Donald Trumps Männerfantasien
von Jonas RosenbrückSeit seiner triumphalen Rückkehr ins Weiße Haus am 20. Januar 2025 macht Donald Trump, was er will: exorbitante Steuerkürzungen für Superreiche, massive und häufig grausame Abschiebungen von Einwanderern, das Streichen von Fördergeldern für Entwicklungshilfe und Krebsforschung, transphobe Exekutivaktionen, die vorbehaltlose Unterstützung von Israels eskalierenden Kriegsverbrechen im Gazastreifen, die autoritär vorgehende Bestrafung von ihm nicht genehmen Individuen, Kanzleien und Universitäten – the list goes on.
Doch wirklich Spaß scheint der 47. Präsident der Vereinigten Staaten zu haben, wenn er sich Aufgaben fern der Tages- und Weltpolitik widmet. Wie die New York Times berichtet, verbringt Trump seit seiner Amtseinführung viel Zeit damit, Lampen und Vorhänge für die präsidiale Residenz auszusuchen, Empfänge für den Women’s History Month abzuhalten, einen neuen Ballsaal zu entwerfen und den Rosengarten des Weißen Hauses umzugestalten. (Wenn es regnet, ist er zu nass »für die Frauen in ihren Stöckelschuhen«, so der amerikanische Präsident.) Ein bemerkenswerter Rollentausch: Es sind dies die traditionellen Aufgaben der First Lady. Melania Trump jedoch ist seit der zweiten Amtseinführung ihres Mannes so gut wie nie im Weißen Haus zu finden, und so spielt an ihrer Stelle der Präsident die Rolle der ersten Frau der Vereinigten Staaten.
Solch eine Geschlechterverwirrung, solch ein gender trouble fiel auch schon während des letzten Wahlkampfs auf, als Trump immer wieder – anstatt über »Frauen in Stöckelschuhen« bewundernd oder lüstern zu sprechen, wie er es noch am Anfang seiner politischen Karriere häufig tat – seiner Verehrung gutaussehender Männer in der Öffentlichkeit emphatischen Ausdruck verlieh. Bei seinem dreistündigen Auftritt im populärsten Podcast der USA, der verschwörungstheoretisch-hypermaskulinen Joe Rogan Experience, sprach Trump ausführlich darüber, wie schön »seine« Piloten der Air Force One seien – »besser aussehend als Tom Cruise, sogar größer, wie perfekte Prachtexemplare«. Bei so offen zur Schau getragener, homoerotischer Bewunderung konnte Joe Rogan nur unsicher-gequält lachen. Für Trump hingegen ist das detaillierte Lob männlicher Körper Teil seiner Standardroutine geworden. Auch bei seinen fünf anderen Besuchen von »Manosphere«-Podcasts hielt sich der Präsident mit seinem detaillierten Männerkörperkommentar nicht zurück, zur bemerkenswerten Desorientierung seiner Gesprächspartner.
Neben den traditionellen Aufgaben der First Lady und der Bewunderung männlicher Körper frönt der Präsident immer wieder den Leidenschaften und Interessen eines (prä)pubertären Jungen. Im Oval Office hatte er eine Zeitlang ein Modellflugzeug der Air Force One, mit dem er Justin Trudeau beeindrucken wollte. Bei einem Besuch von CEOs der Logistikindustrie im März 2017 trug er einen »I love trucks«-Button und stieg vor einer Gruppe begeisterter Männer in einen Lastwagen, um ein paar Mal auf die Hupe zu drücken. Während seines Staatsbesuchs in Saudi-Arabien im Juni 2025 erhielt er ein Geschenk des saudischen Königshauses, das ihn fast noch mehr begeisterte als die milliardenschweren Investitionen, die ihm Kronprinz Mohammed bin Salman zusagte: zwei arabische Leoparden. Laut Brandie Smith, der Direktorin des amerikanischen Nationalzoos, wollte Trump alles über die »Persönlichkeit« dieser Leoparden wissen: »Wie groß sind diese Tiere? Was essen sie? Wie gefährlich sind sie?« Als dann wenige Tage später Israel den Iran angriff und eine ungeahnte Eskalation der Kriegshandlungen im Nahen Osten riskierte, verbrachte Trump mehrere Stunden auf dem Rasen des Weißen Hauses, um der Installation von zwei Fahnenmasten beizuwohnen, den »besten Fahnenmasten des Landes, der Welt sogar«, den größten und schönsten Fahnenmasten, die man je gesehen hat. Den schlüpfrigen Witz über die offensichtlich phallische Bedeutung dieser »flag poles« lieferte der Präsident dann auch selbst.
Hypermaskuline Kompensation
Trump als Frau, Trump als Homoerotiker, Trump als Junge – ein solches Bild des US-Präsidenten zu skizzieren, skandalisiert: Ist Trump nicht vielmehr das Urbild toxischer Männlichkeit, ein Mann, der protzige Militärparaden abhalten lässt und mit sexuellen Übergriffen auf Frauen angibt? Ein Mann, der von E. Jean Caroll erfolgreich auf zivilen Schadensersatz wegen »sexual battery« verklagt wurde und sich öffentlich mit Vergewaltigern wie Mike Tyson solidarisiert? Ein von Dominanzfantasien besessener Mann, der permanent damit prahlt, dass er der Größte ist und die größte Wirtschaft, das größte Militär, das größte Publikum (wir verstehen: den Größten) hat?
