Die Reichtümer des Körpers
Versuch einer Kritik der Naturalisierungskritik von Caroline ArniVersuch einer Kritik der Naturalisierungskritik
Es verhält sich in den Köpfen nicht anders als auf den Schreibtischen: Je höher die Stapel werden, desto mehr geraten sie durcheinander. Aufräumen wäre deshalb hin und wieder angebracht, aber vielleicht mehr noch: Sichtung einer Konstellation – denn jedes Durcheinander hat ja seine heimliche Logik. Was also gehört wie zusammen? Dieser Text ist der Versuch, die Konstellation aus drei Stapeln auf meinem inneren Schreibtisch zu sichten.
Erstens ist das mein Interesse an feministischen Konzeptionen von Mutterschaft: Ich hatte ursprünglich die Idee, verschiedene solcher Konzeptionen über die Zeit hinweg miteinander zu vergleichen – seither bin ich bei einer einzigen hängengeblieben. Nämlich bei den Umrissen einer politischen Ökonomie der Mutterschaft, wie ich sie bei einer Handvoll proletarisch-feministischer Autorinnen im Paris der 1830er und 1840er Jahre gefunden habe und die hier den historischen Stoff für meine Überlegungen abgeben werden. Diese Frauen forderten zwei Dinge: dass das Kind den Namen der Mutter trage und dass der Staat an Mütter eine Rente ausrichte.
Aus zwei Gründen bin ich bei dieser Konzeption hängengeblieben: Zum einen denke ich, dass mit ihr eine Ressource für die Care-Debatten der Gegenwart vorliegt. Es reicht ja nicht, die ökonomische und politische Relevanz bestimmter Tätigkeiten zu beziffern und dafür einen englischen Namen zu finden: Sie muss auch auf Begriffe gebracht werden. Was meine Akteurinnen dazu sagen, scheint mir intellektuell umso reizvoller, als es für die Gegenwart provokativ ist. Denn ihre politische Ökonomie der Mutterschaft geht vom mütterlichen Körper aus. Zum andern lässt mich dieser Schauplatz nicht los, weil ich denke, dass diese Mutterschaftskonzeption gerade deshalb aktualisierbar ist, weil sie historisch spezifisch und damit in der Gegenwart ein Fremdling ist.
Zweitens: In den Debatten um den ontological turn in der Sozialanthropologie wird dieses letztere Argument als ein Verfahren der »rekursiven Bewegung« diskutiert. Was ist damit gemeint? Äußerungen der Akteure werden in einem ersten Schritt nicht als andere (in meinem Fall: vergangene) Deutungen desselben Dings interpretiert, sondern als Konzeptionen anderer Dinge (in der Vergangenheit), aus denen sich in einem zweiten Schritt analytische Konzepte für das Eigene (in meinem Fall: die Gegenwart) gewinnen lassen. Das wäre die konkrete Umsetzung der in dieser Debatte in Begriffen der Symmetrisierung angestrebten Äquivalenzbeziehung zwischen Subjekt und Objekt der Forschung.
Tatsächlich hat sich mir mein Interesse an Mutterschafts-Konzepten zunehmend verknüpft mit meinen sozialanthropologischen Lektüren. Oft fällt der Einwand, die ontologische Wende sei letztlich neuer Wein in alten Kultur- (oder gar Hermeneutik-)Schläuchen. Ich halte diesen Einwand nicht für falsch, aber für zu kurz gegriffen. Richtig ist, dass eine auf Symmetrie sensibilisierte Heuristik (und um Heuristik geht es mir) in der Geschichtswissenschaft durchaus etwas Vertrautes erneuert: nämlich die, wie es in den 1980er und 1990er Jahren hieß, »akteurszentrierte Geschichte«. Aber der theoretische Zusammenhang ist ein anderer. Es geht nicht um ein Austarieren der Gewichte im Handlungs-Struktur-Problem (wie verhalten sich Handlungsmacht der Individuen und strukturelle Handlungsbedingungen zueinander?), sondern um die Gegenstandsbestimmung in der historiografischen Untersuchung.
Der dritte Stapel betrifft ein wachsendes Unbehagen an der mir reflexhaft erscheinenden Art und Weise, mit der in der Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie generell in der feministischen Kritik Essentialismus beziehungsweise Naturalisierung gewittert wird: nämlich als generalisierter Verdacht, der immer dann greift, wenn es um Dinge geht, die irgendwie mit dem zu tun haben, was wir »Biologie« nennen. Das ist in einer feministischen Wissenschaft ziemlich Grundlegendes, wie zum Beispiel der Körper oder die Mutterschaft – oder gar: der mütterliche Körper. Der Versuch einer Kritik dieses Verdachts ist hier Fluchtpunkt meiner Überlegungen.
Eine politische Ökonomie der Mutterschaft
Den historischen Stoff für meine Überlegungen beziehe ich aus zwei Schriften von Egérie Casaubon. Wenig ist über die Autorin bekannt, sicher bewegte sie sich im Kreis der Saint-Simonisten, eine der vielen Fraktionen des französischen Frühsozialismus. Sie bezeichnet sich selbst als »Tochter armer Leute«; einem materialistischen oder proletarischen Feminismus rechne ich sie aber vor allem mit Blick auf ihr emanzipatorisches Credo zu: »Die Befreiung der Frau kann sich nur dann vollständig verwirklichen, wenn alle ihre materiellen Bedürfnisse gestillt sind.«
Die erwähnten Schriften sind beide im selben Jahr 1834 erschienen, zuerst La femme est la famille, dann Le nouveau contrat social. Erstere ist an die Frauen gerichtet und leitet eine politische Ökonomie der Mutterschaft her. Zweitere entwickelt den Gedanken weiter und adressiert dazu die Männer beziehungsweise den König und das Parlament. Die Herleitung habe ich andernorts ausführlich dargestellt, hier will ich den Argumentationsgang nur rekapitulieren.
Erstens ist Ausgangspunkt eine Auffassung von Mutterschaft als Arbeit im Sinn von produktiver Tätigkeit: Die Mutter »macht« das Kind – und mit diesem auch Beziehungen: die Mutter-Kind-Beziehung und die Geschwisterschaft. Doch diese Arbeit ist nicht Arbeit wie jede andere, insbesondere funktioniert sie nicht nach dem Prinzip der Lohnarbeit. Ein Kind ist kein Produkt, und Mutterschaft ist nicht entäußerbare Arbeitskraft. Vielmehr ist sie eine Ressource, aus der das Kind entsteht, das mit der Mutter in ebendiesem Zusammenhang steht: Sie macht das Kind »aus ihrem Leben«. Deshalb ist es »Enteignung«, wenn das Kind durch den Vaternamen aus der mütterlichen Filiation in die väterliche Genealogie überführt wird; wobei das Objekt der Enteignung die Mutterarbeit ist, während das Kind erst durch diesen Akt zu einem proprietär gedachten Gut wird (was es in Beziehung zur Mutter nicht ist).