Politiken der Arbeit
von Axel HonnethAxel Honneth geht es in seinem neuen Buch »Der arbeitende Souverän«, aus dem wir diesen Auszug abdrucken, um einen entscheidenden blinden Fleck der Demokratietheorie. Er fragt danach, wie die Bürgerin und der Bürger angesichts der Realitäten einer kapitalistisch organisierten Arbeitswelt, in der »Unterordnung, Unterbezahlung oder Überforderung« dominieren, überhaupt als souveräne Teilnehmer an der demokratischen Willensbildung vorgestellt werden können. Möglichen Antworten nähert sich Honneth auf drei Wegen, zunächst normativ, dann historisch, zuletzt politisch. Zum dritten, im engeren Sinn politischen Teil ist der hier vorabgedruckte Ausschnitt der Auftakt. Im weiteren werden dann Veränderungsoptionen jenseits beziehungsweise innerhalb des existierenden Arbeitsmarkts ausgelotet. Zunächst aber gilt es zu erklären, warum das bedingungslose Grundeinkommen aus demokratietheoretischer Sicht kein gangbarer Weg ist.
EK
Sollen wir die Arbeit heute nicht mehr zur vordersten Front der Kämpfe für eine bessere Zukunft machen? Es gibt ein schlagendes Argument dafür, dass es ein politischer Fehler wäre, wenn wir darauf verzichten wollten, die Arbeit zu einer strategischen Frage zu machen: die heutige und zukünftige Präsenz des Marktes und des grundsätzlichen Problems, das seine Herrschaft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufwirft.
Robert Castel
Es war André Gorz, der vor rund vierzig Jahren mit seinem Buch Abschied vom Proletariat die ersten Fundamente für das Projekt eines bedingungslosen Grundeinkommens gelegt hat. Damals plädierte er dafür, von der marxistischen Vorstellung einer sich durch die Erfahrungen im Arbeitsprozess automatisch revolutionierenden Arbeiterklasse endgültig Abschied zu nehmen und stattdessen nach Möglichkeiten einer Revitalisierung demokratischen Engagements jenseits der Erwerbstätigkeit zu suchen. Das Mittel, das ihm dafür geeignet schien, war das der Auszahlung eines regelmäßigen, an keinerlei Bedingungen geknüpften Mindesteinkommens an alle erwachsenen Gesellschaftsmitglieder, das hoch genug sein sollte, um frei von ökonomischen Sorgen nach je eigenem Gutdünken im öffentlichen Raum aktiv zu werden.
Zehn Jahre später hat er diese Vorstellung in einer umfassenden Gesellschaftstheorie noch einmal radikalisiert, indem er zu zeigen versuchte, dass die alte marxistische Parole einer »Befreiung in der Arbeit« aufgrund der technologischen Verselbständigung des industriellen Systems inzwischen jeglichen Sinn verloren habe und daher durch den Plan ersetzt werden müsse, die Erwerbstätigen mithilfe eines Bürgereinkommens »von der Arbeit« selbst zu befreien; erst dadurch würden sie wahrlich, so lautet nun Gorz’ Leitgedanke, zu einem kommunalen Leben in demokratischer Freiheit befähigt. Als Philippe Van Parijs dann wenige Jahre später diese Programmatik aufgreift, entkleidet er sie resolut aller deutlich sichtbaren Spuren des Werkes von Hannah Arendt, um aus den weniger spekulativen Resten dann die Grundannahmen einer sozioökonomischen Theorie des »bedingungslosen Grundeinkommens« zu gewinnen. In der Form eines solchen schlankeren, aber ethisch gut begründeten Ansatzes sind Van Parijs’ Schriften schließlich zu Gründungsdokumenten eines weltweiten Netzwerks geworden, das bis heute die Plattform aller Aktivistinnen und Aktivisten bildet, die für eine politische Demokratie ohne Bindung an die Sphäre der gesellschaftlichen Arbeit streiten.
Bei den Bedenken, die ich im Folgenden gegen dieses politische Programm vorbringen werde, konzentriere ich mich ausschließlich auf dessen sozialtheoretischen Kern und werde dementsprechend die Seite der wirtschaftstheoretischen Überlegungen zur Quelle und zur Höhe des Mindesteinkommens außer Acht lassen; daher werde ich mich hier auch nicht weiter mit der häufig diskutierten Frage beschäftigen, ob der realistischerweise zu erwartende Umfang des monatlichen oder jährlichen Mindesteinkommens am Ende tatsächlich ausreichen würde, um wirksame Anreize zur aktiven Teilnahme am demokratischen Austausch in der Öffentlichkeit zu schaffen. Die Zweifel, die ich gegenüber dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens anmelden werde, sind unabhängig von der Frage nach der finanziellen Summe, die man je nach Standpunkt und Berechnungsgrundlage für die staatlichen Zuzahlungen zu veranschlagen bereit ist.
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