Heft 892, September 2023

How to Support a Revolution

»Frau, Leben, Freiheit – emanzipatorische Potenziale« von Nacim Ghanbari

»Frau, Leben, Freiheit – emanzipatorische Potenziale«

Iran. War da was? Während sich die meisten Zeitungen längst wieder nur sporadisch für die üblichen Geschichten aus Iran interessieren – allen voran das Atomabkommen –, formieren sich seit Beginn der Proteste im Namen Jina Mahsa Aminis neue dezentrale Öffentlichkeiten. Die beiden Journalistinnen Niloufar Hamedi und Elaheh Mohammadi, die im vergangenen Herbst als erste über den Tod der zweiundzwanzigjährigen Studentin aus der kurdischen Stadt Saqqez berichteten, setzten Iranerinnen und Iraner weltweit in Bewegung. Sie alle versuchen seit dem 16. September 2022, ihren Beitrag zu leisten: durch Demonstrationen, Social Media, Mahnwachen, Lesungen, Filmfestivals, Ausstellungen, Informationsveranstaltungen, politische Patenschaften, Interviews, Podcasts, Artikel. Es werden neue an Iran interessierte Netzwerke geschaffen.

Das Ziel ist eine Diskursverschiebung in der europäischen Wahrnehmung des Landes: weg von einem Iran der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) und der Mullahs – ob nun »Hardliner« oder »Reformer« –, hin zu einem Land, in dem sich die Mehrheit der Bevölkerung ihrer Grundrechte bewusst ist und diese sowohl auf städtischer als auch internationaler Ebene einklagt. Bestes Sinnbild für diese Form transnationaler Kontaktaufnahme sind die Transparente, die seit einem Jahr jeden Freitag auf den großen Demonstrationen in Zahedan (Belutschistan) hochgehalten werden und in englischer Sprache verfasst sind. Nur durch mühevolle, zeitraubende Überwindung der unzähligen Hürden, die das Regime errichtet hat, um der Bevölkerung freie Internetnutzung zu verwehren, finden die Bilder aus Iran ihren Weg zu uns. Doch sind sie erst auf einem der etablierten Social-Media-Accounts gelandet, sind sie nicht mehr zu ignorieren. Die ganze Welt kann dann lesen, was Demonstrierende nach dem »Blutigen Freitag« in Zahedan zu sagen hatten: »Our silence is not the silence of slavery, our people are like fire under ashes«.

Die neuen Iran-Initiativen schließen an Strukturen an, die schon vor dem 16. September und aus Anlass früherer Proteste aufgebaut wurden. So ist die österreichisch-iranische Diplomatin Shoura Hashemi seit 2009 – aus Anlass der Grünen Bewegung – auf Twitter aktiv. Gilda Sahebi und Mariam Claren, zwei der wichtigsten Stimmen in der aktuellen Bewegung, lernten sich bereits im Oktober 2020 kennen: Nach der gewaltsamen Inhaftierung Nahid Taghavis durch die Revolutionsgarde in Teheran war es die Journalistin Gilda Sahebi, die Taghavis Tochter, Mariam Claren, kontaktierte, um über den Fall zu berichten. Weitere Journalistinnen und Journalisten, die nun seit fast einem Jahr unermüdlich über die iranischen Proteste berichten, Interviews geben und Hintergrundinformationen aufbereiten (Natalie Amiri, Golineh Atai, Bamdad Esmaili, Mina Khani, Faranak Rafiei, Omid Rezaee, Isabel Schayani, Düzen Tekkal), waren ausnahmslos schon vor dem 16. September aktiv. Aus dieser journalistischen Vorgeschichte erwachsen die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen, das die Genannten sowohl in der deutschen Medienlandschaft als auch in der iranischen Diaspora genießen.