Wer Donald Trumps Verhältnis zum dichten Knotenpunkt »Geschlecht« verstehen will, muss genau dieses Paradox zu denken versuchen: Trumps Hypermaskulinität – seine gewalttätige, misogyne, sadistische, konventionell-patriarchale Männlichkeit – ist die intime Kehrseite seines permanenten Flirts mit der eigenen Feminisierung, Homoerotisierung und entmannenden Regression. Das Übertriebene und Extreme dieser Hypermaskulinität ist Kern und Ergebnis ihrer Kompensationsfunktion: Hier wird ein fundamentaler Mangel hysterisch überspielt.
Die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Essayistin Andrea Long Chu hat in ihrem Buch Females – teils Gender Studies-Manifest, teils Memoiren ihrer Transition – folgendermaßen argumentiert. Die Erfahrung von Lust und Begierde ist immer die Erfahrung einer Überwältigung: Ich begehre meine Begierde nicht aktiv; meine Lustobjekte werden von mir nicht frei gewählt, sondern die Lust überkommt mich und drängt sich mir auf. Insofern ist jegliches Verlangen eine feminisierende Kraft, da als »weiblich« in der westlichen Kultur all das kodiert ist, was als passiv-unterwürfig angesehen wird. Wenn ich etwas begehre, werde ich der Behälter einer mir fremden Kraft. Die entscheidende Wendung von Chus Argument ist: »everyone is female«. Als begehrende Wesen sind alle Menschen, ganz gleich welche »Geschlechtsidentität« sie annehmen, dieser feminisierenden Kraft unterworfen. In diesem Kontext lässt sich Männlichkeit dann als eine Bewältigungsstrategie zweiter Ordnung verstehen: »Everything that we think of as masculinity – even the worst kind, the kind that you find in seedy subreddits and at white nationalist marches – [is] really a way of negotiating, and learning to enjoy, the feminizing force of desire.«
Trumps immer wieder beteuerte Hypermännlichkeit wäre dementsprechend eine Art Feuerschutz, unter dem Feminisierung, die er deutlich intensiver und freimütiger lebt als seine Rivalen, genossen und gleichzeitig verleugnet werden kann. Das Geheimnis von Trumps anhaltender Attraktivität für seine Wähler und Anhänger ist dies: Er erlaubt mir, etwas zu genießen, das ich gleichzeitig verleugnen muss, nämlich, dass auch ich in den Positionen »Frau«, »Homoerotiker«, »Junge« stehe und stehen möchte. Die Angst vor der Feminisierung, die sich in der toxischen Hypermaskulinität ausdrückt, ist nicht so sehr Angst vor dem Verlust der Männlichkeit (was im psychoanalytischen Vokabular unter dem Begriff »Kastrationskomplex« behandelt wird), sondern Angst davor, dass ich meine Kastration genießen werde. Im Angesicht dieser Angst ermöglicht Trump es sich und uns, auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Er gibt sich seiner Feminisierung hin und verleugnet sie mit aller Kraft – seine Männlichkeit ist das Endergebnis dieser in zwei verschiedene Richtungen strebenden Vektoren.
Aus der Perspektive der Männlichkeit als Kompensationsstrategie und Verleugnung von Feminisierung lässt sich auch die manisch-grausame Panik über Transfrauen, die von Trump (und zunehmend auch von deutschen Politikern) immer mehr angeheizt wird, besser verstehen. Es geht hier nicht darum, Cis-Frauen vor angeblich lüsternen und übergriffigen Transfrauen, die keine »echten« Frauen sind, zu schützen; es geht hier nicht einmal darum, die vermeintliche Binarität der Geschlechter aufrechtzuerhalten. Es geht vielmehr darum, dass Transfrauen ein Verlangen verkörpern, das die verleugnete Wahrheit kompensatorischer Männlichkeit darstellt: Sie wollen feminisiert werden. Dass jemand – dass ein Mann – eine Frau sein wollen könnte, ist ein größtmöglicher Affront und muss deshalb unter großen Anstrengungen verworfen werden.
Schein ist Sein
Niemand ist ein »echter« Mann; es gibt nur Personen, die sich durch ihre Körperpraktiken überzeugender in der Nähe des Idealtyps »Mann« positionieren können. Das Interessante an Trump ist, wie fern er von diesem Idealtyp steht: Er benutzt viel Make-up und färbt sich die Haare. Er hat weder ein konventionell gutaussehendes Gesicht noch ist sein Körper nach den Standards dominanter Männlichkeit geformt. Die permanente Bedrohung von Trumps Körper lässt sich mit dem Titel des zweiten von Werner Schwabs Fäkaliendramen zusammenfassen: ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM. Der Präsident ist unförmig und ungelenk, zu schwer, zu weich, zu wabbelig. Und dies schon seit Jahrzehnten. Dem Militärdienst im Vietnamkrieg entzog er sich aufgrund einer Diagnose von Knochenvorsprüngen (Osteophyten) in seinen Fersen; nicht einmal gehen konnte er gut genug, als dass er soldatisch seine Virilität hätte beweisen können. (Die Diagnose wurde aller Wahrscheinlichkeit nach gefälscht, damit Trump der Wehrpflicht entgehen konnte. Es ist unklar, welche Option – Wahrheit oder Lüge – entmannender ist.)