Garum Masala
Vom Welthandel zwischen Indien und Rom von William DalrympleVom Welthandel zwischen Indien und Rom
Die antike Stadt Berenike ist heute ein kahler und trostloser Ort. Unter blassblauem Himmel weichen die sanft geschwungenen, rotsandigen und baumlosen Wadis der ägyptischen Westwüste dem windigen Küstengebiet des Roten Meeres. Auf den ersten Blick gibt es hier wenig zu sehen. Zwar beherbergt der Ort die Ruinen ehemals beeindruckender Bauwerke aus der römischen Antike – einen Serapis-Tempel, eine Parfümdestillerie und ein edles Badehaus –, doch ragen die Mauern heute kaum höher als kniehoch. Bei einer Fahrt entlang der Küste könnte man sie leicht übersehen. Nichts lässt erahnen, dass diese unscheinbaren Ruinen über Generationen hinweg der Landepunkt schlechthin für indische Händler auf ihrem Weg ins Römische Reich waren und Berenike ein Ort, an dem man unvorstellbar reich werden konnte.
Bei den Ausgrabungsarbeiten in einem der ägyptischen Göttin Isis geweihten Tempel stieß ein Team amerikanischer Archäologen im März 2022 auf bemerkenswerte Fundstücke. Kopf und Torso eines prächtigen Buddha gehörten zu den größten Überraschungen – zum ersten Mal überhaupt war ein Buddha westlich von Afghanistan gefunden worden. Er ist aus feinstem mediterranem Marmor in einer Mischung aus indisch-gandharanischem und römisch-ägyptischem Stil gemeißelt: Ihn umgeben Sonnenstrahlen von allen Seiten, so als hätte sich der Buddha auf wundersame Weise einer Sonnengottheit wie Sol oder Mithras anverwandelt. Aufgrund der Art der Steinbearbeitung und der tortelliniähnlichen Locken gehen die Archäologen davon aus, dass die Skulptur in einer Werkstatt in Alexandria im 2. nachchristlichen Jahrhundert entstanden sein muss. Eine Inschrift fehlt, doch der Ausgrabungsleiter Steve Sidebotham vermutet, dass sie von dem wohlhabenden indisch-buddhistischen Kapitän eines Handelsschiffs als Dank für seine sichere Ankunft im Römischen Reich in Auftrag gegeben worden war.
In den Hinterzimmern desselben Tempels wurden auch Darstellungen verschiedener Hindu-Gottheiten und weitere indische Kultgegenstände gefunden. Am meisten Aufsehen erregte eine Dreiheit früher Hindu-Götter, von denen sich einer mit Keule und Diskus bald zu der bekannteren Form von Krishna entwickeln sollte. Es fand sich sogar eine zweisprachige Inschrift in Griechisch und Sanskrit, angefertigt in der Mitte des 3. Jahrhunderts von einem buddhistischen Anhänger aus Gujarat namens Vasulena der Krieger.
Seit einiger Zeit tauchen im ägyptischen Wüstensand weitere Funde aus demselben indischen Handelsmilieu auf, die die einstigen Schätze von Berenike erahnen lassen. Ein in der Nähe gefundenes tamilisch-brahmisches Keramik-Graffito wurde von einem tamilischen Reisenden verfasst, der sich Häuptling Korran nennt. Andere indische Besucher verewigten sich mit Prakrit- und Sanskrit-Inschriften. Spuren von Reis, Linsen, Kokosnüssen, Koriander, Tamarinde und riesige Töpfe mit mehreren Tausend schwarzen Pfefferkörnern aus Indien zeugen davon, dass die Händler, die im 1. Jahrhundert nach Ägypten kamen, ähnlich wie ihre Nachkommen heute, ihre eigene, charakteristisch gewürzte Küche der ägyptischen vorzogen.
