Heft 891, August 2023

Robopathen und Robopathinnen aller Länder …

Wenn die KI die Drehbücher schreibt von Pierre-Héli Monot

»Meist kommen da schwache Sachen.«

Begriffsvorschlag

Ro|bo|pa|thie, Subst., f. ⟨Pierre-Héli Monot, ©2023. Von cze robota, germ. arbaiþi-: Frondienst, Mühsal, Zwangsarbeit; altgr. páthos: Leid, Erlebnis⟩ 1. (psych.) Retrospektive, durch technologische Transformationsprozesse ausgelöste Infragestellung selbstattribuierter Individuationsmarker 2. (fig.) melancholische Disposition sozialer Akteure im Angesicht ihrer technologischen Modellierbarkeit 3. (pol.) nachträglicher u. autotelischer Alienationsbefund sozialdominanter u. kreativer Klassen (selten) 4. (rel.) Läuterungserfahrung der Halbindividuierten 5. (hist.-mat.) Späte Einsicht der Längstproletarisierten

Im Schatten mittelguter Absichten

Am 1. Mai 2023 verkündete die Gewerkschaft der Autoren der Film- und Fernsehindustrie der Vereinigten Staaten (Writers Guild of America, WGA) einen Streik auf unbestimmte Zeit. Man wolle erstens, angesichts des aktuellen Quasimonopols der Streaming-Dienste, sämtliche Verträge und Tantiemen neu verhandeln. Zweitens wolle man von Netflix, Amazon, Apple, Disney, NBC Universal, Sony und Paramount die Verpflichtung einfordern, auf den Gebrauch von Künstlicher Intelligenz beim Drehbuchschreiben weitestgehend zu verzichten. Zwar sei das Aufkommen der KI nicht mehr aufzuhalten, doch habe die Kontrolle über die Maschinen in den Händen der Autorinnen und Autoren zu verbleiben. Wie das genau funktionieren soll, ist denkbar unklar: Zumindest soll den Autorinnen selbst überlassen werden, wie und wann gedichtet wird beziehungsweise wie und wann man doch lieber den Chatbot einschaltet.

Bezüglich der ersten Forderung konnten die Studios gerade deswegen Wohlwollen signalisieren, weil die zweite von vornherein aussichtslos war. Denn die KI ist heute schon fester Bestandteil zahlreicher Produktionsabläufe: Sie verrichtet das Grobe, generiert Namen für Nebenfiguren, skizziert Dialogfetzen, bringt Notizen in Form. Mit jedem Update der Chatbots wächst der Fußabdruck, den die KI in der Literatur der globalen Film- und Fernsehindustrie hinterlässt.

Auf die Absage der Studios reagierte die WGA schließlich mit einem ungünstigen grammatikalischen Fehler (»let it be know«) und einer zugleich gebieterischen und verwaschenen Zusatzklausel: »AI can’t write or rewrite literary material; can’t be used as source material.« Dies dürfte den Kampf um auktoriale Souveränität endgültig in das Reich der kulturellen Esoterik verlagern, zumal ausgerechnet diese Film- und Fernsehautoren diejenigen sind, die in den letzten vierzig Jahren zum windigsten Gebrauch von »Literatur« als korporatistischem Begriff genötigt wurden.

Hier handelt es sich schließlich um schreibende Menschen, die seit vier Jahrzehnten immer auch Müll produzieren müssen, der, technisch gesehen, aber durchweg in die geschützte Kategorie »Literatur« fällt: Serienmüll, Sitcom-Müll, sozialerotischen Bauer-sucht-Frau-Müll, Talkshow-Müll, patriarchalen Frauentauschmüll, Dr.-House-Müll, Julia-Roberts-Müll, Tilda-Swinton-Müll, Streaming-Müll … Tage vor dem aktuellen Streik wussten Führungskräfte folglich die einzig richtige Frage zu stellen, nämlich wie schnell KI denn eingesetzt werden könne, um bald vollständig auf streikende Literaten zu verzichten – »und sie meinen es ernst«.

WGA-Autoren verstehen sich nicht als Teil der »Bewusstseins-Industrie« (Enzensberger): Von einem dialektischen Verständnis von »emanzipatorischem« und »repressivem« Mediengebrauch ist in ihrem Forderungskatalog keine Spur. WGA-Autoren verstehen sich noch weniger als »Literaturproduzenten« (Benseler, Boehlich): Sie vertreten ein strikt korporatistisches Verständnis des Autorenstands, das ausdrücklich Schreibassistenten, Korrektoren, Layouter und Co-Produzenten ausschließt. Die WGA-Forderungen gelten ausschließlich für »Literaten« und fragen weder nach »Inhalten« noch nach »der Vermittlung literarischer Ergebnisse zur politischen Praxis« (Benseler).

Deswegen eine konkrete, nichtrhetorische Frage politischer Strategie: Unter welchen politischen und kulturellen Bedingungen kann ein sozialer Kampf im Namen solcher Produktionsprozesse, aber auch im Namen solcher »Literatur« in Zukunft überhaupt ernsthaft geführt werden?

Emile als Turing-Test

Technikgeschichtlich betrachtet wird die Automatisierung der Literaturproduktion nicht abfallmetaphorisch, sondern fäkalmetaphorisch aufbereitet. Das beginnt mit Jean-Jacques Rousseau und endet, nun für das Atomzeitalter variiert, mit Günther Anders.

Rousseau problematisierte als Erster das Verhältnis von Literatur, Automatisierung und Ständepolitik und sah die Literatur von konkurrierenden Nachahmungskünsten doppelt unter Druck gesetzt. Einerseits schien literarische Nachahmung von den mechanischen Automaten herausgefordert, die Jacques de Vaucanson in Paris vorführte – die berühmte »verdauende Ente«, die Körner schluckte und Kot produzierte – und die Rousseau an bedauernswerte »Arbeiter« erinnerte. Andererseits mussten literarische Figuren mit dem robotisierten Betragen jener guten Salongesellschaft rivalisieren, zu der Rousseau sich nur mühsam Zugang verschafft hatte: Dort gockelten nichts als »einige gut gemachte Maschinen, die fluchen, Champagner trinken und den Tag damit verbringen, anderen, ziemlich schönen Maschinen Lügen zu erzählen«. Als Erwiderung auf diese allseits aufkommende Maschinenwelt lieferte Rousseau mit Emile oder Über die Erziehung (1762) zugleich eine Literaturtheorie, eine Anthropologie und eine Technikphilosophie – und kein pädagogisches Traktat.

Im Zeitalter der Aufklärung buchstabieren die Automaten allerdings nicht das Problem der Künstlichen Intelligenz aus, sondern das Problem der künstlichen Autonomie. Der junge Emile, Rousseaus »imaginärer Schüler«, soll Freiheit, indépendance, liberté und libéralité erlangen. Als freier Mensch darf er weder der hochsozialisierten, von amour propre gesättigten, kreativ-kritischen Gesellschaft angehören noch der vollends entfremdeten Arbeiterklasse (hier noch ein Anachronismus). Zweitens aber kann Emile nur dann frei sein, wenn er seinen Lesern glaubhaft suggeriert, er habe sich von seinem Autor emanzipiert, dass er also, »was immer dieser auch dazu sagen möge«, Rousseaus nicht mehr bedarf: »Der Leser mag entscheiden, ob es mir gelungen ist, ihn zu verwirklichen.« Substantielle Attribute von Freiheit sind in der Literatur aufgehoben: Frei ist, wer als frei von der Leserschaft erkannt wird. Rousseaus Emile bietet, unter dem Deckmantel der liberalen Pädagogik, eine Frühform des Turing-Tests.