Merkur Nr. 660, April 2004

Die Selbstfesselung der deutschen Universität
Eine Evaluation

von Wolfgang Kemp

 

Die Diskussion um die Hochschulen wird von interessierten und von arglosen Teilnehmern an den entscheidenden Vorgängen vorbeigelenkt. Deswegen ist dies hier nicht ein weiterer Beitrag zur Legitimation irgendwelcher Fächer oder Fachgruppen oder der Wissenschaft generell im größeren Kontext der »Wissensgesellschaft«. Und erst recht ist hier nicht die Rede von Elitehochschulen. Oder von Bund-Länder-Zuständigkeiten. Das sind Themen, die deutsche Empfindlichkeiten anrühren und dementsprechend stereotype Reaktionen hervorrufen. Und es soll auch nicht von Geld die Rede sein, nicht vorrangig wenigstens. Hier geht es um einen weniger spektakulären, dafür aber umso wirksameren Prozeß, der den Hochschulsektor tiefgreifender umgestalten wird als alles, was wir seit 1945 erlebt haben, 1968 eingeschlossen.

Es geht um die »flächendeckende Umsetzung« der 1999 gefaßten Beschlüsse von Bologna, denen zufolge sämtliche Studiengänge Europas, also auch Deutschlands, auf das Bachelor-Master-Format heruntergetrimmt werden müssen. Es geht weiterhin um die Verquickung eines solchen EU-typischen Normierungsvorgangs mit den Instrumenten des Neoliberalismus. Mit der für diesen Ansatz charakteristischen Double-Bind-Geste »Ihr sollt dürfen!« haben die Verantwortlichen beschlossen, daß der Bologna-Prozeß »staatsfern implementiert« wird, durch »lernende Hochschulen«
und durch Agenturen, welche an Stelle der alten behördlichen Fachaufsicht die Studiengänge regelmäßig evaluieren und akkreditieren.

Mit ihrem kühnsten Versprechen wollen die »Reformer« weismachen, daß diese »Entfesselung« und »Entpolitisierung« dazu führen wird, »daß die Hochschulen sich wieder verstärkt auf Fragen der wissenschaftlichen Exzellenz konzentrieren können« − so der Leiter des Bertelsmann-Centrums für Hochschulentwicklung Detlef Müller-Böling, dem wir das schöne Motto von der »entfesselten Hochschule« verdanken. Es ist jetzt schon abzusehen, daß das Gegenteil eintreten wird. Vor der Etablierung der neuen E-Klasse von Exzellenz-Professoren (die in Deutschland Forschungsprofessoren heißen sollen) erleben wir derzeit die Heranbildung einer I-Klasse, eines Inspektorats, einer Nomenklatura aus Akkrediteuren, Planern, Bildungsberatern und Räten, mit der verglichen die Aufsicht der Ministerien bald wie der freundliche Kontaktbeamte aus dem Uni-Viertel anmuten wird.

Das ist vielleicht etwas übertrieben. Die Ministerialen haben auf ihre Weise schon diese Entmachtung verdient, weil sie in den letzten Jahrzehnten versucht haben, jede, aber auch jede Regung des akademischen Handelns juristisch einzumauern. Nun aber deuten alle Zeichen darauf hin, daß die Entstaatlichung des Bildungswesens den größten Ausbruch von Kontrollsucht seit Beginn regelmäßiger Aufzeichnungen nach sich ziehen wird. Ein paranoider Twist, anders kann man es nicht nennen, wenn man bedenkt, was wir vor fünfzehn Jahren hinter uns gelassen haben. Vielleicht dürfen wir an dieser Stelle schon anregen, das Wirken unserer retro-progressiven »Reformer« durch die regelmäßige Verleihung des »Margot- Honecker-Preises für Deregulierung im Bildungswesen« zu würdigen. (Man achte darauf, wie oft in dem folgenden Text die Worte »fünf Jahre« vorkommen.) Wir werfen erst einmal einen Blick über den Kanal auf die Zustände im Vereinigten Königreich, dessen Hochschulsystem seit 1981, seit dem Beginn von Margaret Thatchers »Kulturkampf« gegen die Universitäten, in einem Langzeit- und Flächenversuch all den Pressionen unterworfen wurde, die nun ganz Europa drohen.[1. Eine ausgezeichnete Quelle, die viele Originaldokumente bietet und im Internet zur Verfügung steht, ist der Guardian. Eine kritische Sicht auf die Verfassung der englischen Universitäten im Zeichen von New Labour bieten: Marilyn Strathern, ›Improving Ratings‹. Audit in the British University System. In: European Review, 1997, S.305ff.; Deborah Cameron, Doing Exactly What It Says on the Tin. Some Thoughts on the Future of Higher Education. In: Changing English, 2003, S.133ff.; Stefan Collini, HiEdBiz. In: London Review of Books, Nr. 21, 6. November 2003.]

