Alte Frauen duzt man nicht
Wider die allzu vertrauliche Nennung historischer weiblicher Persönlichkeiten beim Vornamen von Jonathan Schilling»Als Mädchen habe ich einmal drei Tage geweint, daß mein Onkel eines meiner Gedichte mit meinem Namen in ein Wochenblatt drucken ließ; ein solches Grauen hatte ich vor der Öffentlichkeit, – jetzt bin ich seit Jahren gewöhnt, meinen Namen gedruckt zu lesen; – aber er gehört ja meinem Manne, so hatte der ein Recht, darüber zu verfügen.«
Dies schrieb die Schriftstellerin Ottilie Wildermuth 1854 an ihren Kollegen Adalbert Stifter und begründete damit, warum sie nicht anonym, pseudonym oder kryptonym, sondern unter ihrem wirklichen Namen schrieb (der übrigens, weil er so klangvoll ist, häufig für ein Pseudonym gehalten wurde). Noch deutlicher hatte sie sich anlässlich ihrer ersten Buchveröffentlichung 1848 gegenüber einer Freundin geäußert: »Demnächst wirst du meinen Namen in der Zeitung lesen […] Es war meines Mannes Wille daß ich meinen Namen dazu setze, sonst hätte ich’s nicht gethan, aber da mein Name der seine ist, so kann er darüber verfügen.«
Interessant genug sind die Fragen um weibliche Autorschaft und Anonymität, die sich hier auftun, doch noch etwas fällt sofort auf, wenn man den Text heute liest: Der Nachname gehört dem Mann. Das »schwache Geschlecht« hat dafür den Vornamen. Diesem Verständnis entsprach im 19. Jahrhundert weitgehend die Anrede zwischen Angehörigen des Bürgertums und des niederen Adels: Wenn Männer sich duzten – was hauptsächlich dann geschah, wenn sie denselben Jahrgang einer Schule besucht hatten oder derselben Studentenverbindung angehörten –, nannten sie sich beim Nachnamen: »Was machst du, Marx?« Wenn Frauen sich duzten, benutzten sie den Vornamen: »Hüte dich, Clementine!« Ehepaare untereinander entsprechend: »Ein weites Feld, Luise.« – »Was du da sagst, Briest, ist das Gescheiteste, was ich seit drei Tagen von dir gehört habe, deine Rede bei Tisch mit eingerechnet.« Tony Schumacher erinnert sich: »Die Frauen aus dieser Zeit nannten gewöhnlich ihre Männer mit dem Geschlechtsnamen, was etwas Steifes, Förmliches hatte.« Natürlich gab es auch noch weitere Anredemöglichkeiten von Männern an ihre Frauen, die heute eher aus der Mode gefallen sind: »Du wirst mich verbinden, mein liebes Kind, wenn Du mich vorderhand nicht weiter stören wolltest.«
Ganz folgerichtig ist es also, wenn bei der 1888 erfolgten Erstveröffentlichung des Brautbriefwechsels zwischen Ottilie Rooschüz und David Wildermuth stets die Bezeichnungen stehen: »Wildermuth an Ottilie« oder »Ottilie an Wildermuth«. Mit ganz ähnlichen Beispielen ließe sich die Reihe fortsetzen: »Im April 1894 schrieb Clara an Brahms« oder: »In einem Brief an Emilie notiert Fontane«, oder: »Bereits am 16. März 1870 schreibt Cosima an Nietzsche«.