Heft 907, Dezember 2024

How to Support a Revolution (II)

»Frau, Leben, Freiheit – emanzipatorische Potenziale« von Nacim Ghanbari

»Frau, Leben, Freiheit – emanzipatorische Potenziale«

Asphaltboden, vier Menschen. Vom rechten Bildrand bewegen sich zwei Figuren hintereinander Richtung Bildmitte: Frauen im schwarzen Tschador. Die vordere lässt ein bisschen Gesicht erkennen, die hintere ist vollständig umhüllt. Unten links zwei junge Frauen, die lachend in die Kamera, nach oben blicken. Eine der beiden streckt den Arm, zeigt das Victory-Zeichen. Zugewandt, freundschaftlich nebeneinander schreitend, farbig und hell gekleidet, ohne Kopfbedeckung: Diese beiden stehen für die Iranerinnen, die nach dem Tod Jina Mahsa Aminis auf die Straße gingen. Wofür stehen die beiden Verhüllten?

Als Illustration eines aktuellen Artikels über Iran reproduziert dieses Foto die vermutlich beliebteste Art der visuellen Repräsentation iranischer Gegenwart: eine Komposition aus verschleierten und unverschleierten Frauen, wobei der maximale Kontrast bevorzugt wird. Obwohl in Iran unterschiedliche Formen der Kopfbedeckung und Verhüllung üblich sind, scheint die Kamera vor allem den schwarzen Tschador zu lieben. Ahmad Halabisaz’ Foto einer jungen, unverschleierten, an einem Cafétisch sitzenden Frau, in deren Rücken eine Gruppe von Frauen im Tschador vorbeizieht, arbeitet ebenfalls mit diesem Motiv.

Diese Bilder suggerieren einen Antagonismus der gesellschaftlichen Kräfte, einen inneriranischen Clash of Cultures, der wichtige soziologische Erkenntnisse verdeckt. Umfragen belegen, dass sich die Mehrheit der iranischen Bevölkerung für die Freiwilligkeit des Hijab ausspricht. In der Gruppe der befragten Frauen ist die Zustimmung statistisch noch eindeutiger. In Iran kämpfen nicht zwei gleichgewichtige kulturelle Lager gegeneinander. Die oft wiederholte Rede von Iran als dem Land der Kontraste verharmlost die Tatsache, dass die Militärdiktatur, zu der sich die Islamische Republik immer mehr entwickelt, den Hijab aus dem Bereich des Kulturellen längst verdrängt hat.

Das verzweifelte Festhalten an überkommenen Bildern und Deutungsmustern war ein wiederkehrendes Sujet der politischen Analysen, die im zweiten Teil der Kölner Ringvorlesung »Frau, Leben, Freiheit – emanzipatorische Potenziale« diskutiert wurden. Im Vortrag »Deutsche und europäische Iran-Politik im Wandel« – ein irreführender Titel – zeigte Simon Engelkes, weshalb die deutsche Bundesregierung und die Europäische Union weiterhin in die politische Zukunft der Islamischen Republik investieren. Von »Wandel« kann keine Rede sein. Dabei wurden zwei Geschichten aufeinander bezogen: das Zustandekommen des JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) als »wichtigstem außenpolitischen Erfolg der Europäer« sowie die politische Geschichte deutsch-iranischer Beziehungen, die in das Jahr 1914 zurückreicht und in der das Atomabkommen als diplomatischer »Meilenstein« gewertet wird.

In den Verhandlungen mit der Islamischen Republik schlüpfte die Bundesrepublik in die Rolle der »Vermittlerin« zwischen dem Regime und – man kann es nicht anders sagen – dem Rest der Welt. Damit wiederholte sich eine Konstellation aus der Zeit des Iran-Irak-Kriegs, in der Hans-Dietrich Genscher als erster westeuropäischer Politiker seit 1979 das Land bereiste und damit das bis dahin geächtete Regime legitimierte. In Interviews rechtfertigte er die Reise vom 21. Juli 1984: »Nichts wäre falscher, als dieses große und wichtige Land zu isolieren.« Genschers Besuch diente als Vorbild für weitere europäische Politiker, die sich von da an moralisch nicht mehr gebunden fühlten und die Geschäftsbeziehungen mit der Islamischen Republik wieder aufnahmen.

Der eigentliche Schwerpunkt der Veranstaltungsreihe lag jedoch auf der Geschichte der Künste in Iran. Eine Geschichte staatlicher Verhinderung und Zensur sowie eine der globalen Ausweichmöglichkeiten. Angesichts politischer Stagnation ist die historische Rekonstruktion widerständiger, künstlerischer Gegenöffentlichkeiten eine Möglichkeit, um die Erinnerung an die landes- und weltweite Protestbewegung wachzuhalten, die das Regime im Herbst und Winter 2022 an den Abgrund führte. Die Vorträge legten die verschiedenen Schichten politischer Kunst frei – vom frühen 20. Jahrhundert bis heute.

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