Auch nach mehr als zwanzig Jahren ist das System noch nicht bei dem neoliberalen Klassenziel angelangt, welches »a free market driven by student demand« heißt, sondern es schwebt wie Mohammeds Grab zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Zustand eines »managed market«, in dem der Staat die Ziele vorgibt, und der puren Planwirtschaft. Jedenfalls arbeitet eine beeindruckende Zahl von Institutionen und Kontrollmechanismen daran, den Sektor Higher Education für den freien Wettbewerb tauglich zu machen. Wir konzentrieren uns hier auf die Kürzel RAE, was Research Assessment Exercise heißt und bedeutet, daß die Universitäten beziehungsweise ihre Institute oder Departments außer ihren Studiengängen, ihrer Lehre und ihrer Gesamtverfassung auch in regelmäßigen Abständen ihre Forschungsaktivitäten begutachten lassen müssen. Nach Maßgabe ihrer Beurteilung erhalten sie staatliche Forschungsmittel.

Dieses Kontrollverfahren hat die englische Wissenschaftslandschaft tiefgreifend verändert, folgt man Roderick Floud, dem Sprecher der englischen Universitäten. Er konnte in seinem Rechenschaftsbericht 2002 stolz verkünden, daß 64 Prozent der englischen Forscher und Forscherinnen im Kontrolljahr 2001 in die höchsten Kategorien »national« oder »international excellence« eingestuft wurden. Davon fielen ansehnliche 55 Prozent unter »international excellence«. 1996, bei der letzten Evaluierungsrunde, als 50000 Wissenschaftler zur Überprüfung anstanden, lagen die Zahlen nur bei 43 beziehungsweise 31 Prozent. Die englische Wissenschaft machte also in diesen kurzen fünf Jahren einen Tigersprung − und das bei schwindenden Ressourcen. Innerhalb von fünf Jahren Bücher und Aufsätze verfassen, die um 30 Prozent besser sind als die letzten −man wünschte, man wäre dabei gewesen! (Um hier keine Minderwertigkeitskomplexe aufkommen zu lassen, sollte ich vielleicht dazu sagen: Das Institute of Scientific Information, welches nachzählt, wie häufig englische Forscher international zitiert werden, kam für denselben Zeitraum zu einem etwas anderen Ergebnis als die nach dem Peer-Review-Prinzip verfahrende RAE: »In lots of fields Great Britain is now badly short of world-ranking university scientists«, faßte der Guardian diese Untersuchung zusammen.)

Die RAE war auf ihre Art so erfolgreich, daß man eine Regierungskommission einsetzte, um sie ihrerseits zu evaluieren. Inflationen ziehen ja in der Regel Währungsreformen nach sich. Dabei wurde im Grunde nur der alte wissenschaftliche Kernsatz bestätigt: »Whatever you measure, you will get more of it eventually.« RAE soll jetzt RQA, Research Quality Assessment, heißen und neuen Grundsätzen folgen. Der größte Gewinn besteht für die Universitäten vielleicht darin, daß sie nicht mehr teilnehmen müssen. Viel gibt es ja ohnehin nicht zu holen, wenn sich 60 Prozent die Gewinne teilen. Und die personellen und sachlichen Kosten sind immens. Denn entweder sind die englischen Kollegen in Institutsstärke unterwegs, um während der Vorlesungszeit andernorts ein anderes Institut zu begutachten, oder sie verfassen Papiere für die nächste anstehende Evaluierung zu Hause. Der Principal der Universität von Edinburgh klagte unlängst, daß er eigentlich einen Hangar anmieten müsse, um die Schriften lagern zu können, welche seine Hochschule zu Zwecken der Evaluierung produziere und vorhalte. Sein Kollege Eric Thomas von der Universität Bristol sprach davon, daß man die Fünfjahresberichte oder »Selbstreports«, wie sie in der ungeschickten Sprache der deutschen »Reformer« genannt werden, unter F wie Fiction einordnen könne. Und da wir gerade bei Fiction sind, wäre es gut, wenn die Autoren von Campus-Romanen mal kurz aufpassen. Die von der Regierung in Auftrag gegebene Untersuchung, die das Wirken der RAE bewertet, spricht an einer Stelle von einem »zunehmenden Risiko«: »an increased risk that as Higher Education Institutions’ understanding of the system (of evaluation − W.K.) becomes more sophisticated games playing will undermine the exercise«.

Was haben wir uns unter solchen »Spielen« vorzustellen? In jedem Institut der Welt, also auch in England, trifft man auf Professoren, von denen man noch nie etwas gehört hat. »He is a non publishing scholar«, wird einem im Flüsterton erläutert. In der Abteilung Human Ressources steht hinter diesen Namen vielleicht NMF, »not moving forward«, und ganz bestimmt nicht um dreißig Prozent in fünf Jahren. Diese meist ganz reizenden Damen und Herren mindern aber das Rating eines Instituts so erheblich, daß Kanzler Thomas zufolge clevere Universitätsverwaltungen auf die Idee kamen, sie umzubuchen und im Stellenhaushalt nicht mehr beim Lehrkörper, sondern unter Verwaltung zu führen. Ein anderer beliebter Ausweg war, die Quotendrücker kurzfristig in die Departments umzusetzen, die gerade nicht evaluiert wurden. Ergeben diese wandernden Scholaren und letzten Effizienzverweigerer nicht einen wunderbaren Stoff, den man gut nach dem Muster des vorweihnachtlichen Theaterknallers »Wer nimmt Oma?« in »Wer nimmt Professor Arbuthnot?« umschreiben könnte? Und wer weiß: Kann durch derart rotierende Gelehrte nicht auf ganz und gar natürliche Weise das entstehen, wonach ständig verlangt wird: crosspollination, auf deutsch: Interdisziplinarität?

