Merkur Nr. 461, Juli 1987

Das Prinzip Bayern
Über Demütigung und Unterwürfigkeit in der Politik

von Kurt Scheel

Bayern ist anders, man versteht es nicht; und wenn man es versteht, nützt es nichts: Was im nichtbayerischen Restdeutschland zu öffentlicher Empörung, wenn nicht gar zu einem politischen Skandal führen würde, gilt hierzulande als normal – in Bayern gehen eben die Uhren anders. Als dieser Satz populär wurde, zu Zeiten der sozialliberalen Koalition, trug er den Gestus jovialer Herablassung. Davon ist wenig übriggeblieben, die bayerische Art, Politik zu treiben, hat sich als höchst wirksam herausgestellt; aus der Herablassung ist Hilflosigkeit geworden, deren Dimension weiter reicht als die Hilflosigkeit beispielsweise dem Bonner Polittheater gegenüber. In Bayern gehen die Uhren anders – das bezeichnet heutzutage eine Fatalität; und wer überhaupt an der bayerischen Politik Anstoß nimmt, reagiert in der Regel auch fatalistisch, bestenfalls ironisch, indem er die alltäglichen Infamien und Durchstechereien der Folklore zurechnet.

Über die bayerische Volksseele soll hier nicht spekuliert werden; Achternbuschs vielzitierter Satz, sechzig Prozent der Bayern seien Anarchisten, und die würden alle CSU wählen, ist vielleicht witzig, aber sicher nicht richtig, selber Ausdruck einer Hilflosigkeit, die zu glorifizieren sich entschlossen hat, was sie nicht ändern kann. Näher liegt es, die Selbstverständlichkeit, mit der die Staatspartei bestätigt wird, nicht einer spezifischen Mentalität zuzuschlagen, sondern sie als plausiblen Ausdruck realer Interessen zu verstehen: Die CSU steht für eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung; und »Demokratie«, »politische Kultur« – ja mei, das ist vermutlich für einen Großteil der Bevölkerung (nicht nur in Bayern) von eher geringem Interesse. Solange es ökonomisch aufwärtsgeht, solange beim Verteilen der Beute für viele etwas abfällt oder sie zumindest darauf hoffen können – seien das Subventionen für die Landwirtschaft oder die Industrie: Arbeitsplätze! –, solange ist es doch völlig egal, welche Figuren Kultusminister oder Fernsehdirektor werden, ob man Wackersdorf oder die Staatskanzlei baut, welche Aids- oder Datenschutzpolitik exekutiert wird.

Nein, die prästabilisierte Harmonie zwischen Bevölkerung und politischer Klasse in Bayern bedarf keiner Erklärung: Man hat eigentlich recht wenig miteinander zu tun, und solange man Strauß die Rolle des sorgenden Hausvaters abnimmt, darf er die Wahlergebnisse ruhig vorher festlegen: »55 Prozent plus«. Nicht die Fatalität der bayerischen Wahlergebnisse ist das Problem, sondern die Verkommenheit der politischen Klasse und ihres gesellschaftlichen Umfeldes; und der Fatalismus der kritischen Reaktion darauf.

Die Intellektuellen haben ihre Lektion gelernt, zu gut möglicherweise; sie sind noch melancholischer geworden, wissen, daß Empörung sinnlos ist, schlimmer: Wer sich darüber aufregt, daß ein des Meineids Überführter zum Hüter der Verfassung bestallt wird, macht sich lächerlich, ist naiv, »blauäugig« – keinen schlimmeren Vorwurf könnte man einem Intellektuellen heutzutage machen. Da Empörung, Kritik nichts ändere, sei sie steril: Die traditionelle Selbstüberschätzung des Intellektuellen ist einem Realismus gewichen, einer Bescheidenheit, die noch weniger erträglich ist als die präzeptoriale Anmaßung. Vollendeten Ausdruck findet diese Haltung in der bayerischen Institution des »Derbleckens«, wenn sich die Spitzen des Freistaats zum Starkbieranstich versammeln, wo ihnen dann offiziell die Leviten gelesen werden; nein, durchaus nicht zahm, da darf der Kritiker richtig bösartig werden: Das Gelächter der Angegriffenen ist programmiert und gilt als Ausweis der liberalitas Bavariae. Diese Form von heimlichem Einverständnis ist ärger als die zwischen politischer Klasse und Beherrschten, weil sie teilhat an der geistigen Korruption, die zu bekämpfen sie vorgibt. Vielleicht spielt der Intellektuelle, ob er will oder nicht, in unserer Gesellschaft auch die Rolle des Hofnarren – sich in ihr einzurichten, es sich gemütlich zu machen, dazu besteht freilich keine Notwendigkeit.

Daß Kritik in der Regel nichts ändert – und schon gar nicht in Bayern –, daß sie an festgefügten Machtverhältnissen zerstäubt, ist eine Tatsache. Daraus den Schluß zu ziehen, sie sei sinnlos, allenfalls in Form milder Sottissen angebracht, zeigt nur, daß die Gewöhnung ans Prinzip Bayern weit vorangeschritten ist. Kritik muß ihrem Gegenstand angemessen sein. Auf bayerische Verhältnisse bezogen, bedeutet diese Banalität, Schamlosigkeit unverschämt anzusprechen; Brutalität nicht zimperlich auszustellen; Dummheit und Korruption als solche zu bezeichnen. Und daß dies ganz in ihrem Sinne ist, wird man von den bayerischen Experten für Ratten und Schmeißfliegen, engagierten Befürwortern einer deutlichen Sprache, wohl annehmen dürfen.

Strauß und seine drei Vormänner Stoiber, Tandler, Gauweiler sollen hier nicht im Zentrum stehen; sie, intelligente Überzeugungstäter, betreiben nichts anderes als früher auch: eine Politik, deren Ziel in Sicherung und Ausbau der Macht besteht; bzw., und dies scheint immer größeres Gewicht zu bekommen, in der beflissenen und schrankenlosen Umsetzung Straußscher Idiosynkrasien.

Womit nicht gemeint ist, daß die Pläne und Aktionen des Ministerpräsidenten verrückt seien, im Gegenteil, häufig genug liegt ja auf der Hand, wem genützt, wem etwas zugeschanzt, wer gedemütigt werden soll. Aber auf solche Rationalität kann man sich nicht unbedingt verlassen, offenbar verliert sich Strauß in zunehmend bizarre Vorstellungen, die gelegentlich einen sehr persönlichen Charakter haben: Der Privatkrieg gegen Österreich beispielsweise bekommt langsam pathologische Züge, und wenn es in München ein österreichisches Kulturinstitut gäbe, wäre eine Schließung, chomeinimäßig, keine Überraschung…

Aber wie auch immer: Neben der traditionellen Sicherung und dem Ausbau der Macht hat für die bayerische Politik offenbar vorrangige Bedeutung die Loyalität, mit der Straußsche Ideen ausgeführt werden. Wobei Loyalität nicht das treffende Wort ist: Unterwürfigkeit? Ängstliche Beflissenheit? – Was, wie gesagt, im Falle der drei Vormänner uninteressant, da vorausgesetzt ist: Sie sind Blut von seinem Blute, des Meisters Kreaturen, an denen er Wohlgefallen hat, und dementsprechend verhalten sie sich. Erhellender scheint daher, unterhalb dieses Machtzentrums nach Beispielen für die Bedeutung von Demütigung und Unterwürfigkeit als Prinzip bayerischer Politik zu suchen.

 

Zehetmair oder Inkompetenz als Qualität

Im Februar hatte der Nachfolger von Kultusminister Maier, Zehetmair, in einer Fernsehdiskussion zum Thema Aids Äußerungen getan, gegen die protestiert worden war. Zehetmair reagierte in einem Antwortschreiben: »Ich habe in dieser Sendung ausweislich des Protokolls ausdrücklich betont, daß es nicht darum gehe, jemanden zu verurteilen, wenn er homosexuell ist. Ich habe weiterhin erklärt, daß man für Homosexualität Verständnis aufzubringen hat, auch wenn man sie, wie ich persönlich, als naturwidrig und ein im Grunde krankhaftes Verhalten ansieht. Meine Aufgabe kann und darf es nicht sein, um Verständnis für Homosexualität und damit für Randgruppen unserer Gesellschaft zu werben. Sondern sie muß vielmehr in erster Linie darin bestehen, dafür Sorge zu tragen, daß möglichst wenig junge Leute in diesen durch Aids besonders gefährdeten Randbereich hineingeraten. Wir müssen den Schutz der Vielen in der Bevölkerung als zentrales Ziel im Auge sehen und uns nicht nur darum bewegen, wer am Rand noch besser verstanden werden kann. Dieser Rand muß durch Aufklärung dünner gemacht bzw. ausgedünnt werden, denn er stellt für die Jugend keine Zukunftsperspektive dar. Nur zur Ergänzung darf ich Sie auf die Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Höffner, vom Freitag, den 13. März 1987, hinweisen. Darin heißt es, daß homosexuelle Verbindungen nicht mit der Lebensform Ehe und Familie gleichzustellen seien. Sie verstießen nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern leisteten damit auch der Verbreitung der Immunschwäche- Krankheit Aids Vorschub.«

So ausführlich wird aus dem Brief zitiert, weil er ein grandioses Dokument der sprachlichen, intellektuellen und moralischen Verkommenheit ist, die nicht von ungefähr an das Wörterbuch des Unmenschen erinnert, freilich keine faschistische Gesinnung, sondern nur den ganz gewöhnlichen, zeitgemäßen Typus der autoritären Persönlichkeit kennzeichnend.

Diese sprachliche und intellektuelle Katastrophe muß hier nicht kommentiert werden, sie ist in der Süddeutschen Zeitung (10. April 1987) gebührend ausgestellt worden, freilich mit einem fragwürdigen Schluß: »Wäre Zehetmair Landwirtschaftsminister, na schön, nun gut; der Schweinezucht mag solches nicht weiter schaden. Doch zur Erziehung von Menschen ist das Handicap, kein rechtes Deutsch zu haben, allzu groß.« Im Gegenteil, gerade weil Zehetmair als Kultusminister untragbar, gerade weil er für sein Amt nicht qualifiziert ist, hat man ihn ja dafür ausgewählt. Zehetmair kann kein Deutsch? – wunderbar, dann ist er der ideale Schulminister, denn je weniger einer kann, um so abhängiger ist er vom Chef. Wer dumm bzw. überfordert und daher ängstlich ist, den muß man nicht kujonieren, der macht freiwillig Männchen. Zehetmair muß seine Ernennung zum Kultusminister als Akt der Gnade begriffen haben: Warum, oh Herr, hast du mich erwählt, gibt es doch Würdigere – und recht hat er. Bis zu seinem Lebensende ist er in der Schuld des Herrn; und der wird ihn das spüren lassen.

Freilich hieße es Strauß zu unterschätzen, wenn man annähme, bei der Berufung Zehetmairs sei es ihm nur darum gegangen, die Zahl der inkompetenten und daher unterwürfigen Mitglieder der bayerischen Staatsregierung zu erhöhen. In diesem Fall, und das wirft ein Licht auf das Straußsche Politikverständnis und seine Einstellung zu Bayern, war der wirkliche Adressat der geschaßte Kultusminister Maier. An dem war Strauß ja so unerträglich gewesen, daß er nicht kuschte, zumindest nicht freudig-schweifwedelnd; und wenn, hatte der professorale Minister seinem Chef doch oft genug zu verstehen gegeben, daß er sich ihm intellektuell durchaus ebenbürtig fühlte. Die Demütigung Maiers durch den Hinauswurf hatte Strauß offenbar nicht gereicht.

Wie wäre es, wenn man dem arroganten Maier zeigte, daß in Bayern jeder Dummkopf (nur ein Dummkopf?) Kultusminister werden kann, daß ein Stock mit einem Hut ausreicht, und wenn Wir es wünschen, wird man ihn grüßen … Vielleicht ist es überzogen, die Straußsche Politik als die einer Besatzungsmacht zu interpretieren, wie es die Geßler-Assoziation nahelegt; aber daß Bayern wie Privatbesitz behandelt wird, ließe sich dem Fall Zehetmair wohl ablesen. Unterwürfigkeit Strauß gegenüber, so wäre festzuhalten, ist eine gute Voraussetzung, um in Bayern Karriere zu machen; wenn sie mit Inkompetenz gepaart ist, wachsen die Chancen, zumindest im mittleren Management der Politik.

 

Lang oder Unterwürfigkeit als Tugend

Anfang April meldete die Presse, daß zwei bayerischen Kabinettsmitgliedern die Teilnahme an einer in Salzburg veranstalteten Fernsehdiskussion zum Thema »Bayerisch österreichisches Fingerhakeln« von Ministerpräsident Strauß untersagt worden war, mit einer bemerkenswerten Begründung: Er möchte nicht, so Strauß vor Journalisten, daß Kabinettsmitglieder im Ausland angepöbelt würden und dann möglicherweise einer Diskussion nicht gewachsen wären.

Im übrigen habe der Regierungschef das Recht, Kabinettsmitgliedern Auslandsreisen zu untersagen: »Sonst haben wir ja keine Ordnung mehr, und ich kann das Landeskriminalamt beschäftigen, um zu fahnden, wo sie sich jeweils aufhalten.« Strauß wird wissen, warum er Mitglieder seines Kabinetts in Zusammenhang mit Fahndungsmaßnahmen der Kriminalpolizei bringt. Wichtiger in unserem Zusammenhang der bayerischen Demütigungspolitik ist der Sachverhalt, daß sie sich in diesem Fall nicht mehr, wie üblich, gegen den politischen Gegner wendet; und auch nicht, wie im Fall Zehetmair, verdeckt gegen dessen Vorgänger Maier; hier wird, und das ist als Qualität des Prinzips Bayern anzusehen, ein nicht unwichtiges Mitglied der eigenen Clique, Innenminister Lang, öffentlich gedemütigt.

Lang wird von Strauß als Null dargestellt, die einer Diskussion nicht gewachsen wäre – wir haben keinen Grund, an der Richtigkeit dieser Einschätzung zu zweifeln, Strauß wird seine Kabinettsmitglieder kennen. Dennoch bleibt erstaunlich, mit welch sadistischem Vergnügen der Chef öffentlich macht, was er von seinem Minister hält, wie er ihn verachtet: Lang, der Wurm, Lang, die Fußmatte. Nun wird ja niemand gezwungen, bayerischer Staatsminister zu werden. Und neben dem Hinauswurf, wie bei Maier, gibt es, zumindest theoretisch, noch eine andere Möglichkeit, dem Schicksal eines Kabinettsmitglieds zu entrinnen: den Rücktritt.

 

 

»Lang hat über einen Rücktritt nachgedacht«, lautet einige Tage nach dem Teilnahmeverbot eine Zeitungsschlagzeile; Lang habe sich, ist es zu glauben?, unverhohlen kritisch mit den Straußschen Äußerungen auseinandergesetzt – bellt der geprügelte Hund, wird er gar zurückbeißen? »Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollten wir uns nicht rächen?« Doch, alas, München ist nicht Venedig, Lang nicht Shylock: Wenn er, Lang, nun doch nicht zurücktrete, so gehe es ihm vor allem darum, daß die Oberpfalz, wo er Bezirksvorsitzender sei, weiterhin im Kabinett vertreten bleibe.

Eine aparte Begründung, die ihren Zweck erfüllt: Lang zeigt, daß er ein lebendiger Mensch ist, mit Gefühlen und durchaus kränkbar; aber der höheren Sache (Oberpfalz) zuliebe muß er leider weiterhin treu seiner Pflicht nachkommen. Das ist nicht ohne Tragik, gibt freilich dem Mitleid für den Erniedrigten und Beleidigten einen argen Dämpfer: Offenbar hatte Strauß einfach recht gehabt, seinen Innenminister wie einen Wurm zu behandeln.

Eine sozusagen amtliche Bestätigung dieser Einschätzung gibt dann die Staatskanzlei, die erklärt, Lang habe dem Ministerpräsidenten gegenüber seine Befriedigung darüber ausgedrückt, daß er an der Veranstaltung in Salzburg nicht teilzunehmen brauchte. Im übrigen habe essich gar nicht um ein Verbot gehandelt, da Lang sich selber, am Tag der Sendung, im Kabinett gegen eine Teilnahme daran ausgesprochen habe …

Bleibt die Frage, warum Strauß seinen Minister öffentlich demütigte, wenn dieser doch rechtzeitig Demutshaltung angenommen hatte. Es wird schon so sein, daß es Strauß einfach Vergnügen bereitet, seine Umgebung zu Wichten zu machen; und um so größer ist dann er.

 

Vöth, Everding oder Vom aufrechten Gang

Soweit, wie sich das Prinzip Bayern innerhalb der engeren Zirkel der politischen Klasse auswirkt – wobei nicht so sehr der Befund der geistigen Korruption erstaunt als vielmehr ihr Ausmaß, die Verachtungsintensität, die der Ministerpräsident dem bayerischen Staat gegenüber zeigt, den er nach Art einer Bananenrepublik führt; die läßt er aber auch seine Helfershelfer spüren: sie sind Kreaturen seiner Machtvollkommenheit, und dem haben sie Rechnung zu tragen.

Aber was ist mit den anderen, denjenigen, die in Bayern auch etwas zu sagen haben, denen gegenüber Strauß und seine Kamarilla jedoch nicht wie Weisungsberechtigte auftreten können? Diejenigen, die eine Position erreicht, ein Amt innehaben, das ihnen eine gewisse Unabhängigkeit bietet – soweit das in einem Land nach vierzigjähriger Alleinherrschaft einer Partei eben möglich ist.

Wie steht es beispielsweise um die Zivilcourage eines Intendanten einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt? Natürlich bekommt man, auch außerhalb Bayerns, solch einen Posten nicht nur, weil man dafür am besten qualifiziert ist (von Ausnahmen wie Hilf, der sich so mannhaft vor seine Report-Redaktion stellte, abgesehen); politische Überlegungen werden wohl auch eine gewisse Rolle spielen, und so wäre es denkbar, daß der Intendant des Bayerischen Rundfunks eher konservativ, vielleicht sogar Mitglied der CSU sein muß; was ja nicht verboten ist. Aber solch ein Intendant, sollte man meinen, könnte es sich schon leisten, in seinem Bereich selbstbewußt aufzutreten, Eingriffe von außen zurückzuweisen; zumindest es sich empört verbitten, wenn man ihn als Wurmfortsatz der bayerischen Staatskanzlei bezeichnete.

Unglücklicherweise wurde im März ruchbar, daß Staatsminister Stoiber in einem Brief (»persönlich/vertraulich«) dem Intendanten Vöth einigermaßen dringlich geraten hatte, wie bei anstehenden Personalentscheidungen des Bayerischen Rundfunks zu verfahren sei; für die SPD ein Anlaß, den Brief als »Dokument ungenierter, anmaßender und verfassungswidriger Pression« zu bezeichnen, was der Staatskanzlei wiederum unverständlich war und daher als »aufgeregtes Geschrei« zurückgewiesen wurde; zu Recht, hatte man doch nur getan, was man immer tut und wovon man annehmen konnte, daß sich mittlerweile sogar die SPD daran gewöhnt hat: den Bayerischen Rundfunk als Privatbesitz anzusehen.

Leider wurde der Öffentlichkeit Vöths Reaktion auf die Stoiber-Demarche nicht bekannt. Hatte der Intendant auch einen Brief geschrieben (»persönlich/vertraulich«), daß er sich gegen diesen Eingriff auf das schärfste verwahre … Oder hatte er Dr. Stoiber in einem Gespräch unter vier Augen gebeten, keine Briefe mehr an ihn zu schreiben, wie stehe er, Vöth, denn jetzt da, er müsse sich ja schämen vor seiner Frau und seinen Mitarbeitern, man könne doch auch mündlich (»persönlich/vertraulich«) anstehende Probleme regeln, er sei doch weiß Gott immer kooperativ gewesen, was die Anregungen der Staatskanzlei angehe!

Davon wurde, wie gesagt, der Öffentlichkeit leider nichts bekannt. Aber daß Vöth kein Mann ist, der sich herumschubsen läßt, daß es auch in Bayern Mut vor Fürstenthronen gibt, zeigte er anläßlich der Lang-Affäre. Bei der bewußten Fernsehsendung hatte es sich um eine des Bayerischen Rundfunks gehandelt, von der sich der Intendant zwar, als das Straußsche Mißfallen deutlich wurde, flugs distanzierte, nicht jedoch ohne seinen Sprecher erklären zu lassen, er, Vöth, habe die Sendung keineswegs als eine »Panne, die nicht wieder vorkommen soll«, bezeichnet, was wiederum Strauß behauptet hatte. Vöth hatte also Strauß widersprochen! Bzw. widersprechen lassen. Bzw. im Prinzip hatte er Strauß zwar zugestimmt und sich von der Sendung distanziert, aber das Wort Panne, nein, das habe er nicht gebraucht, da blieb Vöth eisern.

Verständlich, daß Vöth nach diesem Beweis seiner Unabhängigkeit und Unerschrockenheit selbst Strauß gegenüber bei der anstehenden Fernsehdirektorenwahl den äußerst umstrittenen Kandidaten der CSU unterstützen konnte, ohne in ein schiefes Licht zu geraten. Bösartige Unterstellungen, er habe sich damit bei der Staatspartei anbiedern wollen, schiele auf die im Herbst stattfindende Intendantenwahl, disqualifizieren sich selbst: Vöths couragiertes Dementi des Wortes Panne macht ja geradezu aktenkundig, daß er nicht willens ist, sich wie einen Erfüllungsgehilfen der Staatskanzlei behandeln zu lassen!

Daß in Bayern auch andere außer Vöth entschlossen sind, sich ihre Würde, ihre Unabhängigkeit zu bewahren, auch auf die Gefahr hin, zu internen CSU-Banketten nicht mehr eingeladen zu werden, läßt sich am Münchner Generalintendanten der staatlichen Theater, Everding, studieren. Vermutlich hat er Strauß nicht ganz in dessen Sinn verstanden, als dieser letzthin vom »aufrechten Gang« schwärmte; aber, in seiner typischen Weise, hat Everding ihn als Mitglied des Rundfunkrats bei der schon erwähnten Fernsehdirektorenwahl praktiziert.

Gegen den Kandidaten Feller – eben der war es gewesen, der den betrunkenen Strauß bei der letzten Bundestagswahl mit tolpatschiger Beflissenheit vor die Fernsehkameras gezerrt hatte – äußerte Everding Bedenken, obwohl er wußte, daß dieser von der CSU gewünscht wurde. Ja, er machte sich anheischig, die sogenannten grauen, d.h. nicht parteigebundenen Rundfunkräte gegen Feller zu mobilisieren, was im März zu einem fast konspirativen Treffen führte, bei dem Everding von seinen Kampfgefährten aufgefordert wurde, unverzüglich beim Intendanten zu intervenieren und mit aller Schärfe zu erfragen, welchen Kriterien denn eigentlich ein Fernsehdirektor entsprechen müsse.

Wie würde der Intendant reagieren? Hatte er doch ausnahmsweise seinen Widerspruchsgeist gegen Anregungen der Staatskanzlei gezügelt und Feller als seinen eigenen Kandidaten vorgeschlagen – diese Frage nach den Kriterien würde ihn in große Schwierigkeiten bringen, Siegeszuversicht machte sich breit bei den Dissidenten. Alles würde jetzt davon abhängen, den Intendanten rechtzeitig mit der Kriterienfrage zu konfrontieren. Und tatsächlich, Everding gelang es, mit Vöth für Anfang April einen Termin zu vereinbaren und ihm jene Frage ins Gesicht zu schleudern; bzw. es wäre Everding gelungen, wenn er nicht gerade diesen Termin hätte verschieben müssen, auf den 7. Mai, was nun unglücklicherweise der Tag der Vorstellung des einzigen Kandidaten Feller war – zu spät für die Kriterienfrage!

Jetzt blieb nur noch eine Möglichkeit, nämlich die Kompetenz Fellers offen in Zweifel zu ziehen. Daß es ausgerechnet Everding war, der den Widerstand schwächte, indem er verbreitete, der Spiegel-Chefredakteur, wahrlich der Feller-Protektion unverdächtig, habe diesen als »glänzenden Journalisten« bezeichnet, ist nicht ohne Ironie; die in Tragik umschlug, als man erfuhr, daß Everding sich offenbar getäuscht hatte, der Chefredakteur hatte Feller einen Journalisten genannt, keineswegs einen glänzenden… Man kann sich Everdings Enttäuschung vorstellen: dieses ärgerliche Mißverständnis, jene unglückliche Terminverschiebung – eine tragische Verkettung von Zufallen; so viel riskiert (er war tatsächlich in der Zwischenzeit zu CSU-Essen nicht eingeladen worden) und in letzter Sekunde gescheitert.

Aber immerhin, man hatte alles gegeben, der Staatspartei die Zähne bzw. Flagge gezeigt. Wenn schon nicht der Sieg, so war den furchtlosen Unabhängigen doch die Würde ihres Widerspruchs, ihres Kampfes zuteil geworden… Man lasse sich durch die possenhaften Züge dieser letzten Fallgeschichte nicht täuschen, auch sie illustriert, was bei Zehetmair und Lang ins Auge stach, nämlich das Ausmaß an geistiger Korruption, Inkompetenz, Unterwürfigkeit, wie es hierzulande so üblich geworden ist, daß es kaum noch auffällt. Das Prinzip Bayern ist, wenn schon keine Utopie, so doch recht konkret, und es spricht nichts dafür, daß die Zerstörung der sogenannten politischen Kultur, wie sie hier engagiert betrieben wird, auf Bayern beschränkt bleibt. Wenn denn im Freistaat die Uhren anders gehen, wäre es dann nicht denkbar, daß sie vorgehen, daß hier ein Modell erprobt wird, das sich durchaus als exportfähig für andere Bundesländer erweisen könnte? Dies freilich wäre nur möglich, wenn man sich ans Prinzip Bayern gewöhnte, wenn man ironisch oder fatalistisch darauf reagierte.