Heft 917, Oktober 2025

Donald Trumps Männerfantasien

von Jonas Rosenbrück

Seit seiner triumphalen Rückkehr ins Weiße Haus am 20. Januar 2025 macht Donald Trump, was er will: exorbitante Steuerkürzungen für Superreiche, massive und häufig grausame Abschiebungen von Einwanderern, das Streichen von Fördergeldern für Entwicklungshilfe und Krebsforschung, transphobe Exekutivaktionen, die vorbehaltlose Unterstützung von Israels eskalierenden Kriegsverbrechen im Gazastreifen, die autoritär vorgehende Bestrafung von ihm nicht genehmen Individuen, Kanzleien und Universitäten – the list goes on.

Doch wirklich Spaß scheint der 47. Präsident der Vereinigten Staaten zu haben, wenn er sich Aufgaben fern der Tages- und Weltpolitik widmet. Wie die New York Times berichtet, verbringt Trump seit seiner Amtseinführung viel Zeit damit, Lampen und Vorhänge für die präsidiale Residenz auszusuchen, Empfänge für den Women’s History Month abzuhalten, einen neuen Ballsaal zu entwerfen und den Rosengarten des Weißen Hauses umzugestalten. (Wenn es regnet, ist er zu nass »für die Frauen in ihren Stöckelschuhen«, so der amerikanische Präsident.) Ein bemerkenswerter Rollentausch: Es sind dies die traditionellen Aufgaben der First Lady. Melania Trump jedoch ist seit der zweiten Amtseinführung ihres Mannes so gut wie nie im Weißen Haus zu finden, und so spielt an ihrer Stelle der Präsident die Rolle der ersten Frau der Vereinigten Staaten.

Solch eine Geschlechterverwirrung, solch ein gender trouble fiel auch schon während des letzten Wahlkampfs auf, als Trump immer wieder – anstatt über »Frauen in Stöckelschuhen« bewundernd oder lüstern zu sprechen, wie er es noch am Anfang seiner politischen Karriere häufig tat – seiner Verehrung gutaussehender Männer in der Öffentlichkeit emphatischen Ausdruck verlieh. Bei seinem dreistündigen Auftritt im populärsten Podcast der USA, der verschwörungstheoretisch-hypermaskulinen Joe Rogan Experience, sprach Trump ausführlich darüber, wie schön »seine« Piloten der Air Force One seien – »besser aussehend als Tom Cruise, sogar größer, wie perfekte Prachtexemplare«. Bei so offen zur Schau getragener, homoerotischer Bewunderung konnte Joe Rogan nur unsicher-gequält lachen. Für Trump hingegen ist das detaillierte Lob männlicher Körper Teil seiner Standardroutine geworden. Auch bei seinen fünf anderen Besuchen von »Manosphere«-Podcasts hielt sich der Präsident mit seinem detaillierten Männerkörperkommentar nicht zurück, zur bemerkenswerten Desorientierung seiner Gesprächspartner.

Neben den traditionellen Aufgaben der First Lady und der Bewunderung männlicher Körper frönt der Präsident immer wieder den Leidenschaften und Interessen eines (prä)pubertären Jungen. Im Oval Office hatte er eine Zeitlang ein Modellflugzeug der Air Force One, mit dem er Justin Trudeau beeindrucken wollte. Bei einem Besuch von CEOs der Logistikindustrie im März 2017 trug er einen »I love trucks«-Button und stieg vor einer Gruppe begeisterter Männer in einen Lastwagen, um ein paar Mal auf die Hupe zu drücken. Während seines Staatsbesuchs in Saudi-Arabien im Juni 2025 erhielt er ein Geschenk des saudischen Königshauses, das ihn fast noch mehr begeisterte als die milliardenschweren Investitionen, die ihm Kronprinz Mohammed bin Salman zusagte: zwei arabische Leoparden. Laut Brandie Smith, der Direktorin des amerikanischen Nationalzoos, wollte Trump alles über die »Persönlichkeit« dieser Leoparden wissen: »Wie groß sind diese Tiere? Was essen sie? Wie gefährlich sind sie?« Als dann wenige Tage später Israel den Iran angriff und eine ungeahnte Eskalation der Kriegshandlungen im Nahen Osten riskierte, verbrachte Trump mehrere Stunden auf dem Rasen des Weißen Hauses, um der Installation von zwei Fahnenmasten beizuwohnen, den »besten Fahnenmasten des Landes, der Welt sogar«, den größten und schönsten Fahnenmasten, die man je gesehen hat. Den schlüpfrigen Witz über die offensichtlich phallische Bedeutung dieser »flag poles« lieferte der Präsident dann auch selbst.

Hypermaskuline Kompensation

Trump als Frau, Trump als Homoerotiker, Trump als Junge – ein solches Bild des US-Präsidenten zu skizzieren, skandalisiert: Ist Trump nicht vielmehr das Urbild toxischer Männlichkeit, ein Mann, der protzige Militärparaden abhalten lässt und mit sexuellen Übergriffen auf Frauen angibt? Ein Mann, der von E. Jean Caroll erfolgreich auf zivilen Schadensersatz wegen »sexual battery« verklagt wurde und sich öffentlich mit Vergewaltigern wie Mike Tyson solidarisiert?1 Ein von Dominanzfantasien besessener Mann, der permanent damit prahlt, dass er der Größte ist und die größte Wirtschaft, das größte Militär, das größte Publikum (wir verstehen: den Größten) hat?

Wer Donald Trumps Verhältnis zum dichten Knotenpunkt »Geschlecht« verstehen will, muss genau dieses Paradox zu denken versuchen: Trumps Hypermaskulinität – seine gewalttätige, misogyne, sadistische, konventionell-patriarchale Männlichkeit – ist die intime Kehrseite seines permanenten Flirts mit der eigenen Feminisierung, Homoerotisierung und entmannenden Regression. Das Übertriebene und Extreme dieser Hypermaskulinität ist Kern und Ergebnis ihrer Kompensationsfunktion: Hier wird ein fundamentaler Mangel hysterisch überspielt.