Aufs Ganze besehen sind solche Anpassungsleistungen aber ein schöner Beweis für die Erreichung des höchsten Betriebsziels (nach Sparen, versteht sich): »More sophisticated« geworden, haben die englischen Universitäten sich damit als »learning organisations« bewährt. Wir dürfen gespannt sein, wie sich diese interessante Versuchsanordnung weiterentwickelt. Andere notengebende Instanzen scheinen derzeit die momentane Schwäche von RAE oder RQA ausnützen zu wollen: HEFCE (The Higher Education Funding Council for England) verteilt jetzt Qualitätssiegel wie »Centre of Teaching Excellence« oder, eine Stufe darunter, »Commended Department« an Institute, die sich in der Lehre hervortun – wir denken dabei an diese bunten Plaketten am Eingang von Hotels. Professor Collini von der Universität in Cambridge findet, daß man dieses Verfahren nach dem Vorbild von Restaurantführern noch verfeinern könnte: »plain regional teaching« (ein Doktorhut), »high-quality teaching in its category« (zwei Doktorhüte), »exceptional teaching of international quality« (drei Doktorhüte).

Die Rede war bislang vom Königreich ihrer Majestät Elisabeth II. – das ist es, was uns ein wenig betroffen macht. Es mögen schlimme Vorurteile sein, die uns die Befürchtung eingeben, daß dieselben Instrumente, wenn sie jetzt mit der Verspätung von zwei Jahrzehnten in deutsche Hände gegeben werden, möglicherweise doch einer so robusten Institution, wie es die Universität ist, den Lebensnerv abdrücken. Da die Zwangsevaluierung von Forschung nach dem englischen Muster bei uns noch nicht so weit vorangeschritten ist, wechseln wir zu dem ebenso großen Thema Evaluierung und
Anerkennung von Studiengängen. Hier liegen bereits genügend Ergebnisse vor, um ein erstes Urteil zu erlauben. Ein Studiengang der ehemaligen Universität Duisburg (jetzt Essen-Duisburg, Standort Duisburg), der nicht nur akkreditiert wurde, sondern als Reformstudiengang auch eine »innovative Antwort« auf den Bologna-Prozeß darstellt, ist der Bachelor-Master-Studiengang »Kulturwirt«. Er erregte natürlich wegen seines ungewöhnlichen Titels unsere Aufmerksamkeit und zog vor dem immer mit zu beachtenden Horizont Europa die Frage nach sich, wie sich ein Kulturwirt wohl in England oder in Frankreich einführt. Die zuständige Fakultät konnte auf Anfrage nur mit der etwas faden Übersetzung des Studiengegenstandes dienen: »Cultural and economic studies« oder »´etudes culturelles et ´economiques« schlägt man vor und erwartet wohl, daß die Absolventen ihre Qualifikation umschreibend erklären, etwa so: »I’ve studied now cultural studies / And even, alas!, economics / All through and through with ardour keen! / Here now I stand, poor fool, and see / I’m just as wise as formerly. / Am called a Bachelor, even Master, too.« Die Studierenden, unsere lieben Studis, sind da schon sehr viel fixer, zumindest was die interne Verständigung angeht: Sie nennen sich Kuwis.

Kulturwirte und Kulturwirtinnen absolvieren ein Studium, das geistes-, wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftliche Komponenten miteinander »verzahnt«. Über ihre Berufsaussichten sagt die Hochschule: »Die Absolveten (!) dieses Studiengangs werden gesuchte Fachkräfte für regional oder international Operierende Wirtschafts- und Dienstleistungsunternehmen sein, die den großen Wert vielseitig ausgebildeter Experten erkannt haben. Ihre künftigen Tätigkeitsfelder erstrecken sich zum Beispiel auf Bereiche wie Marketing, Organisation, Export und Kundenbetreuung. Auch Öffentlichkeitsarbeit, Presse- und Medienarbeit oder Kulturmanagement können zu ihren Aufgaben gehören. Neben kulturellen Institutionen werden sie auch für unterschiedliche Organisationen und Verbände arbeiten können.« Den letzten Satz wird ein ausgebildeter Kulturwirt etwas besser hinkriegen, hoffen wir wenigstens. Ganz sicher sind wir aber nicht, denn merkwürdigerweise werden die Kulturleistungen der deutschen Sprache und Literatur dem Kulturwirt nicht nahegebracht.

