Heft 871, Dezember 2021

Gewaltherrschaft und Schoah in der Ukraine

von Franziska Davies

Der Euromajdan von 2013/14, die so genannte »Revolution der Würde«, hatte auch eine geschichtspolitische Dimension. Aktivistinnen und Mitglieder der rechtsextremistischen Partei Swoboda stürzten am 8. Dezember 2013 das zentrale Lenin-Denkmal in Kiew. Dies sollte der Ausgangspunkt für den leninopad sein, die massenhafte Beseitigung von Lenin-Denkmälern im gesamten Land, mit Ausnahme der von Russland kontrollierten Gebiete. Zwar war das kein Novum in der ukrainischen Geschichte, in den 1990er Jahren waren schließlich bereits eine Vielzahl von Lenin-Denkmälern vor allem in der Westukraine abgebaut worden, aber im Zuge des Majdan und des darauffolgenden russischen Angriffs auf die Ukraine machte die neue ukrainische Regierung unter Präsident Petro Poroschenko die Abrechnung mit der Sowjetzeit zur Chefsache.

Im April 2014 brachte sie eine Reihe von Gesetzen zur »Dekommunisierung« des Landes auf den Weg. Anders als es dieser Begriff suggeriert, war damit aber keine kohärente geschichtspolitische Strategie verbunden. So zielte ein Gesetz darauf ab, das Gedenken an den Sieg über den Nationalsozialismus zwischen 1939 (nicht etwa 1941) und 1945 zu »verewigen« und ordnete eine »respektvolle Einstellung gegenüber der Erinnerung« an diesen Sieg an. Denkmäler zur Erinnerung an den »Großen Vaterländischen Krieg« – in den meisten Fällen eben sowjetische – wurden damit unter den Schutz des Staates gestellt. Die Verantwortung für den Ausbruch des Kriegs, »die größte Tragödie der Menschheit im 20. Jahrhundert«, schrieb dasselbe Gesetz allerdings dem nationalsozialistischen Deutschland und dem »kommunistisch totalitären Regime der UDSSR« gleichermaßen zu. Schließlich hätten beide auf dem Territorium der Ukraine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen und sich des Genozids schuldig gemacht.1

Ein anderes Gesetz erklärte es zur öffentlichen Aufgabe, die Erinnerung an die »Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine« aufrechtzuerhalten.2 Mit der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und ihrem militärischen Arm, der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA), bezog es zwei Organisationen ausdrücklich mit ein, die sich beide durch ihren Antisemitismus und Antipolonismus ausgezeichnet und während des Zweiten Weltkriegs mit den Deutschen kooperiert hatten.3

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