In den Zusammenhang neuer Öffentlichkeiten, die sich der langen Protestgeschichte des Landes bewusst sind, gehört die Ringvorlesung »Frau, Leben, Freiheit – emanzipatorische Potenziale«, die im Sommersemester 2023 an der Universität Köln stattfand und im Winter fortgesetzt wird. Mit sieben ganz verschiedenen Veranstaltungsorten wirkte sie über die Universität hinaus in die Stadt hinein. Geleitet wurde sie von Katajun Amirpur, Professorin für Islamwissenschaft am Institut für Sprachen und Kulturen der islamisch geprägten Welt.

Die Vielfalt in der Auswahl der Themen sowie wissenschaftlichen und künstlerischen Zugänge entsprach der Polyphonie und Diversität der revolutionären Bewegung in Iran. In einer Situation, in der immer mehr über die Lobbyisten der Islamischen Republik und deren Arbeit der gezielten Desinformation bekannt wird, setzte die Veranstaltung auf Aufklärung und kritische Bestandsaufnahme der bisherigen Iran-Forschung.

Resilienz

Zu den eindrücklichsten Vorträgen gehörte Die Bahai und andere religiöse Minderheiten in Iran. Armin Eshraghi bestimmte den Umgang mit den Bahai als »Lackmustest« einer künftigen demokratischen Gesellschaft. Dargelegt wurde die politische Geschichte des radikalen Ausschlusses der Bahai aus der »postulierten Einheit des iranischen Volkes«. Der Bahaismus ist eine unabhängige Offenbarungsreligion iranischen Ursprungs mit fünf bis sieben Millionen Anhängern weltweit. Innerhalb von Iran sind die Bahai die größte nichtmuslimische Minderheit. Die Islamische Republik bestimmt die Bahai als politische Vereinigung. Als religiöse Minderheiten werden ausschließlich Juden, Christen und Zoroastrier anerkannt.

Die Bahai wurden auch schon unter der Pahlavi-Dynastie diskriminiert – so durften sie etwa keine öffentlichen Ämter bekleiden –, und doch ist es erst eine Fatwa Ali Khameneis, die diese als »rituell unrein« (nadjes) bestimmt. Damit gehen Formen des Ausschlusses einher, die selbst Iranerinnen und Iranern, wie dem ungläubigen Raunen im Publikum zu entnehmen war, vielfach nicht bekannt sind. Von der Geburt bis über den Tod hinaus sind Bahai in Iran Rechtlosigkeit und Diffamierung ausgesetzt: Es gibt keine rechtliche Grundlage für Eheschließungen von Bahai. Personalausweise und Reisepässe werden nur unter erschwerten Bedingungen ausgestellt. Bahai dürfen nicht studieren. Es gibt zahlreiche Arbeits- und Berufsverbote. Das Regime reagiert selbst auf die Bestattung ihrer Toten mit Gewalt.

In den Augen der Islamischen Republik stören die Bahai als »religiöse Andere« die Einheit aller Muslime, die Umma. Als »politische Andere« werden sie seit den 1930er Jahren zum Sündenbock gemacht – zuletzt etwa als vermeintliche Verursacher der Corona-Pandemie, die in Iran besonders tödlich verlief, da sich das Regime weigerte, europäische Impfstoffe zuzulassen.

Vor dem Horizont der aktuellen Protestbewegung sind insbesondere zwei Aspekte hervorzuheben: Zum einen steht zu befürchten, dass die Islamische Republik die im Umgang mit den Bahai erprobten Repressionsmaßnahmen auf die iranische Bevölkerung insgesamt ausweitet. So zeigt sich, dass das Regime als Reaktion auf die Weigerung der Iranerinnen, in der Öffentlichkeit den Hijab zu tragen, in der Tat auf Maßnahmen sozialer Isolierung setzt, wenn etwa Bankkonten protestierender Frauen gesperrt und ihre Reisepässe eingezogen oder Studentinnen exmatrikuliert werden. Die nackte Gewalt auf der Straße, die Jina Mahsa Amini zu spüren bekam, soll durch Maßnahmen ergänzt, teilweise ersetzt werden, die Schritt für Schritt in den sozialen Tod führen.

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