Die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Essayistin Andrea Long Chu hat in ihrem Buch Females – teils Gender Studies-Manifest, teils Memoiren ihrer Transition – folgendermaßen argumentiert. Die Erfahrung von Lust und Begierde ist immer die Erfahrung einer Überwältigung: Ich begehre meine Begierde nicht aktiv; meine Lustobjekte werden von mir nicht frei gewählt, sondern die Lust überkommt mich und drängt sich mir auf. Insofern ist jegliches Verlangen eine feminisierende Kraft, da als »weiblich« in der westlichen Kultur all das kodiert ist, was als passiv-unterwürfig angesehen wird. Wenn ich etwas begehre, werde ich der Behälter einer mir fremden Kraft. Die entscheidende Wendung von Chus Argument ist: »everyone is female«. Als begehrende Wesen sind alle Menschen, ganz gleich welche »Geschlechtsidentität« sie annehmen, dieser feminisierenden Kraft unterworfen. In diesem Kontext lässt sich Männlichkeit dann als eine Bewältigungsstrategie zweiter Ordnung verstehen: »Everything that we think of as masculinity – even the worst kind, the kind that you find in seedy subreddits and at white nationalist marches – [is] really a way of negotiating, and learning to enjoy, the feminizing force of desire.«2

Trumps immer wieder beteuerte Hypermännlichkeit wäre dementsprechend eine Art Feuerschutz, unter dem Feminisierung, die er deutlich intensiver und freimütiger lebt als seine Rivalen, genossen und gleichzeitig verleugnet werden kann. Das Geheimnis von Trumps anhaltender Attraktivität für seine Wähler und Anhänger ist dies: Er erlaubt mir, etwas zu genießen, das ich gleichzeitig verleugnen muss, nämlich, dass auch ich in den Positionen »Frau«, »Homoerotiker«, »Junge« stehe und stehen möchte. Die Angst vor der Feminisierung, die sich in der toxischen Hypermaskulinität ausdrückt, ist nicht so sehr Angst vor dem Verlust der Männlichkeit (was im psychoanalytischen Vokabular unter dem Begriff »Kastrationskomplex« behandelt wird), sondern Angst davor, dass ich meine Kastration genießen werde. Im Angesicht dieser Angst ermöglicht Trump es sich und uns, auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Er gibt sich seiner Feminisierung hin und verleugnet sie mit aller Kraft – seine Männlichkeit ist das Endergebnis dieser in zwei verschiedene Richtungen strebenden Vektoren.

Aus der Perspektive der Männlichkeit als Kompensationsstrategie und Verleugnung von Feminisierung lässt sich auch die manisch-grausame Panik über Transfrauen, die von Trump (und zunehmend auch von deutschen Politikern) immer mehr angeheizt wird, besser verstehen. Es geht hier nicht darum, Cis-Frauen vor angeblich lüsternen und übergriffigen Transfrauen, die keine »echten« Frauen sind, zu schützen; es geht hier nicht einmal darum, die vermeintliche Binarität der Geschlechter aufrechtzuerhalten. Es geht vielmehr darum, dass Transfrauen ein Verlangen verkörpern, das die verleugnete Wahrheit kompensatorischer Männlichkeit darstellt: Sie wollen feminisiert werden. Dass jemand – dass ein Mann – eine Frau sein wollen könnte, ist ein größtmöglicher Affront und muss deshalb unter großen Anstrengungen verworfen werden.

Schein ist Sein

Niemand ist ein »echter« Mann; es gibt nur Personen, die sich durch ihre Körperpraktiken überzeugender in der Nähe des Idealtyps »Mann« positionieren können. Das Interessante an Trump ist, wie fern er von diesem Idealtyp steht: Er benutzt viel Make-up und färbt sich die Haare. Er hat weder ein konventionell gutaussehendes Gesicht noch ist sein Körper nach den Standards dominanter Männlichkeit geformt. Die permanente Bedrohung von Trumps Körper lässt sich mit dem Titel des zweiten von Werner Schwabs Fäkaliendramen zusammenfassen: ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM. Der Präsident ist unförmig und ungelenk, zu schwer, zu weich, zu wabbelig. Und dies schon seit Jahrzehnten. Dem Militärdienst im Vietnamkrieg entzog er sich aufgrund einer Diagnose von Knochenvorsprüngen (Osteophyten) in seinen Fersen; nicht einmal gehen konnte er gut genug, als dass er soldatisch seine Virilität hätte beweisen können. (Die Diagnose wurde aller Wahrscheinlichkeit nach gefälscht, damit Trump der Wehrpflicht entgehen konnte. Es ist unklar, welche Option – Wahrheit oder Lüge – entmannender ist.)

Der Kontrast zu den anderen Hauptfiguren der Trump-Show ist in dieser Hinsicht instruktiv. Protagonisten wie Verteidigungsminister Pete Hegseth, Heimatschutzministerin Kristi Noem oder auch seine Tochter Ivanka fallen eher durch ihre Hypernormativität auf. Seit Jahren ist Trump dafür bekannt, sich mit Menschen zu umgeben, die aussehen, als kämen sie aus dem »central casting«: von den bestaussehenden Piloten der Air Force One bis hin zu »seinen« Generälen. Wenn die Natur nicht ganz mitspielt, lässt sich dem auch medizinisch nachhelfen. Politico berichtete, dass die Anzahl kieferchirurgischer Eingriffe bei Männern, man verlangt ein markantes Kinn, seit Trumps zweiter Amtseinführung bei Schönheitschirurgen in Washington D. C. exponentiell angestiegen ist.3

Im aktuellen Diskurs werden solche geschlechtsangleichenden Maßnahmen (gender-affirming care) bezeichnenderweise primär im Kontext von Transpersonen diskutiert. Doch auch für Cis-Personen fungieren Brustvergrößerungen und -verkleinerungen, Penisimplantate und Haartransplantationen, Hormone gegen Haarausfall und für stärkeren Sexualtrieb, Steroide und Nahrungsmittelergänzung zum Muskelaufbau, selbst die anhaltende Fitnessstudiokultur ebenso als geschlechtsangleichende Maßnahmen. Sie gleichen mich dem Idealtyp meines Geschlechts an und bringen meinen Körper dem strukturell unerreichbaren Ideal näher – gender-affirming care ist en vogue für alle.

Im Vergleich zu den »central casting«-Protagonisten und Protagonistinnen seines Umfelds sind Donald Trumps eigene geschlechtsangleichende Maßnahmen auffallend minimal. Im Zentrum der Macht entscheidet Präsident Trump, wie es einem (Pseudo)Souverän zusteht, dass er die Ausnahme darstellt. Seine Virilität steht nicht zur Debatte; er muss sich dem Idealtyp nicht anpassen und kann sich Distanz zum Standard konventioneller Männlichkeit leisten. Es ist von zentraler Bedeutung, dass genau dieses Versagen seiner Männlichkeit Trumps Attraktivität für seine Wähler ausmacht: Es ermöglicht Identifikation im Modus der Idealisierung.4 Trump erlaubt mir, etwas zu glauben, von dem ich weiß, dass es falsch ist: nämlich dass er, dass ich ein »echter«, »viriler« Mann bin, ein Mann, wie es sich gehört. Er macht vor, wie man Männlichkeit behauptet und durch den bloßen Akt der Behauptung herbeiredet. Trump verkörpert den Glauben an Männlichkeit als performativen, perlokutionären Sprechakt: Ich bin ein Mann – der männlichste Mann, den es je gab –, weil ich es sage.

Doch wie alle Sprechakte hat auch das Herbeireden von Männlichkeit Möglichkeitsbedingungen, die sozial konstituiert sind. Insofern verlangt die Performanz der Männlichkeit immer ihre soziale Anerkennung durch den Blick des Anderen, oder wie es Chu formuliert: »Gender exists, if it is to exist at all, only in the structural generosity of strangers.« Wenn mich absolut niemand, nicht einmal ich selbst, als Mann anerkennt, bin ich auch keiner. (Die Trans-Rechtsbewegung stellt im Kern die Forderung nach einer Umverteilung dieser Anerkennungsbedingungen dar.) Um diese Großzügigkeit zu erhalten, übe ich mich in Körperpraktiken, die mir am vielversprechendsten im Hinblick auf dieses Anerkennungsziel erscheinen, Körperpraktiken, die so immer eine Art Forderung und Bitte ausdrücken.

Der Trick des US-Präsidenten, mit dem er um die Anerkennung seiner Männlichkeitsperformanz bittet, ist nun folgender: Donald Trump ist eine inkognito, campy, extravagante Drag Queen. Er versteht, dass er das Versagen seiner Männlichkeit nicht überwinden kann, und verschiebt das Problem folglich auf die Ebene des Scheins. Der Schein der Männlichkeit wird durch Trumps theatralische Übertreibungen hervorgebracht. Denn bei ihm finden sich alle klassischen Elemente des Drag. Er übertreibt, er ist ironisch, er ist affektiert, er liebt das Artifizielle und Manierierte, eine Art Rokokostil dominiert seine Welt (überall blitzt es golden, selbst im Oval Office). Er ist »Camp« ganz in Susan Sontags Sinne, denn »the essence of Camp is its love of the unnatural: of artifice and exaggeration«.5 Und da die Extravaganz dieses manieristischen Stils immer auch primär die eigene Künstlichkeit explizit ausstellt, sieht man in Trumps Performanz wie in einer Kippfigur beides: dass er sich als »echter« (hyperbolischer) Mann produziert und dass er keiner ist. Auch die Gefahr dieser Haltung der Politik-als-Camp ist klar. Nach Sontag ist Camp das »Lösungsmittel der Moralität«; in ihm wird jegliche moralische Empörung neutralisiert und im ästhetischen Phänomen des ironischen Spiels aufgelöst. Jeglicher Zugriff auf das Phänomen Trump, der primär mit Moral- oder Realitätsbegriffen vorgeht, begeht somit einen Kategorienfehler.

Die Klage der Männlichkeit

Das Ideal der Männlichkeit kann nie erreicht werden: An irgendeiner Stelle bin ich immer zu klein oder zu schwach, von der Formel ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM bedroht. Insbesondere für heterosexuelle Männlichkeit geht es beim Verfehlen des männlichen Ideals, das sich primär durch Autonomie, Autarkie und Stärke definiert, um ein strukturell unüberwindbares Problem: Der heterosexuelle Mann begehrt etwas (Frau, Weiblichkeit), was er selbst nicht hervorbringen kann. In der Mitte heterosexueller Männlichkeit liegt eine Leere, die nicht nur die Insuffizienz des Mannes anzeigt, sondern auch Autonomie in unhintergehbarer Heteronomie auflöst.6 Flussabwärts der Quelle dieser unzureichenden Männlichkeit finden sich dann die typischen Symptome toxischer Männlichkeit: emotionale Unverfügbarkeit (Abschottung als Verneinung von fehlender Autarkie), misogyne, homophobe und transphobe Gewalt, die sich gegen all diejenigen richtet, die das Verleugnen dieser Quelle durch ihre eigenen Körper- und Lustpraktiken destabilisieren.

In dieser Hinsicht ist homoerotisches Verlangen sicherer: Meine Begierde richtet sich auf etwas, mit dem ich mich gleichzeitig identifizieren kann. Der Mangel wird begrenzt und stabilisiert; die Lücke scheint narzisstisch schließbar. Die Gefahr dieser Ausweichstrategie wiederum liegt in einem möglichen Identifikationskurzschluss. Man ist sich zu gleich und löst somit die notwendige sexuelle Differenz auf, in der sich ein Mann durch sein Nichtfrausein definieren könnte (Robert Stoller: »The first order of business in being a man is don’t be a woman«). Der Sperrbildschirm von Trumps iPhone zeigt ein Bild von ihm selbst, auf dem er in die Kamera, und damit auf sich selbst, zeigt: Im reinen Narzissmus löst sich Geschlecht als Zwischenspiel von Differenzen auf, und zurück bleibt eine unendliche, aber darum leere Mise en abyme.

In diesem Double Bind – sowohl Hetero- als auch Homo-Orientierungen drohen mit der Auflösung der Männlichkeit – staut sich der Affekt auf, den Trump in herausragender Art verkörpert: Ressentiment. Alles muss abgelehnt werden; nie kann er mit der Welt und anderen Menschen im Einklang sein. Dass er sich in einem permanenten, einsamen Belagerungszustand zu befinden scheint, zählt zu seinen auffallendsten Charakteristika. Immer und von allen Seiten will die Welt ihm Böses. Konsequenterweise ist, wie sich in Maggie Habermans Biografie nachlesen lässt, Rache eines der zentralen Themen seines Lebens.7

Doch Rache oder, präziser formuliert, das Ressentiment, wie Friedrich Nietzsche es in der ersten Abhandlung seiner Genealogie der Moral formuliert, ist nicht nur reaktiv. Es sagt »von vornherein Nein zu einem ›Ausserhalb‹, zu einem ›Anders‹, zu einem ›Nicht-selbst‹: und dies Nein ist ihre schöpferische That«.8 Das große Kunststück Trumps ist diese schöpferische Tat aus dem verbitterten Nein heraus. Er ist ein Priester im nietzscheanischen Sinn, denn »der Priester ist der Richtungs-Veränderer des Ressentiment«: »Jeder Leidende nämlich sucht instinktiv zu seinem Leid eine Ursache; genauer noch, einen Thäter, noch bestimmter, einen für Leid empfänglichen schuldigen Thäter.« In Trumps Händen wird »jener gefährlichste Spreng- und Explosivstoff, das Ressentiment« umgeleitet und findet eine (neue) Zielscheibe: Für mein ökonomisches Leiden müssen China, Japan und all die anderen Länder, die uns über den Tisch ziehen, verantwortlich gemacht werden (und nicht die kapitalistische Ausbeutungs- und Klassenstruktur).9 Wenn das ländliche Krankenhaus schließt, liegt das an all den illegalen Einwanderern, die umsonst Gesundheitsversorgung erhalten (und nicht daran, dass Trumps Republikaner Medicaid gekürzt haben). Die Schuld am Zerfall der Infrastruktur liegt bei den »woken« Umweltschützern, die es zu schwer machen, zu bauen (und nicht an chronischer Unterinvestition und Klimakatastrophe). Und natürlich: An meinem Leiden an der Männlichkeit sind die Transfrauen, die Feministinnen und die Schwulen schuld (und nicht die Generalstruktur zeitgenössischer Maskulinität, die Männer an der Männlichkeit selbst leiden lässt). Der »Richtungs-Veränderer« Trump bringt eine Abkehr von den eigentlichen Quellen des Leidens hervor und bietet andere Zielscheiben an, welche die rassistischen, misogynen und xenophoben Strukturen der Psyche seiner Anhänger mit großem Lustgewinn bedienen. Sein politisches Genie liegt in der Umwandlung der Klage der Männlichkeit, des Ressentiments und der maskulinen Versagen-Verleugnen-Struktur in ein Spektakel, das Wählerenergien libidinös an ihn bindet und politisch effektiv macht.

Trump, der Hysteriker

Trumps Grundstruktur ist die des Ressentiments noch in einem weiteren Sinn: Seine Männerfantasien sind immer nur Wiederholungen, ein Noch-einmal-Fühlen, wie es das »Re« in Ressentiment anzeigt. Gegeben wird ihm (und uns allen) der Idealtyp des Mannes von außen, von den diffusen Anderen, dem großen Anderen, um es psychoanalytisch zu formulieren. Die eigene geschlechtliche Körperpraktik kann dann nur reaktiv-wiederholend sein, wenn sie sich diesem Typus anzugleichen versucht. Das Befolgen von Normen ist dementsprechend immer ein sich Unterwerfen, ein sich den Wünschen des Anderen Fügen. Trumps Standardsatz »Nobody tells me what to do« zeigt seine Wahrheit präzise im Modus der Verneinung: Ihm (wie uns allen) wird gesagt, was er zu tun und wie er zu sein hat.

Dies bedeutet wiederum, dass die Wahrheit meines Seins im Anderen liegt, denn nur von dort aus kann die mich konstituierende Anrufung (Althusser: Interpellation) ausgehen: Sag Du mir, wer ich bin. In dieses Schema fallen auch Trumps unaufhörliche Projektionen. Jede Anschuldigung ist ein Geständnis. Wenn er Hillary Clinton der Korruption durch ihre Stiftung bezichtigt, stellt sich später heraus, dass die Trump Foundation korrupt war und per Gerichtsbeschluss geschlossen werden muss; wenn er Joe Biden beschuldigt, die Wahl zu stehlen, versucht Trump genau dies selbst; wenn er seine Rivalen als unzureichend männlich bezeichnet, ist auch dies eine Selbstbezichtigung. Nur im Anderen kann Trump seine eigene Wahrheit sehen und benennen. Sag Du mir, wer ich bin.

Aus psychoanalytischer Sicht liegt hier die Struktur der Hysterie vor, denn die hysterische Frage par excellence, so fasst Slavoj Žižek es zusammen, lautet: »Why am I what you [the big Other] are saying that I am?«10 Die Hysterie benennt einen psychischen Zustand, in dem das Subjekt sich als ein bloßes Für-den-Anderen-Sein empfindet. (Trumps ewige Frage, seiner Biografin Haberman zufolge: »Do you think they liked me?«) Doch die hysterische Frage erhält keine endgültige Antwort und kann eine solche auch nie erhalten (der »große Andere« tritt nie zu mir und sagt mir, wer ich bin), und deshalb muss die Frage immer wieder von Neuem und in einem zunehmend panischen Ton gestellt werden.

Wiewohl sich in der klassischen Psychoanalyse, wie es die etymologische Ableitung von hystéra (Gebärmutter) schon andeutet, hauptsächlich Hysterikerinnen finden, wimmelt es in der Gegenwart von männlichen Hysterikern. Männlichkeit findet sich zunehmend in der Lücke zwischen der symbolischen Identifikation, die von männlichen Körpern verlangt wird, und der Unmöglichkeit, diese Identifikation zu erreichen. Das Resultat sind übernervöse Behauptungen eben solcher Identifikationen. Trump verkörpert in paradigmatischer Form den Ton und das Schema solcher hysterischen Beteuerungen. Der Ton ist weinerlich, verwirrt und überspannt; das Schema ist: »Ich bin, gegen alle Widrigkeiten, Präsident der USA (der größte und stärkste Mann der Welt) geworden und werde trotzdem andauernd kleingemacht. Wie groß ist groß genug? Warum bin ich immer noch nicht groß und stark genug, ich kann doch gar nicht mehr größer und stärker werden?«

Die Vermessung der Körper

Als Bindungs- und Kontrollstrategie dieser Hysterie, die aus dem Ruder zu laufen droht, mobilisiert Trump häufig eine Flucht in die Messbarkeit des Lebens, die eine objektive Antwort auf die hysterische Frage »Wer bin ich?« verspricht. Die Komplikationen (körperlicher, geschlechtlicher) Existenz lassen sich kontrollieren, indem man sie dem Vermessen unterwirft – so die Hoffnung im Zentrum von Trumps Obsession für einen numerischen Zugang zum Leben (Einschaltquoten, Immobilienpreise, Publikumsgröße, Aktienmarkt, Körpergröße). Eine solche Zuflucht lässt sich paradigmatisch an einem von Trumps Lieblingsthemen zeigen: dem Sport.

In seinen Podcast-Auftritten bei Joe Rogan und anderen war der Sport (American Football, Baseball, Mixed Martial Arts, Golf) durchgehend das am ausführlichsten und enthusiastischsten diskutierte Thema. Dabei kristallisieren sich drei Hauptfunktionen von Trumps Sportfaszination heraus. Zunächst stellt der Sport diejenige Sphäre zeitgenössischen Lebens dar, in der sich Körper am striktesten nach im Vorhinein bekannten Regeln verhalten. Diese präzise Regulierung entspricht der paradigmatischen Quantifizierbarkeit von Sportereignissen. Durch körperbasierte Messbarkeit hat der Sport demgemäß einen doppelten Vorteil: Er wendet sich nicht vom Körper ab (keine Sublimierung), aber hebt dessen Unkontrollierbarkeit durch Quantifizierung auf.

Innerhalb dieses Regulierungsrahmens (und vielleicht nur innerhalb dieses Rahmens) kann dann für Trump, zweitens, eine gemeinsame Welt entstehen. Hier finden Männer einen Weg zueinander und zu sich selbst; hier können sie sich um ein gesichertes und geteiltes Gesprächsobjekt versammeln und so die Wärme zwischenmenschlicher Beziehungen spüren. Hinzu kommt, dass dieses geteilte Objekt wiederum der männliche Körper als körperlich und als männlich ist – der Kreis schließt sich, man ist endlich unter Männern. Die politische Effektivität dieser Struktur wird leicht von all denen unterschätzt, die diese Welt nicht teilen. Wenn er bei seinen Podcast-Auftritten über Sport redete, erschien Trump durchweg sachkundig und vernünftig. Er hatte Spaß und zeigte seinen Enthusiasmus. Sein vielbeschworener solipsistischer Narzissmus wich einem genuinen Interesse an seinem Gegenüber und dessen Meinungen. Es zeigt sich, wie sehr Trump die emotional-leibliche Lebenswelt seiner Wähler teilt, so wahrgenommen wird und auf diesem Weg Zugang zu einem sensus communis hat. Kurzum, in der gemeinsamen Welt des Sports verkörpert er die wichtigste politische Eigenschaft der amerikanischen Politiklandschaft: Er ist »relatable«.

Mit der Zuflucht zur Vermessung der Körper geht allerdings die Gefahr der Evakuierung des Politischen aus der Diskurssphäre einher. Auch hier hilft ein Beispiel aus Trumps Wahlkampf in der Manosphere. Bei seinem Auftritt im Podcast Bussin’ With the Boys (ein Podcast von zwei ehemaligen NFL-Spielern, die sich die Frage stellten »How do we bring the locker room to life through our content?«) stellt ihm einer der Hosts die als Witz präsentierte Frage: »Make America great again, would you say that involves the Nebraska Cornhuskers winning a national title?« Trumps politisches Programm und berühmtester Slogan reduzieren sich hier ohne Umstände auf die leere Hülle einer libidinös aufgeladenen Gewinnermentalität, die mit beliebigen Inhalten gefüllt werden kann; jegliche Diskussion genuin politischer Fragen bleibt auf der Strecke. Der Sport funktioniert als Surrogat und Ersatz der Politik.

Diese Evakuierung des Politischen hat politische Effekte. Trumps lockerer Plauderton ist einer der Hauptbestandteile seiner »relatability«. Aufgrund seiner Fähigkeit, einfach drei Stunden lang im beliebtesten US-Podcast draufloszureden, scheint es vielen Amerikanern so, als sei er »einer von ihnen« – schließlich haben sie gerade drei Stunden mit ihm in entspannter, aber anregender Atmosphäre verbracht. Die Vertrautheit von Ton und Stil (die häufig als die »Authentizität« dieses chronischen Lügners benannt wird) führt zu der falschen Annahme seiner Anhänger, dass er politisch für ihre Interessen einstehen wird. Da diese Annahme zum Großteil nicht auf der Realität Trumpscher Politik und ihrer Konsequenzen basiert, sondern auf einer emotional-psychischen Wahlverwandtschaft, kann sie auch von der Wirklichkeit nur schwer widerlegt werden. Gerade darum ist Trumps Flucht in die Surrogatwelt des Sports und des Spektakels politisch so effektiv, was Trump selbst versteht und kontinuierlich ausschlachtet: für die Feierlichkeiten zum 250-jährigen Jubiläum der amerikanischen Staatsgründung am 4. Juli 2026 plant er momentan einen Mixed Martial Arts-Kampf der Ultimate Fighting Championship auf dem Rasen des Weißen Hauses.

Sümpfe und Ströme – ein Theorieproblem

Was nicht gemessen und beziffert werden kann, droht das Subjekt wegzuschwemmen, zu ertränken oder fatal zu entgrenzen. Es war unheimlich im strengen Sinne des Wortes, als eine von Trumps Wahlparolen 2015 direkt aus Klaus Theweleits Männerphantasien, dem Standardwerk zur (proto)faschistischen Männlichkeit, zu stammen schien: »Drain the Swamp!« »Aber Papen, was machen Sie denn da? Ich lege den bolschewistischen Sumpf trocken« (1932), heißt es auf einer Fotomontage bei Theweleit.11 Theweleits Überlegungen zu (weiblichen, roten, sozialistischen) Strömen und den »Körperaggregatszuständen« soldatischer Männer, die sich permanent von Überflutung bedroht fühlen, lassen sich direkt auf Trumps Klagen und Politik übertragen: Der Rose Garden ist zu nass, man droht darin zu versinken. Die »Flut von Immigranten« ist eine existenzielle, panisch machende Bedrohung, denn »without borders, we don’t have a country«, und deswegen bauen wir eine Mauer.

Ein ganzer Essay in Theweleits Sinn ließe sich über Trumps Bezeichnung von Kamala Harris’ Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz schreiben. Im Spottnamen »Tampon Tim« komprimieren und verweben sich Trumps Obsessionen mit Menstruation, Körperöffnungen und Blut sowie der Farbe Rot als Verbindungsglied von überwältigender Weiblichkeit und bedrohlichem Sozialismus. Ebenso ließen sich Trumps berüchtigte Beleidigungen als die primäre Praktik seiner libidinösen Enthemmung der Aggression interpretieren; die psychischen Energien in Trumps Welt fließen »ohne Filter«, ohne Ich und Über-Ich, ganz nach dem Motto »Wo Es war, soll Es bleiben.«

Auch absurd erscheinende Aktionen wie Trumps Zollpolitik lassen sich aus Theweleitscher Perspektive analysieren. Nach der Ankündigung von ungeahnt hohen Zöllen auf Importe aus praktisch allen Ländern der Welt zeigte Fox News, mittlerweile inoffizieller Propagandasender der aktuellen US-Regierung, einen kurzen Beitrag unter dem Titel »Trumps männliche Zölle«. Der Zoll ist ein Panzer, der den Körper der Nation vor Überflutung (insbesondere vor der »roten Flut« aus China) schützen soll. Im Kokon dieses Schutzes sollen Männer wieder hart werden, so die Fox-Kommentatoren, denn nun geht es für den amerikanischen Mann aus den weichen Service- und Bürojobs zurück in die abhärtenden Fabriken. Und in Joe Rogans Podcast spricht Trump dann auch die psychische Wahrheit seiner Zollobsession aus, die sich konsistent durch die vergangenen Jahrzehnte zieht: »To me, the most beautiful word in the dictionary today: tariff. It’s more beautiful than love.« Schöner als die Liebe – schöner als die geneigte Zuwendung zum Anderen, die mich hinaus in die Welt und zum Anderen hinzieht – ist der Zoll, denn er schottet ab und trennt vom bedrohlichen Außen. Zollpolitik als ausgeklügelte Etablierung von Körperpanzern.

Der Intellekt des zeitgenössischen Beobachters findet infolgedessen neues, unerwartetes Reflexionsmaterial noch am ehesten in dem Gefühl der Unheimlichkeit, das von der Begegnung mit einer Gegenwart ausgeht, die sich schamlos genauso entfaltet, wie es eine fast fünfzig Jahre alte Theorie beschreibt. Die Kontingenz der Geschichte wird durch die Stringenz der Theorie bedroht. Hier hilft der Eindruck der Schamlosigkeit dem Denken weiter. Das Gefühl der Scham tritt immer dann auf, wenn ich eine Position, die mir zugeschrieben wird, nicht ohne Ablehnung oder Zwiespalt einnehmen kann. Die Schamlosigkeit der Trumpschen Gegenwart liegt darin, dass sie genau in die ihr von der Theorie angewiesene Stelle tritt. Alles liegt offen zutage: Es braucht kein kompliziertes Nachweisen von strukturellem Rassismus, verstecktem Klassenkampf oder impliziter Misogynie. Trumps Politik ist in your face, direkt und ohne jegliche Scham. Doch es ist gerade diese Schamlosigkeit, die neu zu denken gibt und einen anderen Blickwinkel eröffnet, nicht nur auf besseres Verständnis, sondern auch auf eine andere Politik, eine Politik, die sich auf andere Fantasien als Trumps Männerfantasien stützen würde.

Archimedischer Punkt anderer Fantasien

In Überlegungen zur zweiten Amtsperiode Trumps hat Judith Butler vor Kurzem eine Unterscheidung zwischen »moralisiertem« und »schamlosem« Sadismus vorgeschlagen, wobei beide Spielarten in der Trump-Bewegung zu finden sind.12 Der »moralisierte Sadismus« funktioniert als eine Umwertungsmaschine: »Böse« erscheinende Aktionen (eine schwangere Frau in ein ihr unbekanntes Land abschieben, ein dreizehnjähriges Kind verhaften) sind eigentlich »gut«, wenn man nur versteht, dass sie notwendig sind, um uns dem »guten Leben« näher zu bringen. Der »schamlose Sadismus« dahingegen bemüht sich nicht einmal, seine Grausamkeit umzuwerten, sondern gibt sich, ohne zu zögern, der quälenden Lust hin. Wie Nietzsche es formulierte: »Leiden-sehn thut wohl, Leiden-machen noch wohler«, denn »endlich kommt auch er ein Mal zu dem erhebenden Gefühle, ein Wesen als ein ›Unter-sich‹ verachten und misshandeln zu dürfen«. Dieses erhebende Lustgefühl des Quälens, das gönn ich mir. Faschismus, weil wir Lust darauf haben.13

Dieser Sadismus ist explizit ein optischer: Die Lust stammt daraus, das Leiden des Anderen sehen zu können. Deswegen die Made-for-TV-Deportationen in das CECOT Gefängnis in El Salvador, der beispiellose Inlandseinsatz des Militärs bei Protesten in Los Angeles und das theatralisch-spektakuläre »Alligator Alcatraz«-Immigrantencamp, das einem Konzentrationslager durchaus ähnlich sieht. Solch voyeuristische Lust stellt sowohl den analytischen Geist als auch jegliches politische Subjekt, das dieser Form von Sadismus entgegenwirken will, vor eine höchst komplexe Aufgabe: die Enthüllung, das Schlüsselwerkzeug jeder Hermeneutik des Verdachts – siehe, diese Politik ist eigentlich schädlich, auch für dich! –, ist gegen den schamlosen Sadismus nicht nur ineffektiv, sondern sogar kontraproduktiv, denn sie vergrößert die Sichtbarkeit der Grausamkeit und somit auch die Lust des Sadisten. Je schmerzhafter, je empörter, je entrüsteter man aufschreit, desto größer wird die Attraktivität für den Sadisten. Was also tun?

Es ist äußerst verführerisch, sich all dem durch eine »Sezession der Gemüter« entziehen zu wollen und mit aller Kraft zu beteuern, »dass wir diesen Menschen nicht zugehören«.14 Doch ein solches Postulat einer absoluten Differenz – dort die »bösen« Trump-Anhänger, hier wir normal-guten Menschen – missversteht, wie sehr Trump nur die radikale Zuspitzung von politisch-psychischen Strukturen und wirtschaftlichen Zuständen darstellt, vor denen niemand komplett gefeit ist. Der erste Schritt zu einem epistemologischen Zugriff auf das Phänomen Trump ist somit die Anerkennung des Trumps in mir. Wie Sontag es in ihren Notes on Camp methodologisch darlegt: »To name a sensibility, to draw its contours and to recount its history, requires a deep sympathy modified by revulsion.« Bei der Betrachtung einer manieristischen Tiffany-Lampe ist eine »tiefe Sympathie« zugegebenermaßen leichter anzuerkennen als bei der Analyse der sadistischen Männerfantasien des mächtigsten Mannes der Welt. Aber genau weil diese Fantasien »als ständig präsente oder mögliche Form der Produktion des Realen unter bestimmten Bedingungen auch unsere Produktion sein kann und ist«, wie es schon Theweleit formulierte, müssen auch Trumps Männerfantasien als die potenziell unseren anerkannt werden. (Wie sehr der deutsche Diskurs sich explizit, aber im Modus der Verleugnung, momentan den Trumpschen Fantasien annähert, zeigt sich unter anderem an den aktuellen »Endlich wieder wehrfähig-«, »Endlich wieder für Deutschland sterben«-Debatten.)

Aus dieser Position lässt sich dann erkennen, dass Donald Trumps Männerfantasien ein »perverted utopian promise« sind, wie es Alberto Toscano in Late Fascism (2023) formuliert hat. Und diese Erkenntnis könnte helfen, den Archimedischen Punkt zu ermitteln, von dem aus die Energie, die sich im schamlosen Sadismus und in dem ihn stützenden Ressentiment angestaut hat, umgelenkt werden kann. Dieser Punkt erhält eine doppelte Artikulation. Zum einen formuliert der Psychoanalytiker Ken Corbett in Boyhoods – Rethinking Masculinities folgende Provokation: Können wir in den narzisstischen, teils verzweifelten, teils gewalttätigen Ausdrücken von Männlichkeit den versteckten Kern einer »quest toward relating« erkennen?15 Können wir in dem Streben nach Größe und Dominanz, in der Klage der Männlichkeit auch das tiefe Verlangen sehen, aus der Einsamkeit heraus in die Welt – in eine bessere Welt – gezogen zu werden? Zum Anderen enthalten die Fantasien der Trump-Anhänger den Kern eines echten Leidens an dieser Welt, die von Ungerechtigkeit und Schmerz durchdrungen ist. Die Tragik der Trumpschen Politik ist, dass sie diese Ungerechtigkeit und diesen Schmerz noch weiter vergrößert, auch für ihre Anhänger. Doch ändert dies nichts daran, dass dieses Leiden real ist und die Forderung nach einer anderen Welt enthält.

Wenn sich ein solcher Archimedischer Punkt ermitteln ließe – die Suche nach Beziehung und der Ausdruck echten Leids –, dann könnten von hier aus alternative Lustkulturen und andere Modi geschlechtlicher Körperpraktiken konstruiert werden. Eine solche Aufgabe darf nicht als ein sentimental-naives Projekt à la »Ich denke mich in den Sadisten hinein, bediene seine Fantasien und vergebe ihm seine Gewalt« missverstanden werden. Es geht hier vielmehr um das Finden desjenigen Punkts, von dem aus »Richtungs-Veränderer« zumindest einen Teil der Energie des Ressentiments in Widerstand gegen und Konfrontation mit dem Sadisten unter und in uns umlenken können. In der »quest toward relating« und dem echten Leid an dieser Welt findet sich der Ansatzpunkt, von dem aus die Aggression der Klage der Männlichkeit in Aggression gegen eben diese Struktur der Männlichkeit umgeleitet werden kann. Das »schöpferische Nein« des Ressentiments ist der fruchtbare Boden, aus dem eine neue Welt entstehen könnte – eine Welt, in der ich meine Feminisierung, meine Homoerotisierung und meine Regression ohne Verleugnungsnot und Bedrohung genießen könnte; eine Welt auch, in der das Leiden zeitgenössischen Lebens anerkannt, betrauert und repariert werden kann.