Nüchtern betrachtet, wurde der Duisburger Studiengang geschaffen, um die Existenz der Geisteswissenschaften an dieser Universität zu sichern. Und auf diese Weise brauchte man sich auch nicht mehr um die lästige Lehrerausbildung zu kümmern. Es wäre unfair, die Duisburger Kollegen für diesen kreativen Ausweg zu tadeln. Die Not ist vielerorts die Mutter ungewöhnlicher Studiengänge. Man erfindet neue Curricula und Abschlüsse aus Sorge um die Erhaltung von gewachsenen Strukturen. Man tut dasselbe aber auch, weil man das Pensum einer verantwortlichen wissenschaftlichen Ausbildung nicht in dem neuen Zeitrahmen unterbringt. Das ist auch nicht leicht. Man kürze einmal ein geisteswissenschaftliches Fachstudium auf berufsqualifizierende anderthalb Jahre Ausbildung ein. (Zur Erläuterung: drei Jahre Studium = 100 Prozent = 50 Prozent Studienanteile Hauptfach plus circa 25 Prozent Nebenfach plus circa 25 Prozent General Studies oder Soft Skills oder Schlüsselqualifikationen.)

Und wieder andere Fachbereiche lassen sich die tollsten Dinge einfallen, um im vielberufenen Wettbewerb der Hochschulen ihren USP, ihren Unique Selling Point zu erzielen, auf deutsch ihr »Alleinstellungsmerkmal« − eine Kollegin wird dieses Wort für den Wettbewerb »Unwort des Jahres« vorschlagen, was ich persönlich nur mit Vorbehalt weitergebe, denn mein Kandidat wäre eindeutig »Qualitätskultur« (gerne auch »quality culture): »Dem deutschen Hochschulsystem fehlt eine Qualitätskultur.« Und danach kämen gleich »Qualitätsmanagement« und »Qualitätsoffensive«. Aber davon einmal abgesehen und auch davon abgesehen, daß die Kulturwirte vielleicht die Rechnung ohne den Wirt, sprich die Abnehmer ihrer Absolventen gemacht haben dürften, hier ist festzuhalten, daß auch die deutschen Universitäten sich derzeit als »lernende Organisationen« bewähren.

 

 

Zurück zu unseren Kuwis. Angesichts etwaiger Zweifel macht sich um so stattlicher das Monument, das dieser Studiengang in der niederrheinischen Tiefebene errichtet hat und das alles, was wir auf diesem Gebiet gewohnt sind, in eine neue Perspektive rückt. Ich selbst verfahre nach einer Studienordnung, die locker spationiert fünf Seiten lang ist und von denen drei auf die Rechnung der alten Regulierer gehen. Wenn ich die Deregulierungsschraube in die Hand bekäme und in die richtige Richtung drehen dürfte, würde ich das auf eine Seite reduzieren. Das Modul-Handbuch, vulgo Lehrplan des Studiums Kulturwirt, hat aber 180 Seiten und dürfte damit länger als jeder Text sein, den die Kuwis im Studium sich vornehmen. In diesem Buch ist haarklein und auf die Dauer von fünf Jahren, also bis zur nächsten Evaluierung, festgeschrieben, was in Duisburg studiert wird. Ein französischer Kultusminister des 19. Jahrhunderts hat einmal geprahlt, er wisse genau, was zu jeder Stunde in den Lyzeen des Vaterlandes gelehrt werde − eine ähnliche Gleichschaltung können die Präsidenten der deutschen Hochschulen bald auch vorweisen. Und der Bologna-Prozeß wird dafür sorgen, daß die zukünftigen Bachelors und Bacheloretten europaweit im selben Takt studieren werden. If it is Tuesday and noon and you are in your third year, then it is time for »Intercultural Communication«. Take out the orange reader, please. In Greifswald gilt das dann nicht anders als in Lissabon.

Man muß dazusagen, warum das Modul-Handbuch so entscheidend wichtig ist und warum wir an ihm modellhaft alles Kommende studieren können. Die Akkreditierung des Studiengangs erfolgt auf der Basis dieser schriftlichen Vorlage und nach einer Begehung durch die von der Agentur eingesetzte Kommission. Der Ablaufplan der in Duisburg tätigen Agentur AQUAS sieht für Gespräche mit der Fachbereichsleitung, den Lehrenden und Studierenden dreimal eine Stunde vor: Da muß im Grunde eben alles schon nach den Vorgaben der Agentur und der europäischen Gleichschaltungsregeln verschriftlicht sein. »2.3 Bitte beschreiben Sie jedes Modul hinsichtlich 2.3.1 der Inhalte, Qualifikationsziele, Lehrformen der Lehrveranstaltungen/der Module, 2.3.2 des erwarteten Arbeitsaufwandes der Studierenden in Stunden (workload), der Anzahl der Leistungspunkte für die Lehrveranstaltungen/das Modul …« usw., weitere fünf Dezimalstellen lang. So ungefähr hatten wir uns »Entregelung« immer vorgestellt.

Belegen wir als Kuwi zum Beispiel die Veranstaltung Erkenntnistheorie. Der »workload« wird angegeben mit 2 Semesterwochenstunden Besuch der Veranstaltung = 22,5 Stunden. Für Vor- und Nachbereitung braucht der Kuwi 37,5 Stunden, für Klausurvorbereitung 60 Stunden, macht 120 Stunden. An »Credits« ergibt das 4. Man beachte die halben Stunden − sie zeigen an, mit welcher Souveränität hier über die Anforderungen des Stoffes und das individuelle Vermögen der Studierenden verfügt wird: Kant, an den wir bei diesem Thema natürlich denken müssen, soll es mit der Zeit ja auch sehr genau genommen haben. Vom Kuwi wird außer Teilnahme und Klausur eine schriftliche Hausarbeit im Umfang von fünf Seiten oder »Vortrag bzw. mündliche Präsentation in der Länge von 10 Minuten inkl. Handouts oder Folien erwartet«. »Die schriftliche Leistung kann nach Maßgabe der Lehrenden auf mehrere Teilleistungen (Essays) aufgeteilt werden.« Verstehen wir das richtig, daß die fünf Seiten über Erkenntnistheorie nach Absprache auch durch fünf mal eine Seite ersetzt werden können? Und daß das dann Essay heißt?

