Ein christliches Tetragramm

Frankfurt, die kleine multikulturelle Metropole des Kapitalismus, produziert weiß Gott sonst andere Nachrichten. Dass hier, genauer in der freventlich überbauten ehemaligen Römerstadt Nida, der erste bisher bekannte Christ nördlich der Alpen begraben lag, musste freilich die immer latente Lust der Stadt, sich zum Schauplatz einer Sensation zu machen, reizen. Oberbürgermeister Mike Josef (SPD), ein syrischer Christ, trat vor die Presse, die FAZ brachte die Meldung gleich mehrfach. Im Feuilleton kam es zu einer lebhaften Debatte.

Gefunden worden war ein Skelett in einem Grab, das anhand der beigegebenen Keramik sehr sicher auf einen Zeitraum von 230 bis 260 nach Christus datiert werden konnte. Dass sich am Hals des Skeletts ein Amulett, eine Silberkapsel fand, war gewiss bemerkenswert, aber zunächst nicht ungewöhnlich. Solche Talismane oder Phylakterien waren in der Antike weit verbreitet.

In der nur 35 Millimeter großen Kapsel steckte eine hauchdünne, zusammengerollte Silberfolie. Hätte man sie aufgerollt, wäre sie zerbröselt. Birgit Schwahn, Restauratorin am Archäologischen Museum Frankfurt, setzte auf die neue Spitzentechnik des Mainzer Leibniz-Zentrums für Archäologie (LEIZA). Ohne die Folie physisch anzutasten, gelang es durch eine computertomografische 3-D-Aufnahme die ungelenke Gravur lesbar zu machen – ein archäologisches Meisterstück. Ein ebensolches lieferte Markus Scholz, Professor für provinzialrömische Archäologie an der Goethe-Universität, mit seiner Transkription und Übersetzung. Hier die achtzehn Zeilen der bis auf drei wichtige Ausnahmen lateinischen Inschrift:

1 (in nomi?) NE SANCTI TITI (Im Namen?) des Heiligen Titus

2 AGIOS AGIOS AGIOS Heilig, heilig, heilig

3 IN NOMINE IHXP DEI F(ilii) Im Namen Jesu Christi, Gottes Sohn

4 (m) VUNDI DOMINUS Der Herr der Welt

5 (reg? oder vir?) IBUS widersetzt sich nach (Kräften?)

6 (oc- oder recu) RSIONIBVS OP(p)ONIT allen Anfällen (?) /Rückschlägen(?)

7 (de?) VS VALETUDINIBVS Der Gott (?) gewährt dem Wohlbefinden