Heft 852, Mai 2020

Popkolumne

Appropriation und Begehren von Heide Volkening

Appropriation und Begehren

Kultur als Kostüm

Fragen kultureller Aneignung standen in den 2010er Jahren immer wieder auf der Tagesordnung öffentlicher Debatten um Pop. Wenn sich nun auch das der popkulturellen Politikreflexion eher unverdächtige US-Teenager-Magazin Seventeen diesem Thema widmet, zeigt sich deutlich, dass es im Mainstream angekommen ist. 11 Celebrities who have been accused of cultural appropriation titelt Carolyn Twersky und illustriert in einer Liste mit prominenten Beispielen, worum es geht. Sei es Ariana Grande mit ihrem Video zu 7 Rings, das Versatzstücke japanischer Kawai-Kultur in einem Hip-Hop-Szenario nutzt, seien es die zu braids geflochtenen Haare Kim Kardashians auf dem roten Teppich oder Katy Perrys cornrows in ihrem Video This Is How We Do – die Struktur der Appropriation besteht jeweils in der Übernahme kulturell codierter Details, die ihrem Ursprungskontext entrissen und wie eine Maske, als Kostümierung oder in stereotyper Imitation verwendet werden.

Im Pop-Kontext wird mit der Rede von kultureller Appropriation also ein Vorwurf formuliert. Er richtet sich gegen eine hegemoniale Aneignung kultureller Codes marginalisierter Gruppen, die sich in Form von Frisuren, Kleidung, Sprache, Gesten, musikalischen Stilen oder Tanzbewegungen vollzieht. Anders stand es um den Begriff der Appropriation lange Zeit in der Kunst, in der Appropriation Art war er sogar eine Parole linker Gegenkultur – »So appropriation actually meant theft, and it was a way of acknowledging that property is theft«.1 Gregg Bordowitz’ hier so bündig formulierte Erläuterung erinnert daran, dass Appropriation als künstlerische Strategie der Aneignung gegen herrschende Besitzverhältnisse eingesetzt wurde.

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen