Hot Marx
Wie in der Klimakatastrophe aus dem Marxismus wieder eine Theorie des Aufstands wird von Patrick Eiden-OffeWie in der Klimakatastrophe aus dem Marxismus wieder eine Theorie des Aufstands wird
In den 1990er Jahren konnte eine Freundin noch scherzen: »Bis Ihr Marxisten die ökologische Katastrophe theoretisch korrekt eingeordnet habt, wird die Menschheit längst vom Planeten verschwunden sein.« Ich habe damals mit ihr gelacht, die Bemerkung aber damit auch ein bisschen als typisch apokalyptische Schwarzmalerei abgetan. In der Zwischenzeit sind die Probleme so offensichtlich drängend geworden, dass selbst die letzten hard boiled marxists einsehen mussten, dass ohne die »ökologische Frage« heute in Sachen kritischer Gesellschaftstheorie kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Ordentliche Marxisten integrieren das lange vernachlässigte Problem natürlich in bewährter Vorne-Verteidigung: Nicht etwa müssen wir einsehen, dass unsere Theorie bisher Lücken hatte; im Gegenteil, wir können sogar zeigen, dass das Problem nicht nur auch, sondern nur marxistisch wirklich verstanden werden kann. Eine radikale Kritik der ökologischen Katastrophe, so wird von marxistischer Seite gesagt, wird nur als Kritik des Kapitalismus zu haben sein.
Naturwesen und Stoffwechsel: Öko-Marxismus
Die neuere Theoriebildung eines Eco-Marxism setzt um die Jahrtausendwende in der angloamerikanischen Debatte ein; Schlüsselwerke sind Paul Burketts Marx and Nature von 1999 und John Bellamy Fosters Marx’s Ecology von 2000. Im Zentrum stehen hier kategoriale Bestimmungen des Mensch-Natur-Verhältnisses, so wie es bei Marx entlang zweier Achsen entfaltet wird: Beim frühen Marx finden wir eine Bestimmung des Menschen als Natur- und Gattungswesen; die kapitalistische Entfremdung von diesem ist demnach Grund aller ökologischen Verwerfungen. Der reife Marx hingegen geht von der Arbeit als »Stoffwechselprozess des Menschen mit der Natur« aus. Diese Bestimmung setzt eine Differenz und überbrückt sie zugleich; im Kapitalismus aber habe sich die dialektische Beziehung in einen »metabolic rift«, einen Bruch verwandelt, durch den die Einheit der Unterscheidung nicht mehr gedacht werden könne.
Man sieht: Entlang des ökologischen Problems werden erneut Grundfragen des Materialismus, Fragen epistemologischer und ontologischer Natur, gestellt. Dabei gerät die marxistische Debatte in Kontakt zu anderen theoretischen Programmen, die aus der ökologischen Fragestellung heraus motiviert werden: zu Neuen Materialismen verschiedener Couleur, zu General Ecology und Netzwerktheorie oder auch zur Object-Oriented Ontology. Das alles bildet ein – jedenfalls von mir – kaum noch zu überblickendes Feld. Verlässliche Orientierung auf (halbwegs) aktuellem Stand bieten etwa Jason Moores Kapitalismus im Lebensnetz und Kohei Saitos Berliner Dissertation Natur gegen Kapital, deren englische Übersetzung 2018 mit dem renommierten Deutscher Memorial Prize ausgezeichnet wurde. Aktuelle ökologische Kritik erscheint bei Saito im Gewand penibler philologischer Arbeit an entlegenen Bänden der MEGA, die etwa Marx’ späte Exzerpte zu Justus Liebigs Agrikulturchemie versammeln.1
Einen Ausweg aus der neuen Unübersichtlichkeit auf dem Feld des Öko-Marxismus bieten neue Bücher von Andreas Malm und Joshua Clover. Sie geben den fundamental-kategorialen Problemen (Natur, Technik, Mensch) eine klassentheoretische Wendung, der sie schließlich gar eine revolutionstheoretische Pointe abgewinnen. Aus Marx’ kritischer Theorie der Gesellschaft wird so wieder das, wovon sie sich historisch einmal abgesetzt hat: eine Theorie des Aufstands.
Bisher…
Andreas Malm geht von der praktischen Frage aus, in welche Richtung sich die Klima-Bewegung entwickeln sollte, und er zeichnet die Antwort schon denkbar spektakulär im Titel eines seiner letzten Bücher vor: »Wie man eine Pipeline in die Luft jagt«.2
Malm ist promovierter Humanökologe und lehrt an der Universität in Lund. In seinem (Anti)Pipeline-Buch spricht Malm allerdings nicht so sehr als Wissenschaftler, sondern als Aktivist, der die Anekdote nicht scheut: »Am letzten Tag der Verhandlungen rüsteten wir uns für unsere bisher gewagteste Aktion« – so lautet der erste Satz des Buches. Die Aktion besteht in der (genüsslich auserzählten) Besetzung einer zentralen Straßenkreuzung und der anschließenden Blockade des Verhandlungsorts. Das ganze Argument des Buches folgt dann in einer lakonischen Antiklimax: »Das alles geschah 1995. Den Schauplatz bildete die COP1, die allererste der jährlich stattfindenden UN-Klimakonferenzen, in Berlin. Und die Delegierten schlichen sich durch den Hinterausgang hinaus. Seitdem sind die jährlichen CO2-Emissionen weltweit um rund 60 Prozent gestiegen.« Hier ist in wenigen Sätzen umrissen, was Malm später die »epochale Nutzlosigkeit« aller Klimakonferenzen nennt. Das jugendlich-ungläubige Entsetzen der Greta Thunberg (»How dare you!«) wird von Malm ergänzt um die desillusionierte Wut eines altgedienten Aktivisten, für den es auf Seiten des Widerstands kein »Weiter-so« geben darf.
Nach Malm haben alle Formen des Klimawiderstands seit den 1990er Jahren eines gemeinsam: das Vertrauen in die Kraft der Gewaltlosigkeit, und es »besteht kein Zweifel, dass […] diese Einstellung bisher gute Dienste geleistet hat«. Jetzt aber müsse sich auch daran etwas ändern. Der »Klimakampf« müsse sich radikalisieren, er bedürfe einer Eskalation: »Wann fangen wir an, die Dinge, die unseren Planeten ruinieren, physisch anzugreifen, mit unseren Körpern, sie mit unseren eigenen Händen zu zerstören? Gibt es irgendeinen vernünftigen Grund, der uns so lange hat zögern lassen?«
Malm versteht, das machen die Fragen deutlich, seine, er versteht unsere Gegenwart als einen absoluten Wendepunkt, an dem die Zukunft der ganzen Menschheit entschieden wird. Er bedient sich somit eines eschatologischen (oder auch apokalyptischen) Denkmusters, von dem wir – geistesgeschichtlich aufgeklärt – wissen, dass es in der Geschichte schon oft als Motivation und Legitimation rückhaltloser Fanatisierungen gedient hat. Man sollte hier also misstrauisch werden. Auf der anderen Seite aber können wir nicht ignorieren, dass uns die Rede vom Wendepunkt der Geschichte heute auch klimawissenschaftlich substantiiert begegnet: in Gestalt der »tippig points« oder »Kipppunkte«, an denen katastrophische Entwicklungen irreversibel werden. Der Hinweis auf die unselige Tradition der Apokalyptik wird diese Sachverhalte nicht entkräften.
Seine Emphase des Wendepunkts erläutert Malm zudem aus einer spezifischen Interpretation der Geschichte des Kapitalismus, wie er sie in einem anderen Werk mit sprechendem Titel ausgeführt hat: Fossil Capital. The Rise of Steam Power and the Roots of Global Warming.3 Hier zeigt Malm, dass der Kapitalismus nicht nur durch die Ausbeutung menschlicher Arbeit bestimmt werden kann. Der historische Kapitalismus war stets auch ein fossiler Kapitalismus, der zur effizienten Erwirtschaftung von Mehrwert auf die Extraktion fossiler Rohstoffe angewiesen ist. Der Einsatz der fossilen Dampfkraft ermöglichte erst die Mobilität des Kapitals, das somit in der Lage war, sich jeweils die besten Verwertungsbedingungen zu suchen; zugleich schuf die Dampfkraft die Voraussetzung der Globalisierung wie auch die Notwendigkeit einer globalisierten Rohstoffversorgung. Wir leben immer noch im Zeitalter des fossilen Kapitals. Dieses wird heute aber – gerade wegen seiner globalen Mobilität – nationalstaatlich gehegt und gepflegt, weil die Legitimität unseres ganzen Wohlstandssystems daran hängt.
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