Was man als Professor, als Fachbereich, als Universität bekommt, wenn man den Stoff und die Methoden der Wissenschaften so klein schrotet, wie es einstens mit Max und Moritz geschah, das ist eine Urkunde. Der Dekan kann sie an seine Ego-Wall hängen. Die Studierenden und alle Interessenten können sie im Internet beschauen (www.uni-duisburg.de/Fak2/IZG/akkreditierungsurkunde.htm): Sie hat etwas traditionell Pergamentenes an sich und gibt allen kund und zu wissen, daß AQUAS e.V. »im Auftrag des Akkreditierungsrates den konsekutiven Studiengang Kulturwirt mit Abschluss Bachelor/Master of Arts für fünf Jahre« akkreditiert hat. Unterschrieben von einem Altrektor, der dieser »Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen« als »Vorstandsvorsitzender« dient. Ein »Vorstandsvorsitzender« als Garant akademischer (Un)Freiheit, eine »pergamentene« Urkunde im Internet, der Konkretinismus eines 180 Seiten starken Lehrplans, einseitige Essays über Erkenntnistheorie, das Wort »Kulturwirt«, das gut und gerne eine Erfindung Helge Schneiders aus dem nahen Mülheim sein könnte − der Beobachter, der diese wilde Mischung als die Normalität der posttraditionellen Hochschule zu verstehen versucht, wird nicht immer verhindern können, daß sich sein Staunen in etwas Hartes und Böses verwandelt. Aber er sollte so offen sein und zugeben, daß zumindest für ihn, den Außenstehenden, den Surfer durch die Netze, die Positionspapiere und Selbstreports der Evaluierer, der Bildungsberatungsunternehmen und Quality Manager gilt: Never a dull moment.[1. Einen Einstieg in die Welt der Evaluierer und Qualitätssicherer bietet das Evanet (http://evanet.his.de), das zu den acht akkreditierten Agenturen in Deutschland und zu 15 weiteren Organisationen führt, die evaluieren und beraten. Das internationale Szenario erschließt die Linksammlung Organisationen http://www.evaluieren.de.]

Die extreme »Verregelung« − ein Wort, das wir den »Reformern« entleihen und gegen sie kehren − ist nicht nur die lästige Begleiterscheinung eines mit deutscher Gründlichkeit in Gang gesetzten Prozesses, mit dem Prinzip der »unternehmerischen Universität« kaufen wir uns automatisch eine »Explosion des Controlling« ein, die keinen Bereich derselben unberührt läßt.

Um an einem kleinen Beispiel zu zeigen, wie direkt man sich diese Infiltration vorstellen muß − nur damit niemand meint, es ginge hier um die Abwehr von unliebsamen Metaphern oder modischen Denkweisen: Meine Universität hat der Softwarefirma SAP die Umstellung ihres Rechnungswesens von der kameralistischen Buchführung auf die kaufmännische doppelte Buchführung (Doppik) übertragen. Wenn das Referat für Haushaltsangelegenheiten mit dieser enorm zeitgeistigen Entscheidung und mit der Leistung des neuen Systems glücklich wird (was nicht den Anschein hat, aber das ist ein anderes Thema), dann könnte man die Sache auf sich beruhen lassen. Die neue Definition der Universität als (Schein)Firma hat aber Konsequenzen für alle Sektoren: Vermögen, Personal, Lehre, Forschung. Wir Hochschullehrer sind nun gehalten, das System SAP mit »Produktinformationen« zu beliefern, das heißt auf Formblättern die Zahl der Vorträge, Aufsätze, Bücher, Patente, Forschungsprojekte etc. zu melden − die Zahl wohlgemerkt, damit das System neben den Finanzströmen auch die »Leistungsströme« in seiner Gesamtbilanz nachweisen kann. Noch weiß außer SAP niemand etwas mit diesen Zahlen anzufangen, aber das wird nicht lange auf sich warten lassen. In der Zwischenzeit sollte man die im Wort »Produkt« enthaltenen Möglichkeiten nutzen und die Suche nach einem Namen für die gerade geschaffenen Großfakultäten beenden: Ab sofort heißen sie APGs, Akademische Produktionsgenossenschaften.

