Manche Verschwörungen gibt es wirklich – Schwierige Gespräche nach der Präsidentschaftswahl in den USA
von William Collins DonahueNoch bevor die Präsidentschaftswahl entschieden war, wurden wir in den Vereinigten Staaten von Ratschlägen zum Umgang mit der extremen politischen Spaltung unseres Landes geradezu überschwemmt. Nachdem der Sieg von Joe Biden und Kamala Harris über Trump deutlich knapper ausgefallen ist, als nach den Umfragen zunächst zu erwarten gewesen war, ist guter Rat in dieser Sache teurer als je zuvor. Trump konnte mehr als 73 Millionen Stimmen für sich verbuchen: Es haben also 47 Prozent der Wähler für ihn gestimmt, wobei die höchste Wahlbeteiligung der amerikanischen Geschichte gemessen wurde. Ja, Trump ist abgestraft worden, eine zweite Amtszeit wurde ihm klar verweigert, und doch war die Ablehnung alles andere als einmütig. Er wird die Bühne verlassen, seine Anhänger hingegen werden das nicht tun. Wir leben, wir arbeiten zusammen mit ihnen, sie sind Kollegen, Nachbarn, Freunde – häufig genug auch Teil unserer Familien. Wie sollen wir mit ihnen umgehen?
Der Comedian Hasan Minhaj hat kürzlich den Schlussteil seiner Show darauf verwendet, seinen (mutmaßlich) jüngeren Zuschauern zu erklären, wie sich eine Diskussion mit (mutmaßlich deutlich konservativeren) Eltern gedeihlich führen lässt. Nicht gleich in den Angriffsmodus schalten, lautete seine Warnung; lasst sie vor allem erst mal wissen, dass ihr sie gernhabt. Deepak Chopra, die Inkarnation des modernen Wellness-Gurus, bietet ein Neun-Punkte-Programm für das friedliche Thematisieren von Meinungsverschiedenheiten an. Der Journalist Charlie Warzel hat in seiner Kolumne in der New York Times ein sechsstufiges Modell für eine angemessene Auseinandersetzung mit rechten Verschwörungstheoretikern vorgestellt. Die Botschaft lautet im Kern überall gleich: nicht herablassend erscheinen, nicht persönlich werden, nicht schimpfen, nicht belehren – und dabei stets wissen, wann man das Gespräch besser abbrechen sollte. Und das ist auch ganz sicher nicht per se verkehrt.
Man sollte allerdings meinen, dass diese kommunikativen Maximen für beide Seiten gleichermaßen gelten müssten. Tatsächlich jedoch richten sich solche Appelle stets nur an das liberale Lager, also an Menschen wie mich: Uns wird erklärt, wie wir mit den Trump-Unterstützern in unserem Freundeskreis, in unserer Familie umzugehen hätten. (Das geschieht mal mehr, mal weniger subtil. Chopra etwa formuliert seine Ratschläge bewusst unparteiisch. Sein erstes konkretes Beispiel ist dann allerdings die Begegnung mit einem Maskenverweigerer. Huch, wer könnte damit wohl gemeint sein?)
Ich kann nicht verhehlen, dass diese Einseitigkeit schmerzt. Ausgerechnet uns Liberalen, die wir Trumps Amerika geschlagene vier Jahre lang haben aushalten müssen, wird nun die Seelengröße abverlangt, uns geduldig in die Klagen unserer politischen Gegner zu vertiefen. Als hätten die nicht alle nur vorstellbaren Machtmittel zur Verfügung gehabt, ihre Position zur Geltung zu bringen: Präsident, Senat und mittlerweile auch noch eine solide Mehrheit von sechs Richtern im Supreme Court. Gibt es irgendein politisches Anliegen, über das in den Medien nicht schon längst lang und breit debattiert worden wäre? Mir fällt ehrlich gesagt keines ein.
Wenn diese zivile Form des Dialogs keine Einbahnstraße sein soll, dann frage ich mich, wo eigentlich die Sympathisanten der Rechten zu finden sind, die danach gieren, im Gegenzug mit uns Liberalen ins Gespräch zu kommen? Wo bleiben die gewichtigen Stimmen in den konservativen Medien, die ihr Publikum darauf einschwören, Respekt und Takt im Umgang mit Andersdenkenden zu pflegen? Ich bin für jeden Hinweis dankbar. Meiner Beobachtung nach werden Mahnrufe dieser Art bislang ausgesprochen asymmetrisch adressiert: Sie nehmen fast ausschließlich die Liberalen in die Pflicht, denen sie immer weitere Zuhörrunden abverlangen, bei denen sie sich selbst auf die Zunge zu beißen haben. Und damit arbeiten sie zu allem Überfluss stillschweigend auch noch dem Opfer-Narrativ der Rechten zu.
Über die Frage, wer zur Zielscheibe beißender Satire, ungeschminkter Kritik (und ja, auch von öffentlichem Spott) werden darf, entscheidet üblicherweise die soziale Stellung: Von hochrangigen, privilegierten Personen des öffentlichen Lebens, egal aus welchem Feld, wird erwartet, dass sie in einem solchen Fall gute Miene zum bösen Spiel machen. Trifft es hingegen Menschen, die keine gesellschaftlich herausragende Rolle spielen, aber auch keine nennenswerte Macht ausüben, wird die Sache heikel. Im Grunde ist ein derartiger Angriff praktisch tabu. Dieser Auffassung folgt auch unsere Rechtsprechung. Über öffentliche Figuren können wir weitgehend straflos herziehen; das Recht dazu ist durch den ersten Artikel unserer Verfassung solide gedeckt. Sich diese Freiheit jederzeit zu nehmen ist eine amerikanische Tradition – wenn auch eine, die zugegebenermaßen manchmal hässliche Züge annehmen kann.
Trump, und das gilt auch für seine mächtigen Verbündeten (Senatoren wie Mitch McConnell und Lindsey Graham, ja eigentlich das gesamte Führungspersonal der Republikaner, das ihn überhaupt möglich gemacht hat), dürfte nur schwerlich für sich in Anspruch nehmen können, er sei ein Underdog und genieße deshalb ein Recht auf besonderen Schutz vor Verunglimpfung. Er ist ein legitimes Ziel öffentlicher Kritik. Auch seine rituellen Selbstmitleidsperformances und die ständigen Tiraden, in denen er sich als Opfer stilisiert (der Medien, der Demokraten, des »deep state« etc.), ändern daran nichts.
Und doch bedrängen uns die guten Hirten der sanften Kommunikation, auf scharfe, offene Kritik an Trump und dessen Treiben vor seinen Unterstützern zu verzichten. Natürlich wäre es ein gutes Gefühl, ihnen mal so richtig die Meinung gegeigt zu haben, womöglich hätten wir damit sachlich auch gar nicht Unrecht. Unsere Gegner würde das jedoch nicht beeindrucken, geschweige denn von ihren Überzeugungen abbringen. Es ist fraglos lobenswert, was unsere lebensweisen Gesprächstherapeuten da von uns verlangen: Ja, wir sollten freundlich bleiben, duldsam und langmütig. Das alles sind biblische Tugenden. Aber wo in den Psalmen steht geschrieben, dass man naiv zu sein und gegen faschistisches Gedankengut nicht aufzubegehren habe?