Die ersten Berichte über die unglaublichen Reichtümer und den Luxus Indiens gelangten im Zuge der Eroberungen Alexanders des Großen im 4. vorchristlichen Jahrhundert nach Europa. Seitdem fantasierten die Europäer vom Reichtum des Subkontinents, wo, so Herodot und andere griechische Geografen, Gold von riesigen Ameisen ausgegraben und von Greifen bewacht würde und kostbare Juwelen wie Schotter auf der Straße verstreut lägen. Als die beiden Welten im ersten vorchristlichen Jahrhundert über die Häfen am Roten Meer in regelmäßigen Kontakt traten, wurden die Römer zu eifrigen Abnehmern indischer Waren und Luxusgüter, insbesondere der Gewürze aus dem Süden Indiens, und die indischen Kaufleute bedienten diese Nachfrage mit beträchtlichem persönlichem Gewinn.
Die einschneidenden neuen Entdeckungen in Berenike fügen sich in einen breiteren Forschungstrend ein, der das Ausmaß der Kontakte zwischen Rom und Indien über das Rote Meer und den Indischen Ozean in den Blick nimmt. Die indischen Fundstücke finden ihr Pendant in ebenso bemerkenswerten Belegen für den Handel in Ausgrabungsstätten in Indien, was Wissenschaftler auf beiden Seiten des Indischen Ozeans und aus vielen verschiedenen Disziplinen – nicht nur Archäologie, sondern auch Wirtschaftsgeschichte, Philologie, Numismatik, Kunstgeschichte, Buddhismus- und Sanskrit-Forschung – dazu bewogen hat, Umfang und Bedeutung dieser Handelsbeziehungen grundlegend neu zu bewerten.
Daraus ist eine bemerkenswerte Reihe von neuen Büchern hervorgegangen, die diese unterschiedlichen Fachgebiete zusammenführen. Bei zwei Bänden – The Indian Ocean Trade in Antiquity und Globalization and Transculturality from Antiquity to the Pre-Modern World – handelt es sich um Aufsatzsammlungen, die von Matthew Adam Cobb, einem brillanten jungen Wissenschaftler der Universität Wales, herausgegeben wurden. Der dritte Band – Rome and the Indian Ocean Trade from Augustus to the Early Third Century CE – basiert als Monografie auf Cobbs Dissertation. Zusammen dokumentieren die Bücher ein grundsätzliches Umdenken, das unser Verständnis des Handels über den Indischen Ozean in der Antike auf ganz neue Fundamente stellt.
In allen drei Bänden stützt sich Cobb auf Berechnungen, die erstmals von dem Wissenschaftler Raoul McLaughlin in The Roman Empire and the Indian Ocean (2014) aufgestellt wurden: Die Zölle auf den Handel am Roten Meer mit Indien, Persien und Äthiopien könnten bis zu einem Drittel der gesamten Einnahmen der römischen Staatskasse ausgemacht haben. Die wichtigste Quelle für diese beeindruckende Zahl ist der Muziris-Papyrus, ein bemerkenswertes Dokument ungeklärter Herkunft, das wahrscheinlich in den berühmten Müllhalden der ägyptischen Stadt Oxyrhynchus – der Stadt der spitznasigen Fische – gefunden wurde. Seit mehr als einem Jahrhundert fördern diese Deponien diverse bemerkenswerte antike Manuskripte zu Tage, von bisher unbekannten lesbischen Erotika der Sappho bis hin zu Fragmenten der Sprüche Jesu. Sie erbrachten aber auch ein derart umfangreiches Archiv von Verwaltungs- und Finanzkorrespondenz, dass manche der Dokumente erst vor kurzem untersucht werden konnten.
Bei dem Muziris-Papyrus, der sich heute in Wien befindet, handelt es sich um ein fragmentarisches Frachtverzeichnis und einen Vertrag über ein Darlehen, das ein in Alexandria ansässiger ägyptisch-römischer Investor aufgenommen hatte, um einem indischen Kaufmann aus dem fernen Muziris an der Küste von Kerala Waren abzukaufen. Das Dokument folgt der Standardvorlage, die von alexandrinischen Spediteuren für derartige Aufträge verwendet wurde, und enthält eine detaillierte Beurteilung des steuerlichen Werts und des Inhalts einer Ladung, die an Bord des Schiffs Hermapollon von Muziris nach Berenike verschickt worden war. Das allein war nichts Ungewöhnliches. Es war der atemberaubende Wert dieser Waren, der den Historikern die Sprache verschlug.