, nicht, wen ich meine) finden Trost bei Lichtenberg, in seinen Spiegeln, seinem Auf und Ab der Gefühle, seinen Zweifeln und seinem Geschmack, was manchmal dasselbe ist.

(Bolaño, Exil im Niemandsland, S. 71)

S. 53
die Ute hieß und imstande war, die Grammatikfehler eines Lessing aufzuspüren, den sie mit hanseatischer Leidenschaft verabscheute, anders als Lichtenberg, den sie verehrte
(Bolaño, 2666, S. 1077)

S. 53-54
In der Nacht vom 9. Auf den 10. Februar 1799 träumte mir, ich speiste auf einer Reise in einem Wirtshaus, eigentlich auf einer Straße in einer Bude, worin zugleich gewürfelt wurde. Gegen mir über saß ein junger, gut angekleideter, etwas windig aussehender Mann, der, ohne auf die Umhersitzenden und Stehenden zu achten, seine Suppe aß, aber immer den zweiten oder dritten Löffel voll in die Höhe warf, wieder mit dem Löffel fing und dann ruhig verschluckte. Was mir den Traum besonders merkwürdig macht, ist, dass ich dabei meine gewöhnliche Bemerkung machte, dass solche Dinge nicht könnten erfunden werden, man müsste sie sehen. (Ich meine, kein Romanschreiber würde darauf verfallen.) Dennoch hatte ich dieses doch in dem Augenblick erfunden. Bei dem Würfelspiel saß eine lange, hagere Frau und strickte. Ich fragte, was man da gewinnen könnte. Sie sagte: nichts; und als ich fragte, ob man was verlieren könnte, sagte sie: nein! Dieses hielt ich für ein wichtiges Spiel.’
(Bolaño, Exil im Niemandsland, S. 71)

S. 54
Dieser Absatz weist – muss das erst gesagt werden? – auf Kafka und einen Großteil der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts voraus. Zugleich ist er ein Kompendium der Aufklärung; eine ganze Kultur ließe sich auf ihm errichten. Und dieser Absatz nimmt Lichtenbergs Tod voraus, der am 24. Februar eintrat, als vierzehn Tage nach dem Traum, als hätte der Tod Lichtenberg zwei Wochen vor ihrer endgültigen Begegnung einen Besuch abgestattet.
(ebd.)