Linkskonservativer Populismus
von Thorsten HolzhauserDie sogenannte Hufeisentheorie hat nicht nur in linken Kreisen einen schweren Stand, erscheint doch die Vorstellung, dass die Ränder des politischen Spektrums fast naturgemäß zusammenpassen, ebenso naiv wie unterkomplex. Nach den Diskussionen um Sahra Wagenknecht, die sich nicht allzu sehr daran zu stören scheint, dass sie mit ihren Friedensaufrufen und Demonstrationen auch völkische Kreise anzieht – und von rechten Zeitschriften zur Kanzlerkandidatin ausgerufen wird –, fragen sich aber sogar manche Linke mittlerweile, ob an der These zumindest in diesem Fall nicht ausnahmsweise doch etwas dran sein könnte. Entsteht da womöglich eine neue Querfront?
Nun ist weithin bekannt, dass es in der deutschen Linken und ihrem Umfeld eine lange Verbundenheit mit Russland und eine Reihe antiwestlicher Ressentiments gibt. Immer deutlicher wird aber, dass hinter Wagenknechts Bewegung ein politisches Programm steht, das über das Thema Krieg und Frieden hinausgeht – und Wagenknechts (Noch)Partei in zwei ideologische Großgruppen spaltet: Linksprogressive und Linkskonservative, wie sich die beiden Fraktionen inzwischen selbst nennen. Die beiden Eigenbezeichnungen sagen viel: Dass sich Linke selbst dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet fühlen, sollte nicht eigens betont werden müssen. Was aber hat es mit dem eigenartigen Adjektiv »linkskonservativ« auf sich, auf das sich Sahra Wagenknecht selbst beruft?
Liest man Wagenknecht oder hört sie reden, sei es auf Kundgebungen oder im Fernsehstudio, dann zeigen sich recht klare Konturen: Ihr Linkskonservatismus verknüpft populistische Polarisierungen mit nationalen Tönen und antiliberalen Positionen bei Einwanderung und Asyl, Antidiskriminierung und Identität, Klima und Umwelt. Er steht damit tatsächlich jenseits geltender Parteitagsbeschlüsse und ist doch nicht so neu, wie die kreative Wortschöpfung vermuten lässt. Stattdessen hat der linkskonservative Populismus eine lange und bewegte Geschichte, die über die Person Wagenknecht hinausreicht. Von Teilen der Linken schon früher kritisiert, war er lange Zeit ein Erfolgsrezept – und dürfte trotzdem keine Zukunft haben.
Protest gegen »den Westen«
Will man die historischen Wurzeln des linkskonservativen Populismus in Deutschland ergründen, dann könnte man auf die autoritären Traditionen der SED genauso zurückgehen wie auf den Populismus historischer Bürger- und Protestbewegungen in beiden Teilen Deutschlands. Wirklich zusammen fanden linker Konservatismus und linker Populismus aber erst in den frühen 1990er Jahren, als die Nachfolgerin der SED um ihr politisches Überleben kämpfte. Die »Partei des demokratischen Sozialismus« stand nach dem Ende der DDR und der deutschen Vereinigung vor einem Trümmerfeld. Um sich in der neuen Demokratie einen neuen politischen Daseinszweck zu schaffen, entwickelte die damalige Parteiführung um Gregor Gysi und seinen »Chefstrategen« André Brie ein Konzept, das im Kern auf zwei Großgruppen abzielte. Zum einen wollten sich Gysi und Brie bewusst von der SED absetzen und ihre Partei als Sprecherin nicht der autoritären, sondern der progressiven Linken in ganz Deutschland positionieren. Wer »systemkritisch« dachte und den gesellschaftlichen Fortschritt auf allen Politikfeldern wollte, sollte in der PDS einen Platz finden. Dazu wurden ausdrücklich auch all jene neuen, jungen, alternativen Linken in den Großstädten Westdeutschlands gezählt, die traditionell zur SPD oder den Grünen neigten. Zwar war sich die PDS-Führung bewusst, dass sich diese jungen Menschen von der politischen Kultur der SED maximal unterschieden. Sie galten aber als Zukunft der Partei, weshalb sich auch die PDS neu erfinden sollte: »neu, modern, demokratisch, ökologisch, kulturvoll«, wie das André Brie damals ausdrückte.
Dass das allein nicht zum Überleben reichen würde, wussten auch die PDS-Strategen. Daher setzten sie zugleich auf eine zweite Großgruppe, die zwar im Schnitt viel konservativer eingestellt war, als es das neue Parteiprogramm vorsah, die aber politisch heimatlos und auf der Suche nach einer politischen Vertretung war: die vielen »Einheitsverlierer« und Enttäuschten, vor allem in Ostdeutschland, »bei denen die Wertschätzung für positive Ergebnisse der DDR-Entwicklung (vor allen Dingen der Wunsch nach sozialer Sicherheit) wiedererstanden ist«, so Brie. Diese Wählergruppen vereinte nicht etwa ihre soziale Stellung als Arbeiterinnen und Arbeiter, und auch nicht ihr Bekenntnis zu den progressiven Traditionen der politischen Linken, sondern vielmehr ihre Position im und zum ostdeutschen Transformationsprozess: Es ging um die Zurückgewiesenen und DDR-Nostalgischen, um die Arbeitslosen und Bedrohten – kurz um die Kritikerinnen und Verlierer des gesellschaftlichen Wandels.
Um diese Bevölkerungskreise anzusprechen, entwickelte die damalige PDS eine ausgesprochene Proteststrategie, die über die klassischen Grenzen linker Politik hinausreichen sollte. In Parlamentsreden und Wahlwerbespots, vor allem aber auf den Straßen und Plätzen Ostdeutschlands warf sie den Parteien aus dem Westen und den westdeutschen Konzernen, die sich im Osten einkauften, eine mutwillige »Zerstörungsstrategie« vor. Der Osten solle »kolonisiert«, seinen Bürgerinnen und Bürgern die sozialistische Heimat und ihre ostdeutsche Identität genommen werden – »und damit die Voraussetzung für eine selbstbewusste Vertretung ihrer Interessen«, wie die PDS in ihrem Parteiprogramm schrieb. Nur die Ost-Linke könne diesen Kolonisierungsversuch abwehren: »Keine Verwestlichung des Ostens«, lautete die Botschaft.
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