Lob der Naivität
Über Generationen im Goethe-Institut von Berthold FrankeÜber Generationen im Goethe-Institut
In der Geschichte deutscher Kulturinstitutionen ist das Goethe-Institut mehr als nur ein interessanter Nebenpfad. Durch seine Rolle als Parallel- und Komplementärakteur der zunächst west- dann gesamtdeutschen Kulturpolitik bietet es vielmehr eine Perspektive, die die Kulturgeschichte der Republik als Ganze erhellen kann. Ein Blick auf das Personal des seit über siebzig Jahren bestehenden Instituts kann dabei nicht nur Auskunft geben über zentrale Motive und historische Konstellationen der Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik, er verrät zugleich etwas über das Selbstverständnis und die komplexe Selbstfindung einer »Kulturnation« mit besonderer Geschichte.
Die Mitarbeiterschaft des Goethe-Instituts besteht, ähnlich wie diejenige in den Auslandsvertretungen, grundsätzlich aus den deutschen, von der Zentrale entsandten Führungskräften und den lokalen Beschäftigten, die an den jeweiligen Standorten rekrutiert werden. Was dort geschieht, beruht auf einer die lokalen Kenntnisse und die zentralen Konzepte verbindenden Kooperation, die in ihrer Vor-Ort-Kompetenz noch einmal durch die obligatorische Zusammenarbeit mit Partnern aus den jeweiligen Szenen und Öffentlichkeiten gestärkt werden soll.
Das deutsche Personal (Einstellungsvoraussetzung deutsche Staatsangehörigkeit, tarifrechtliche Eingruppierung als Angestellte im »Höheren Dienst«) des Anfang der fünfziger Jahre neu gegründeten Goethe-Instituts e.V. ist historisch geprägt von zwei Stämmen. Den in der Anfangszeit primär als Sprachlehrinstitute tätigen Häusern im Inland entstammten die ausbildungsmäßig oft dem Lehrermilieu zugehörenden Sprachdozenten, während der zweite Stamm, eine damals sehr männliche Truppe von Instituts-, Referats- und Abteilungsleitern sowie »Regionalbeauftragten«, eine eher bunte Herkunft aufwies: viel Geisteswissenschaft und Philologie, aber auch Juristen, Historiker und andere.
Deren Herrschaft in der Institution legitimierte sich, scheinbar ganz selbstverständlich, aus ihrer traditionell mit der Institutsleiterstelle im Ausland verbundenen Kompetenz für die »Programmarbeit«, jene Königsdisziplin des Goethe-Instituts, die den Ruf des Hauses und entsprechend die Karrieren der Inhaber dieser Stellen begründete. Damit war die interne Rangordnung der Laufbahnen klar: Der beste Ruf, den man sich institutsintern erwerben konnte, war der eines »guten Programm-Manns«. Der hatte zwar oft als Institutsvize und Leiter der Sprachabteilung im Bereich Deutsch als Fremdsprache mit Unterrichtsorganisation und Deutschlehrerfortbildung begonnen, dann aber tunlichst über die Münchner Zentralverwaltung oder die nächste Auslandsversetzung höhere Weihen angestrebt und sich dort »im Programm« Lorbeeren verdient, während die eher weibliche Sprachlaufbahn in der Regel Positionen in der zweiten Reihe versprach, von wo sich kaum je Wege an die Spitze eröffneten.
Das ist lange her und änderte sich zügig seit etwa der Jahrtausendwende, als der lange Marsch der Frauen durch die Institution erste Erfolge zu zeigen begann. Im Rückblick erscheint einem nicht nur der Anachronismus des damaligen, nicht selten in der Pascha-Tonart gepflegten Diskurses auffällig. Den gab es ja überall, nicht nur im internationalen Kulturinstitut der Bundesrepublik. Eindrucksvoll ist vor allem das sagenhafte Selbstbewusstsein dieser Riege älterer Herren der ersten Generation des Hauses, das sicher nicht allein auf patriarchalischen Überschwang zurückführen sein dürfte, sondern sich in sehr vielen Fällen zugleich aus realen Erfolgserlebnissen speiste.
Kulturkartell?
In der frühen, heroischen Nachkriegsphase der westdeutschen Auswärtigen Kulturpolitik war nämlich nicht nur deren institutioneller Rahmen geschaffen worden. Die unter der Ägide des Außenministers Willy Brandt von seinem Staatssekretär Ralf Dahrendorf Ende der sechziger Jahre als »Dritte Säule« der Außenpolitik ausgerufene neue Auswärtige Kulturpolitik, wie sie im wegweisenden Rahmenvertrag zwischen dem Außenministerium und dem Münchner Goethe-Institut e.V. institutionell festgeschrieben wurde, eröffnete den Auslandsinstituten Aktionsräume, in denen sie einen beträchtlichen Beitrag zur erfolgreichen Bewältigung der beiden großen Aufgaben der westdeutschen Nachkriegskultur leisten konnten. Die erste galt der Rückgewinnung des Rufs der deutschen Kulturnation, wobei das Goethe-Institut quasi als internationaler Arm eines umfassenden Erneuerungsprojekts in Absetzung vom zuhause noch lange gepflegten Traditionskanon höchst erfolgreich eine neue, demokratisch-zivile Kultur von Grass bis Beuys im Ausland vermittelte. Die zweite war der Beitrag zum Triumph in der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges.
Entsprechend stolz hörten sich die Heldengeschichten an, es waren Storys aus der »Programmarbeit«. »Geist gegen Macht« hieß die Kampflinie jenes »Indianerspiels«, wie es Hans Magnus Enzensberger einmal nannte, zwischen Kulturmittlern und offizieller Diplomatie, um die sich von ihren Protagonisten lustvoll gesponnene Legenden rankten. Da war man natürlich immer auf der richtigen Seite gewesen, stand fest zu »Dialog« und »Partnerprinzip«, den mantraartig betonten Grundsätzen einer sensiblen internationalen Kulturarbeit, die, das war die subkutane Botschaft, um vieles glaubwürdiger und erfolgreicher sei als die Showcase- und Belehrungsformate der (zum Beispiel französischen) Konkurrenz. Da war viel Eitelkeit im Spiel und manche vorschnelle Selbstgewissheit, denn keineswegs erwies sich die Vor-Ort-Praxis der Institute immer als so filigran und dialogisch feinfühlig wie vorgegeben.
Dennoch war die Programmarbeit der Goethe-Institute geradezu verurteilt zu einer selbstkritisch abwägenden, generösen und lernenden Grundhaltung, ohne die die Hauptwährung eines jeglichen Kulturaustauschs, nämlich Glaubwürdigkeit, nicht wiederzugewinnen gewesen wäre. Man kann es also getrost zu den von Habermas einmal so genannten »Vorteilen der besiegten Nation« zählen, dass dem Goethe-Institut in dieser Phase die traditionellen Hochglanz- und Präsentationsformate auswärtiger Kulturpropaganda schlicht und einfach nicht zu Gebote standen und die langen und tiefen Nachwirkungen eines in der Katastrophe verlorenen Kulturstolzes schließlich methoden- und traditionsbildend wurden.
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