Die Konstruktion einer solchen Welt erfordert eine radikale Umwälzung aller Bedingungen zeitgenössischen Lebens. Wie die US-Aktivistin und Wissenschaftlerin Ruth Wilson Gilmore es in Bezug auf das prison abolition movement formuliert: »Abolition requires that we change one thing: everything.« Die Abschaffung faschistischer Männerfantasien braucht Klassenkampf (denn ein Großteil männlichen Ressentiments stammt aus kapitalistischer Ausbeutung und Entfremdung), antiimperialistische Politik (denn der Krieg stellt eine immerwährende Verführung zur lustvollen Gewalt dar), eine grüne Revolution (denn Petromaskulinität bedingt die eskalierende Klimakatastrophe).16 Hierzu braucht es eine organisierte und kämpferische Widerstandspolitik, die sich den Blick auf die Attraktivität rechtsextremer Fantasieangebote nicht verstellt und sowohl deren Aggressivität als auch deren Nein zum Status quo in den eigenen Dienst nimmt. Die Schaffung neuer Geschlechterfantasien – über Donald Trumps und unsere Männerfantasien hinaus – stellt einen Hebelpunkt einer solchen Politik und einer solchen allumfassenden Umwälzung dar.

1

Dieser Essay behandelt explizit die Frage Trumps weißer Männlichkeit und spart die äußerst wichtige Frage der Rassifizierung aus. Die wechselseitige Beeinflussung von Geschlecht und Rassifizierung im spezifischen Fall Trump und im allgemeineren Fall der USA ist so komplex, dass sie einen längeren Essay erfordern würde.

2

Andrea Long Chu, Females. New York: Verso 2019.

3

Joanna Weiss, The Plastic Surgery Procedure Booming Among Washington Men. In: Politico vom 5. Juni 2025 (www.politico.com/news/magazine/2025/06/05/dc-plastic-surgery-jawlines-trump-00380485).

4

In dieser Hinsicht fällt Trump in die Kategorie der »great little men«, die Theodor W. Adorno in Freudian Theory and the Pattern of Fascist Propaganda identifiziert: »While appearing as a superman, the leader must at the same time work the miracle of appearing as an average person, just as Hitler posed as a composite of King-Kong and the suburban barber.« Diese Kippfigur ermöglicht dann die Idealisierung dieser Identifikation: »By making the leader his ideal he loves himself, as it were, but gets rid of the stains of frustration and discontent which mar his picture of his own empirical self.« Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften. Bd. 8: Soziologische Schriften I. Frankfurt: Suhrkamp 2003.

5

Susan Sontag, Notes on »Camp«. In: Partisan Review, Nr. 31/4, Herbst 1964.

6

Vgl. Nathan Rochelle Duford, What Can Men Want? So straight you’re gay. In: Parapraxis (www.parapraxismagazine.com/articles/what-can-men-want).

7

Maggie Haberman, Confidence Man: The Making of Donald Trump and the Breaking of America. New York: Penguin 2022.

8

Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe. Hrsg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Berlin: de Gruyter 1999.

9

Für eine wichtige Intervention zur Frage der Leidensproduktion kapitalistischer Systeme und den Missbrauch dieses Leidens durch Trump und andere rechtsextreme Politiker vgl. Claudia Leeb, Contesting the Far Right: A Psychoanalytic und Feminist Critical Theory Approach. New York: Columbia University Press 2024.

10

Slavoj Žižek, The Sublime Object of Ideology. New York: Verso 2009. Die These, dass weiße Männlichkeit in diesem Sinne hysterisch ist, findet sich schon in Thomas DiPiero, White Men Aren’t. Durham: Duke University Press 2002.

11

Klaus Theweleit, Männerphantasien [1977]. Berlin: Matthes & Seitz 2019.

12

Judith Butler, Destroyed Protections for Extra-Mural Speech. In: Youtube vom 19. Mai 2025 (www.youtube.com/watch?v=Nk93GJQz7_Q).

13

Dieser Sadismus wird durch einen Masochismus in Bezug auf die Führerperson ergänzt. Adorno formulierte: »The leader image gratifies the follower’s twofold wish to submit to authority and to be the authority himself.« Zur Frage von Faschismus und Spaß vgl. Robert Hugo Ziegler, Die Sylter Pfingstgemeinde und der grenzenlose Spaß. Rassismus wird Pop. In: Merkur, Nr. 903, August 2024.

14

Helmut Müller-Sievers, Sezession der Gemüter. In: Merkur, Nr. 909, Februar 2025. Das epistemologische Problem einer solchen »Sezession« zeigt sich paradigmatisch an der Annahme, »die Amerikaner würden doch sicher so viel Stil haben, dass sie jemanden, der nicht tanzen kann, der eingebildet und faul ist, der keine Beziehung zum Sport hat, den niemand je hat lachen sehen, der einfach nicht cool ist, nicht noch einmal zu ihrem Präsidenten wählen würden«. Wer sich auch nur kurz in die Welt Trumps begibt, sieht sofort, wie unzutreffend solche Beschreibungen Trumps sind: Er liebt den Sport, er lacht andauernd, seine Anhänger haben sein linkisches Tanzen in einen liebevollen TikTok-Trend verwandelt, sein mug shot gilt als extrem »cool«, etc.

15

Ken Corbett, Boyhoods. Rethinking Masculinities. New Haven: Yale University Press 2009.

16

Cara New Daggett, Petromaskulinität. Fossile Energieträger und autoritäres Begehren. Übersetzt von David Frühauf. Berlin: Matthes & Seitz 2023.

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