Nun könnte man großzügig sein und sagen, daß auch diese Drangsalierung mit dem Gehalt abgedeckt ist. Viel problematischer erscheint die Aussicht einer evaluierungsgerechten Lehre und Wissenschaft. Dazu hat Marilyn Strathern, eine renommierte Sozialanthropologin der Universität Cambridge, einen bemerkenswerten Aufsatz vorgelegt, der den etwas fiesen Titel trägt: ›Improving Ratings‹. Audit in the British University System. Am Beispiel von Begutachtungen der Lehre durch das englische Teaching Quality Assessment (TQA) geht sie der These ihres Kollegen Power nach: »What is audited is whether there is a system which embodies standards and the standards of performance themselves are shaped by the need to be auditable … . audit becomes a formal ›loop‹ by which the system observes itself.« Die Evaluationsbehörden spielen ihren Ansatz auf eine interessante Weise herunter. Sie sagen, sie würden keine »absoluten Urteile über die Validität der inhaltlichen Ziele und Vorhaben« eines Studiengangs fällen. Ihre Aufgabe sei die »relative Beurteilung«, relativ − wir zitieren jetzt aus dem »Assessor’s Handbook« der TQA − »in relation to institutional aims and objectives, the student intake, and the needs and interest of stakeholders«.

Lassen wir einmal das letztgenannte Kriterium beiseite, die Verpflichtung auf die Interessen der Gesellschaft, die hier im Bild der stakeholders auftaucht, dann ergibt das ausformuliert: Die Skills und Standards, die ein Studiengang zu liefern hat, müssen aus eindeutigen Zielen und Vorgaben der Institution abzuleiten sein (etwa aus einem »mission statement«), ihre Vermittlung und Aneignung (intake) haben die Prüfsteine der Transparenz, Effizienz und Konsequenz zu erfüllen. Die Großzügigkeit, mit der den Institutionen erlaubt wird, ihre eigenen Ziele und Wege zu suchen, schlägt um in eine feste Vorstellung davon, wie das zu erreichen ist, nämlich nach dem Modell der kontrollierbaren Organisation, der organisierten Kontrollierbarkeit. Strathern hat beobachtet, wie die Erwartungen der Evaluierer sich durch die Skills der Präsentation der Evaluierten bestätigen lassen: »Klarheit (statt Logik), detaillierte Aufzählung (statt Herstellung von Zusammenhängen), PowerPoints (statt Absätze) und vereinfachte Darstellung (statt Entwicklung eines Argumentes). Was aber auf keinen Fall erlaubt ist, das sind Mehrdeutigkeiten, Widersprüche und Fragen.«

Strathern hält dagegen eine andere Idee der Universität, eine Idee, die sie aus der Natur des Wissenschaftsprozesses herleitet. »One can imagine that an institution such as a university will not only have diverse aims but may have conflicting and competing ones. It may wish to do several things at once and in different arenas; not only to instruct persons but also to help them think independently; not only to provide the backup for well established research projects that have visible outcomes but also to tolerate hidden niches for the unexpected maverick or the genius who could be lodged anywhere in
the system; to foster both productivity and creativity, knowing that these sometimes go together and sometimes do not. Diverse social arrangements allow one over time to move in many directions at once, or allow persons to go off in different directions. Contradiction is the engine of the intellect.«

Das zur Loop-Struktur, zum selbstreferentiellen Charakter des Controlling Gesagte ließe sich nach dem Vorbild der bekannten GIGO-Formel (Garbage-In-Garbage-Out) als AUI-AUO niederschreiben: Audit-In-Audit-Out. Nichts anderes hören wir ja auch von unseren führenden Akkrediteuren. Professor Petzina, der Vorstandsvorsitzende von AQUAS, sagte neulich zum Thema »European Perspectives of Quality Assurance«: »Accreditation is able to guarantee the academic quality of degree programmes.« Und sein Kollege Wolff, welcher der Agentur ACQUIN (Motto: »In Lehre und Studium Der Qualität auf der Spur«) vorsteht und dankenswerterweise sein Power-Point-Referat »Zukunft der Universität − Universität der Zukunft« dem Internet anvertraut hat, sieht besagte Zukunft schlicht und einfach im »Qualitätsmanagement« und dessen Überwachung beschlossen. Mit anderen Worten: Es sind nicht Personen, Ideen, Methoden, Inhalte, von denen die Güte von Lehre und Forschung abhängt, nein, es ist deren Kontrolle.

Wer sind diese kühnen Leute? Eine erste spontane Antwort wäre: Sie fallen dadurch auf, daß sie nicht sehr gut Deutsch können. Der gerade erwähnte Prof. Dr. Dr. h. c. Wolff definiert die Zauberformel seines Denkens und Wirkens, den Begriff Qualität, folgendermaßen: »Qualität bezeichnet die Gesamtheit der Eigenschaften und Merkmale (eines Produktes oder) einer Tätigkeit, die sich auf deren Eignung zur Erfüllung gegenüber Erfordernissen bezieht.« Es gibt Schlimmeres. Professor Wolff versucht wohl nur die Definition von Qualität, die wir dem Deutschen Institut für Normung (DIN) verdanken, in eigene Worte zu fassen: Qualität ist danach die »Eignung zur Erfüllung festgesetzter und vorausgesetzter Erfordernisse« (DIN EN ISO 8402 − falls jemand Notizen macht). Ich finde aber trotzdem, daß man diesen Satz (nicht den dünnzwirnigen Inhalt) vor dem Hintergrund der Power-Point-Prothetik und damit der von den Agenturen so vorrangig abgefragten IT-Tauglichkeit studieren muß. Man ahnt dann vielleicht, wie der hier sich noch einmal regende alteuropäische Wille zur Definition und zum Nebensatz dem Kugelhagel des flinken PowerPointers erliegen wird: »Eignung zur Erfüllung gegenüber Erfordernissen« − die Hauptaussage schleppt sich schwer getroffen zum viel zu lang hinausgezogenen Schlußpunkt. Wolff hätte hier besser den zweiten Jingle seiner Organisation ins Feld geführt: »Quality is fitness for purpose.« Das wäre IT-gerecht, das würde die neue DIN-Norm bis zur »benchmark« erfüllen! (Man fragt sich, warum dieses Institut für Normung nicht längst im boomenden Akkreditierungsgeschäft tätig ist.)

