Musikkolumne
Bewegen von Tobias JanzMusik und Sport sind verwandte Disziplinen, menschliche Aktivitäten, deren natürliche Affinität zueinander sich dort zeigt, wo sie sich in wechselseitiger Anziehungskraft begegnen. Vorerst einmalig wurden bei den Olympischen Sommerspielen in Paris Medaillen im Breaking vergeben. In sogenannten Battles traten B-Girls und B-Boys jeweils gegeneinander an, DJs und MCs verliehen den Wettkämpfen ein urbanes, jugendliches Flair – oder sollten dies zumindest tun. Das Setting mit Kampfrichtern, Fernsehübertragung und Live-Kommentar ließ insgesamt freilich keinen Zweifel daran, dass es um den Wettstreit zum Teil spektakulär akrobatischer Höchstleistungen ging.
Umso auffallender die Musikalität der Darbietungen. Worin bestand sie? Dass es sich um Tanz-Performances handelte, in denen es wie im Tanz generell um Korrespondenzen zwischen musikalischem Rhythmus und körperlicher Bewegung ging, erklärt noch nicht, was der Fernsehkommentar nachvollziehbar als außergewöhnliche Qualität der Performance etwa der Goldmedaillengewinnerin herausstellte. Bloße Synchronizität, die simple Kongruenz von Beat und Geste, musikalischem Tempo und körperlicher Aktion, war es nicht. Ami, so hieß es, nahm sich Zeit, in den Flow zu kommen, den Groove der Musik aufzunehmen, die in »Freezes« – eingefrorenen Körperbildern und Posen – kulminierenden improvisierten Sequenzen auf den Punkt richtig zu timen. Vor den Augen des Publikums – und der kaum schlechteren Gegnerin Nicka – entstand im Battle etwas qualitativ Neues, etwas, das in der vorproduzierten, vom DJ aufgelegten Musik allein noch nicht da war, das aber ohne die Musik, in einer reinen Turnübung, auch nicht spürbar gewesen wäre.
»Choreomusicology« nennt sich eine noch junge Forschungsrichtung, die sich für die Übergänge beziehungsweise für Untrennbarkeiten von Musik, Klang und Tanzbewegung interessiert, für das, was mehr als nur Musik und mehr als nur stummer Tanz ist. Ähnlich wäre das Phänomen zu bezeichnen, um das es hier geht: als Körpermusik, als sich audiovisuell vermittelnde Musikalität körperlicher Bewegung.
Sport, wie er hier praktiziert wird, ist einerseits nach Regeln ausgetragener Wettkampf, er partizipiert andererseits an einer Form der Bewegungskultur mit eigener Ästhetik und eigenem Bewegungsgedächtnis. Für die globale Bewegungskultur Breaking ist der olympische Sportwettkampf sicher nur ein (nicht unumstrittenes) Randphänomen. Die ins Extreme getriebene Aufmachung als Sport nimmt ihm aber keineswegs seine ästhetischen Qualitäten. Vielleicht zeigen sich die ihm eigenen, archaisch anmutenden Aspekte des Musikalischen sogar besonders deutlich unter den live mediatisierten Bedingungen des Sport-Events.
Terminologisch leitet sich »Breaking« vom »Break« ab, jenen Unterbrechungen des Ensemblespiels, die bereits im frühen Jazz improvisierten Instrumentalsoli Raum gaben. Ihnen entsprechen die ad hoc improvisierten Tanz-Soli zu den instrumentalen »Breaks« der Pop- und Disco-Musik der 1970er Jahre, aus denen sich dann von New York aus der Breakdance entwickelte. Die naheliegende Genealogie verweist auf subsaharische Traditionen von Musik und Tanz, die der Jazz beerbt. Mit Blick auf das agonale Moment ist es keineswegs falsch, selbst wenn der Schritt etwas bizarr erscheinen mag, auch an die virtuose Konzertmusik der europäischen Tradition zu denken, denen der hybride Jazz seinerseits einiges verdankt.
Der in der höfischen Kultur des 17. Jahrhunderts ausgebildete Wechsel von concerto und ripieno wurde zur formalen Grundlage aller größer besetzten Instrumentalmusik bis weit ins 20. Jahrhundert. Terminologisch fängt das »concertare«, der geläufigen Definition folgend, den musikalisch produktiven Spannungszustand zwischen Wettstreiten und Kooperieren ein, während »ripieno«, die kollektive Seite der Musik, italienisch schlicht Füllmaterial bedeutet. Konzertierende Passagen stellen, von Corelli bis Rachmaninow, bisweilen aberwitzige instrumentale Höchstleitungen aus, konservieren noch unter dem Paradigma der autonomen Musik aber auch das improvisatorische Moment des Ad hoc, das im Jazz dann gattungskonstitutiv wird.
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