Heft 869, Oktober 2021

Lesen (Proust-Bots)

von Elias Kreuzmair

@ProustBot, 27. März 2020, 20:00 Uhr: »Autrefois, j’ai planté des salades de bonne heure«, einst habe ich frühmorgens Salat gepflanzt. @ProustBot, 28. Juni 2020, 14:57 Uhr: »Toute mon enfance, j’ai fait du poney trop tard«, während meiner ganzen Kindheit bin ich zu spät auf dem Pony geritten. Seit Mai 2016 veröffentlicht der @ProustBot ungefähr alle sechs Stunden auf Twitter eine neue Variante des ersten Satzes von Marcel Prousts Roman A la recherche du temps perdu (1913–1927). Er hat bisher 7408 Tweets publiziert (Stand: 28. Juni 2021), sich dabei allerdings einige Male wiederholt.

Ganz ähnlich funktioniert der Bot @LongtempsP, der seit August 2020 616 Tweets publiziert hat. Auch er findet immer neue Variationen des Anfangssatzes der Recherche, behält aber im Gegensatz zum @ProustBot die Temporaladverbien »longtemps« am Anfang des Satzes und »de bonne heure« am Ende bei: »Longtemps je me suis aménagé de bonne heure«, lange Zeit habe ich mich früh eingerichtet (17. Dezember 2020, 19:34 Uhr). Oder: »Longtemps, je me suis excavé de bonne heure« (21. Oktober 2020, 20:33 Uhr), lange Zeit habe ich mich früh ausgegraben.

Diese Beispiele sind schon zwei der wirklichkeitsnäheren Sätze, die @LongtempsP produziert hat. Die meisten Verben, die der Bot einsetzt, wollen nicht so recht in das Schema des Satzes passen, für das eigentlich nur reflexive Verben geeignet sind. Dafür finden sich sehr ausgefallene Wörter in den Posts: etwa »rimailler«, das mit »schlechte Reime schmieden« zu übersetzen ist, oder »hydrofinir«, das den chemischen Prozess der hydrierenden Raffinierung beschreibt, wie sie in der Herstellung von Schmierstoffen zum Einsatz kommt.

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