Aber im Grunde zögere ich so nur die Antwort auf die Frage nach den Agenten hinter den Agenturen hinaus. Sie muß leider heißen: Neben den Üblichen Wissenschaftsfunktionären sind es Professoren und Professorinnen. Hochschullehrer betreiben diese Agenturen, die sich nach fachlicher oder regionaler Zuständigkeit organisiert haben. Zwar können diese privatwirtschaftlich oder als Verein betriebenen Einrichtungen nicht mit Persönlichkeiten aufwarten, die man als Spitzen ihrer Fächer kennt, die vielleicht am Wissenschaftskolleg oder anderen Centers of Excellence eingeladen waren oder selbst schon mal in Harvard gelehrt haben, das sie alle so sehr verehren. Aber dafür haben sie anderes aufzubieten. Perfektes Networking zum Beispiel. Schaut man sich die Zusammensetzung der Kommissionen und Ausschüsse an, so kann man sicher sein, immer wieder denselben Namen zu begegnen. Die Chefs dieser Agenturen helfen sich auch gerne gegenseitig in ihren Beiräten und Aufsichtsräten aus, und die neue Institution der Hochschulräte ist ein ideales Betätigungs- und Rekrutierungsfeld für alle Selbstfesselungsartisten − man muß vielleicht nicht soweit gehen wie die Universität Hamburg, deren neunköpfiger Hochschulrat einen Mann zum Vorsitzenden hat, der bis vor kurzem Vorsitzender des Aufsichtsrats der Agentur HIS (Hochschulinformationssystem) war und dessen Stellvertreterin beim Akkreditierungsrat in Berlin beschäftigt ist, der die Agenturen akkreditiert. Aber ungefähr so wird es bald überall zugehen. Die alten Mandarine in den Ministerien sondern jetzt ein müdes Lächeln ab: Ja, die »Kultur der Hörigkeit«, von welcher der Ober-Mandarin Max Weber einst sprach, sie bekommt man so schnell aus dem Organismus Hochschule nicht heraus.

Und so gut, wie unsere neuen Inspektorenkader sich untereinander verstehen, so wenig werden sie heute von außen alleingelassen. Hier ist vor allem die Wirkung des von Bertelsmann finanzierten Centrums für Hochschulentwicklung zu würdigen, das durch Publikationen, Tagungen, Übernahme von Planungsaufträgen und Entsendung von Mitarbeitern in Hochschulgremienmassiven Einfluß auf die wirtschaftsförmige Entwicklung des deutschen Hochschulwesens nimmt. Seine Leistung besteht vor allem darin, daß es den Randteilnehmern des Wissenschaftsprozesses eine organisatorische und ideologische Heimat bietet. Man könnte vielleicht so sagen: Die Qualitätssicherung der Lehre und Forschung liegt in Deutschland in der Verantwortung von Menschen, die solche nicht unbedingt selbst hervorgebracht haben müssen, aber sie nach dem Studium von Hunderten von Seiten ihnen zuliebe geschriebener Papiere zertifizieren. Nun höre ich den Einwand, das sei ja schon immer so gewesen. Immer schon habe es den Typus des forschungsfernen und an politischen und organisatorischen Dingen interessierten Hochschulangehörigen gegeben. Der große Unterschied ist nur, daß früher sich diese Kolleginnen und Kollegen sehr gut mit sich selbst beschäftigten und in ihrem jeweiligen Antagonismus und in der gemeinsamen Abwehrstellung gegen die Obrigkeit erschöpften. Jetzt aber haben sie den politischen Willen Europas hinter sich.

Was die Akkrediteure übrigens auch gut können, ist die Nachahmung ihres großen Vorbilds, des Wirtschaftsunternehmens. AQUAS hat an der Spitze einen Vorstandsvorsitzenden, einen Vorstand, eine Akkreditierungskommission und einen Beirat. Und diese Räte setzen dann die Gutachtergruppen ein, die vor Ort die Begutachtung vornehmen. Diese tiefe und reiche Staffelung können sich die Agenturen auch leisten, denn die Universitäten, genauer die einzelnen Studiengänge bezahlen sie für ihre Dienste. Um es konkret zu machen: Das Institut, am dem ich noch unakkreditiert lehre und forsche, wird alle fünf Jahre 16 Prozent des Gesamtetats für die Akkreditierung aufbringen müssen. Und damit sind nur die Kosten für die Begutachtung des Studiengangs angesprochen. Wie in England müssen nun auch bei uns in jeder Berufungskommission zwei auswärtige Mitglieder mitwirken. Reise- und Übernachtungskosten, Tagegelder, das geht alles vom Institutsetat ab. Und was die Evaluierung von Forschungsaktivitäten betrifft, so haben wir schlicht noch keine Erfahrungswerte. Aber wir sehen ein, daß die neue Qualitätskultur ihren Preis hat. Er könnte darin bestehen, daß von fünf Stunden Hilfskraftunterstützung pro Woche und Hochschullehrer in Zukunft vielleicht noch drei übrigbleiben.

