Postkoloniale Altertumswissenschaft und Theorie als Alibi
Die Ägyptologie auf der Suche nach sich selbst von Florian EbelingDie Ägyptologie auf der Suche nach sich selbst
Afrofuturismus und die Suche nach einer postkolonialen Ägyptologie
Die Ägyptologie ist kaum zweihundert Jahre alt und befindet sich in einer eigentümlichen Spannung: Das öffentliche Interesse am antiken Ägypten ist groß, aber die Ergebnisse des Fachs erreichen die Öffentlichkeit kaum. Zudem wird das Selbstwertgefühl dieser hochspezialisierten Altertumswissenschaft seit geraumer Zeit durch Postkolonialismus und Methodendiskussionen in den Kulturwissenschaften herausgefordert. So war »The future of ancient Egypt« das Motto des alle vier Jahre stattfindenden International Congress of Egyptologists (ICE), der 2023 im niederländischen Leiden abgehalten wurde. Fast eintausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen, 369 Vorträge waren angekündigt. Im Einladungsschreiben ging es um die Frage, wie mit den kolonialen Ursprüngen des Fachs umgegangen werden kann und welche Konsequenzen für ein Fachverständnis gezogen werden müssen, das möglichst inklusiv und offen sein möchte.1 Die Veranstalter wollten den Worten Taten folgen lassen und machten Arabisch neben Englisch zur offiziellen Kongresssprache, ägyptische Ägyptologen kamen prominent zu Wort. Das klingt plausibel und führte doch zu einem Mexican stand-off von missglücktem Postkolonialismus, strukturellem Rassismus und latentem Essentialismus. Was war geschehen, und wie reagiert dieses Fach, das viel über seine Gegenstände nachdenkt, aber wenig über sich selbst?2
Im Vorfeld der Tagung gärte es: Das Rijksmuseum van Oudheden im niederländischen Leiden als Mitveranstalter des Kongresses eröffnete im April eine Sonderausstellung mit dem Titel »Kemet. Egypt in Hip-Hop, Jazz, Soul & Funk«. Es ging um Ägypten als Bezugspunkt für das Empowerment von Menschen,3 die sich als schwarz verstehen, deren Vorfahren eine lange Geschichte von Ausbeutung und Unterdrückung erfahren haben und denen über Jahrhunderte Geschichte abgesprochen wurde. Darunter Jazzmusiker wie Sun Ra oder Miles Davis, der Rapper Nas oder Rihanna, aber auch zahlreiche Unbekannte und Vergessene.