Heft 915, August 2025

Bye, Bye Soft Power

von Jürgen Osterhammel

Als der Kalte Krieg zu Ende ging, wurden eine Reihe von Versuchen unternommen, den historischen Moment auf den Begriff zu bringen. Francis Fukuyama sprach vom Ende der Geschichte, die sich im Triumph der demokratischen USA vollendet habe. Samuel P. Huntington sah blutige Zivilisationskämpfe am Horizont. Zur gleichen Zeit wurden von Sozialwissenschaftlern wie Arjun Appadurai, Ulrich Beck und Roland Robertson die ersten und lange Zeit maßgebenden Theorien der Globalisierung formuliert. Weltpolitisch sprach man von einer unilateralen oder unipolaren Welt, in der den siegreichen Vereinigten Staaten kein auch nur annähernd ebenbürtiger Gegner entgegentrat.

Von allen Konzepten der 1990er Jahre hat keines den Auf- und Abschwung von Theoriekonjunkturen besser überstanden als die Vorstellung von soft power. Geprägt hat den Begriff Joseph S. Nye, Jr., einer der einflussreichsten und am höchsten geehrten Politikwissenschaftler der USA, viele Jahre lang Leiter (dean) der Kennedy School of Government an der Harvard University, mehrfach auf Listen der »top global thinkers« zu finden, von verschiedenen amerikanischen Regierungen konsultiert und mit diplomatischen Aufgaben betraut.

Am 6. Mai 2025 ist Joseph Nye im Alter von achtundachtzig Jahren verstorben. Mit einer Mischung aus Befriedigung und Verwunderung hat er den weltweiten Aufstieg seiner Wortprägung erlebt. Allein in China gibt es, wie Nye selbst berichtete, Tausende von Artikeln über soft power. Er hat aber auch noch wahrgenommen, was unvorstellbar schien: dass einem amerikanischen Präsidenten die freundliche Seite der Macht egal sein würde.

Im Einklang mit dem gesamten foreign policy establishment der USA, einem – unter Trump erstmals an den Rand gedrängten – Geflecht von Universitätslehrern, Thinktank-Fachleuten, Diplomatinnen und Publizisten, ging es auch Joseph Nye darum, wie die USA ihre »Größe« auf der Weltbühne bewahren und möglichst noch ausbauen könnten. Für Nye und andere liberal internationalists sollte dies in Harmonie mit verbündeten Staaten und im Rahmen dessen geschehen, was heute eine »regelbasierte« Ordnung genannt wird. Es gab eine »freie Welt« der Demokratien, und die USA waren ihre natürliche Führungsmacht unter der Prämisse, dass Führung nicht dasselbe sei wie Herrschaft. Würde das immer so bleiben?

1988 prophezeite der Yale-Historiker Paul M. Kennedy, ein Experte für britischen und deutschen Imperialismus, in seinem Bestseller The Rise and Fall of the Great Powers den relativen Niedergang der USA, während er der Sowjetunion eine geringfügig günstigere Zukunft in Aussicht stellte. Nye war von Kennedys historischer Gelehrsamkeit beeindruckt, die mit viel Datenmaterial den Aufstieg und Fall von Großmächten über die Jahrhunderte hinweg verfolgte. Auch wenn die Auflösung des Sowjetblocks und wenig später der Sowjetunion die Prognosekraft des Historikers in ein unvorteilhaftes Licht rückte, blieben amerikanische Abstiegsängste auf der Tagesordnung. Hatte Kennedy recht?

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