Ich muß aber hier ganz offen sagen, daß ich genau zu diesem Zeitpunkt gerne sehr viele Hilfskräfte beschäftigen würde, angehende Kulturwirte meinetwegen, deren Modul Volkswirtschaft es ihnen ermöglichen müßte, mir und allen, die es wissen wollen, vorzurechnen, was das kostet, an hochbezahlten und fehlgeleiteten Stunden, diese Herumevaluiererei, dieses Umschreiben von 1800 funktionierenden Curricula auf die ungewisse Zukunft von Bachelor- und Master-Studiengängen, dieses Verfassen von 1800 akkreditierungskonformen Modul-Handbüchern. Und dann hätte ich gerne noch einmal soviel Hilfskräfte und Assistenten, die Besten ihres Jahrgangs, die eine smarte Organisation aufbauen helfen, eine Agentur mit einer ganz flachen und leanen Struktur, untergebracht in einem dieser neuen Glaspaläste und mit einem Ikebana-Gesteck auf dem Front-Desk. Eine Website hätten wir, die jede Menge Preise gewinnt, und ein wieselflinkes Team, das als Eingreiftruppe überall dort auftaucht, wo sich die Inspektoren angemeldet haben. Vorher. Und draußen auf dem Schild (Messing) stünde: »DGB. Deutsche Gesellschaft für Beratungsresistenz«.

Ich will nicht ungerecht sein. Die schöne neue Hochschulwelt wird Qualitäten haben, von denen wir alle profitieren. Wenn wir also in Zukunft gehalten sind, die Lehrveranstaltungen bis auf den Stundentakt hinunter zu taylorisieren und für fünf Jahre festzuschreiben, dann bedeutet das auch, daß man sich nicht mehr von Semester zu Semester vorbereiten muß. Oder gar neue Themen und Veranstaltungsformen ausprobiert. An meinem Institut ist es seit langem guter Brauch, daß wir für jedes Semester einen anderen thematischen Schwerpunkt bilden, der auf Defizite, aber auch auf aktuelle Herausforderungen des Faches reagiert. Das wird man bei Beachtung der Fünfjahrespläne aufgeben müssen. Man serviert dann eben, wie unsere US-amerikanischen Kollegen das schon seit jeher tun, seine Module aus der Mikrowelle, man reproduziert sich skriptgetreu, denn ab sofort muß alles bis auf den letzten Credit-Point abprüfbar sein. Und noch ein Vorteil. Das staatsferne System aus externer Beratung und Kontrolle ermöglicht uns Hochschullehrern zumindest die aktive Nicht-Teilnahme. Die Agenturen müssen die Peer Reviews immer wieder neu auf freiwilliger Basis organisieren. Anders als in England und in anderen europäischen Ländern haben sie keine Handhabe, Gutachter zur Mitarbeit zu zwingen. (Das Formular eines höflichen Absageschreibens erhalten Sie über die DGB.)

Wir versuchten mit den unablässig wuchernden Anleitungen der Regulatoren Schritt zu halten. Wir bereiteten uns an Hand ihrer Listen auf das Kommende vor, zum Beispiel auf unsere Lieblingsfrage im neunzigteiligen Peer-Leitfaden der Agentur HIS: »Haben die Absolventen das Lernen gelernt?« Kommt das um 11.15 Uhr oder erst um 11.45 Uhr nach der Frage: »Reichen die finanziellen Mittel für Lehre und Studium?« Gemeint ist sicher: nach Abzug der 12500 Euro Akkreditierungsgebühr. Aber lange Zeit hatten wir das Gefühl, daß irgend etwas vergessen worden war, daß eine Art Schlußstein fehlte, eine Sanktion, die aus höchster Höhe erklärte, daß es gut wäre. Im November 2003 kam die (Er)Lösung: »Erster Studiengang Evaluation in Deutschland: Hochschulkooperation bestätigt das Saarland als Zentrum der Evaluation«. Damit hatten sie es erreicht: den Aufstieg in die Ebene des Meta und die Garantie der ewigen Selbstfortzeugung. Replikation also nicht nur in der paßgenauen Abbildung von System und Kontrollsystem, nein auch in the flesh, in Gestalt lebenswarmer, für den neuen Über-Purpose fitzumachender Studierender (Evis?). Ab sofort kann man am »Centrum für
Evaluation (CEval)« der Universität des Saarlandes den Master of Evaluation studieren. Nur um klarzumachen, wie ernsthaft wir uns in diese Materien hineingedacht haben, werfen wir eine letzte Frage auf: Wie wird man sich wohl die Evaluierung dieses Studiengangs vorzustellen haben?