Imaginationen für die Straße
von Jan WetzelAls Elon Musk den Cybertruck zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorstellte, konnte man die Sache noch für einen weiteren Stunt des exzentrischen Milliardärs halten. Gewählt hatte man für die Präsentation dasselbe Jahr, denselben Monat und denselben Ort, in dem der Film Blade Runner (1984) spielte: Los Angeles im November 2019. Und wie aus einem Science-Fiction-Film sah auch das vorgestellte Fahrzeug aus. Die ungewöhnliche Form, ihre scharfen Kanten, die Hülle aus unlackiertem Edelstahl gaben ihm eine skulpturale Qualität: kompromisslos, polarisierend, brutal. Die Zukunft, wie man sie sich einmal in den 1980er Jahren vorgestellt hatte, sie sollte nun auf die Straße kommen.
Ende 2023, gut vier Jahre später, sind die ersten Exemplare des neuesten Tesla-Modells tatsächlich ausgeliefert worden. Anders als sonst üblich ist die Gestalt des show car von damals erhalten geblieben. Eine wilde, retrofuturistische Imagination hat es auf die Straße geschafft.
Der Nutzen der Imagination
In den Augen vieler seiner Kritiker ist der Cybertruck lediglich eine Fantasie für ältere Männer mit zu viel Geld. Doch es steckt mehr dahinter. Jens Beckert hat in seinen wirtschaftssoziologischen Untersuchungen analysiert, welche Rolle Imaginationen dabei spielen, wenn es darum geht, wirtschaftliche Akteure in unsicheren, sich stetig verändernden Marktumfeldern handlungsfähig zu machen. Kalkulativ rationalisierende Praktiken der Vorhersage von Marktentwicklungen sind zwar notwendig, aber selten hinreichend, um Entscheidungen zu treffen. Vorstellungen davon, wie die Welt morgen aussehen könnte, schließen – neben anderen sozialen Mechanismen – diese Lücke: Produzenten wie Konsumenten machen sie die Zukunft verfügbar und helfen, neue Bedürfnisse zu entwickeln, ohne die kapitalistisches Wachstum unmöglich wäre.1
Nicht erst seit dem Cybertruck, sondern seit Anbeginn seiner Firmengeschichte trägt dieser Mechanismus Tesla mit. Die Erfolgsgeschichte des Autoherstellers ist unwahrscheinlich, denn das Unternehmen bewegt sich in einem konservativen Markt. Autos sind die größte und damit sorgfältig abgewogene Konsumausgabe vieler Haushalte. Nicht nur die automobile Technik selbst, sondern auch ihr Gebrauch wird gesetzlich streng reguliert – mit dem Ziel, Unfallrisiken zu senken. Hohe Ansprüche aller Seiten machen die Entwicklung kompliziert und teuer. Die etablierte Autoindustrie westlicher Länder hat deswegen lange an einer Technik festgehalten: dem Verbrenner.