Heft 878, Juli 2022

»Angebote machen« – Demokratie als Konsum

von Felix Heidenreich

Deutschland, 26. September 2021, 18 Uhr. Die Wahlen zum Deutschen Bundestag gehen zu Ende. Pünktlich um 18 Uhr kommen die Prognosen. Millionen Menschen beobachten, wie sich die Balken der aktuellen Umfragen verändern. Die ersten Hochrechnungen werden veröffentlicht. Freude hier, Enttäuschung dort. In den Fernsehstudios wird schnell hin- und hergeschaltet, man moderiert professionell durch einen Abend, der viele Fragen aufwirft. Wer stellt nun die Regierung? Für welche Koalition reicht es, für welche nicht?

Aber eine Frage bleibt seltsam unerwähnt: Wie ist die Zahl der Nichtwählerinnen und Nichtwähler zu verstehen? Rund 25 Prozent der Wahlberechtigten haben sich einfach gar nicht an der Wahl beteiligt. Kam kurzfristig etwas dazwischen, haben sie es schlicht verschusselt? Oder soll die Wahlenthaltung tatsächlich etwas ausdrücken? Die alten Volksparteien CDU und SPD liegen beide irgendwo bei 26 Prozent. Würden die Nichtwähler eine Partei gründen, wären sie mit einem Schlag ebenfalls eine neue, kleine Volkspartei, würden auf Augenhöhe mit den einstmals »großen« Parteien spielen.

Man muss Wahlenthaltung nicht automatisch für ein großes Problem halten. Viele sind der Ansicht, dass es auch das Recht geben muss, sich nicht für Politik zu interessieren. Vielleicht trainieren die Menschen lieber für einen Triathlon, komponieren Opern, grillen im Garten oder schreiben Gedichte. Aber vor dem Hintergrund einer großen politischen Unzufriedenheit lässt sich das Phänomen auch anders lesen: als Kritik am Mechanismus der Wahl.

Zudem muss man bedenken, dass die Wahlenthaltung bei anderen Wahlen noch viel höher ist. Notorisch hoch ist sie bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, aber auch bei Landtags- und Kommunalwahlen sind die Zahlen erschreckend. In manchen Fällen gibt es mehr Nichtwähler als Wähler. Wie soll man sich da noch auf die Legitimation durch »das Volk« berufen? Ist die Wahl dann tatsächlich noch der richtige Mechanismus für eine demokratische Willensbildung?

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