Heft 849, Februar 2020

Das Kochbuch der Gesellschaft: Skizzen zu einer Mediengeschichte des Kochens (II)

von Anatol Schneider

Die Normalisierung des Verbrauchers durch die Etablierung von Konsumnormen, die sich bereits Mitte der 1920er Jahre angekündigt hatte, setzt sich in der Nachkriegszeit unter den Bedingungen einer konsumbereiten Massengesellschaft diesseits und jenseits des Atlantiks fort. Ernährung muss schon deshalb als besonders relevantes Feld des Konsumentenverhaltens gelten, weil Hunger und Durst sich täglich, ja stündlich aufs Neue körperlich bemerkbar machen und uns so daran erinnern, dass nicht nur wir leben, sondern dass es in uns lebt. Ob man dieses Ausgeliefertsein an die dem persönlichen Willen nur bedingt zugänglichen Bedürfnisse der eigenen Leiblichkeit als lästig empfindet oder ob man es als Abstoßungspunkt zum Zweck der Selbstentfaltung und kulturellen Veredelung begrüßt – die Möglichkeit, diesen Punkt zu überspringen, besteht nicht. Die Gestaltung der Ernährung ist unausweichlich, und sie geschieht im Horizont der wechselnden Modelle, welche die Gesellschaft, vor allem die moderne Konsumgesellschaft, an den Einzelnen heranträgt.

Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Kochbuch zu. Dort tauchen jetzt verstärkt auch die allgegenwärtigen Bequemlichkeitsprodukte der Lebensmittelindustrie auf, die zunächst noch weitgehend positiv beurteilt werden. Im Jahr 1951 etwa erscheint das Can Opener Cookbook der Ernährungsjournalistin Poppy Cannon. Und in der überarbeiteten Nachkriegsfassung eines ursprünglich 1931 erschienenen Kochbuchs mit dem Titel The Joy of Cooking heißt es 1957 lapidar: »Dosensuppen sind ein Segen für jede Hausfrau.«1

Ausweitung der Kochzone

Gleichzeitig beginnen Wert- und Stilunterschiede eine stärkere Rolle zu spielen. Entlang eingespielter kultureller Blickachsen werden nationale und regionale kulinarische Traditionen entdeckt, wobei die Suche nach kulinarischen Anregungen zunächst vor allem in Richtung Südeuropa verläuft, zum Mittelmeerraum und nach Frankreich. (Die Erschließung Italiens und Südfrankreichs für den touristischen Massenkonsum entwickelt sich parallel dazu, während die westliche Sicht auf den europäischen Osten durch die politische Teilung Europas für lange Zeit blockiert bleibt.) Die geografische Erweiterung des kulinarischen Handlungsspielraums ist ein Hinweis darauf, dass die Frage nach der kunstgerechten Zubereitung von Mahlzeiten bald schon nicht mehr ausschließlich an die Affirmation ritualisierter bürgerlicher Familiarität gekoppelt sein wird, der die Kochbuchliteratur direkt nach dem Krieg für kurze Zeit noch einmal ostentativ huldigt.

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