Heft 859, Dezember 2020

Rückruf aus den Neunzigern

von Niklas Weber

Es ist mir egal, aber

Tocotronic

Weißmanns Weg in den Abgrund

Göttingen im April 1997. Karlheinz Weißmann, promovierter Studienrat und »Shooting Star der neurechten Klientel«, schreibt das Vorwort zur Neuausgabe seiner Geschichte des Nationalsozialismus. Der Weg in den Abgrund ist noch vor Erscheinen als Skandal bezeichnet worden, die Herausgeber der Propyläen-Reihe haben sich aufs Schärfste von dem Band distanziert, die Kritiken waren verheerend, der Verlag hat das Buch zurückgezogen und Weißmann eine Abfindung gezahlt. Was für ein Desaster. Was für eine Gemeinheit! Nicht mit »übermäßigem Wohlwollen«, jedoch »einer gewissen Anerkennung« habe er rechnen dürfen, vertraut Weißmann seinen Lesern an. Doch Thomas Nipperdey habe leider Recht behalten, als er zu Beginn des Historikerstreits vor einer »Herrschaft des Verdachts« warnte – die bei Hegel, das habe Nipperdey vergessen zu erwähnen, die Voraussetzung für die »Herrschaft des Terrors« sei. Bereits geringfügige Abweichungen von der verordneten NS-Deutung würden mit Diskursausschluss bestraft. Niemand aus dem ach so liberalen Establishment habe sich zu seiner Verteidigung bereitgefunden. Habe er, Weißmann, sich etwa »grobe Schnitzer« geleistet? Nein, natürlich nicht. Die Schuld für Weißmanns Scheitern tragen ganz allein die anderen.

Als Weißmann seine Niederlage beklagte, war der Stern der Neuen Rechten schon im Verglühen begriffen. Seit der Wiedervereinigung stritt man in den Feuilletons über einige Bücher und Autoren, die sich teilweise als »Neue Demokratische Rechte« bezeichneten und die man als loses Netzwerk zu begreifen pflegte. Insbesondere die Aktivitäten von Rainer Zitelmann, als Ullstein-Lektor verantwortlich für Weißmanns Autorschaft, erregten großes Aufsehen. »Kippt die Republik?«, fragte der Politikwissenschaftler Wolfgang Gessenharter alarmiert, und ein paar Jahre lang ging es ziemlich hoch her, bis um die Jahrtausendwende Entwarnung gegeben werden konnte.

Für die Geschichtswissenschaft, aber auch für Zeitungen wie Welt und FAZ, für die er gelegentlich geschrieben hatte, wurde Weißmann nach dem Skandal zur Persona non grata, konstatiert Dominique Riwal in seiner konzisen Einführung in das Werk des »Gegen-Aufklärers«. Was war das Problem mit dem Buch? Am Inhalt lag es weniger, meint Riwal, vielmehr an der falschen Gesinnung des Verfassers. Dass Weißmann »rechts« war, war hinlänglich bekannt. Doch welche Rolle spielte die politische Einstellung für seine Darstellung des Nationalsozialismus? Keine, wenn man dem Autor glauben mag. In der Einleitung schloss sich Weißmann Martin Broszats Forderung nach einer »Historisierung« des Nationalsozialismus an, um endlich eine »nur nüchterne Analyse« vorzulegen, geleitet von »Sachlichkeit und Empathie« und frei von den üblichen »politisch-pädagogischen« Motiven der Volkserzieher.

Die Rezensenten aber nahmen ihm diese unpolitische Sachlichkeit nicht ab, aus guten Gründen. Denn schon 1992 hatte Weißmann mit Rückruf in die Geschichte ein geschichtspolitisches Manifest vorgelegt, das sich gegen die etablierte Erinnerungskultur wandte. Das »historische Selbstverständnis« der Deutschen dürfe man »nicht länger auf die ›zwölf Jahre‹ reduzieren«. Die Nation müsse sich »ihrer ganzen Geschichte stell[en], auch denjenigen Phasen, die Anlaß zu Stolz und Zufriedenheit geben«, wobei Weißmann insbesondere an Preußen und Bismarcks Kaiserreich dachte. Das Fundament einer selbstbewussten Nation sei ein normales, gesundes Verhältnis zur eigenen Geschichte. Die indoktrinierte Wahnidee eines deutschen Sonderwegs in die Katastrophe müsse aufgegeben, die Westbindung gelöst, die alte Rolle als Macht in der Mitte wieder eingenommen werden.

Die beiden Weltkriege müsse man in einem doppelten Kontext sehen: dem »Weltbürgerkrieg« (1789/1917 bis 1989) und dem »zweiten dreißigjährigen Krieg« (1914 bis 1945), die sich tragischerweise »überlagerten«. In der Konsequenz laufen diese Konzepte bei Weißmann auf eine Verharmlosung der deutschen Kriegs- und Vernichtungspolitik hinaus. Den deutschen Schuldanteil am Ersten Weltkrieg bestimmt Weißmann mit den Begriffen »Einkreisung« und »Zwangslage«. Das »Diktat« von Versailles, in seiner krassen Härte hauptverantwortlich für die »republikanische Misere« und für die Popularität der Nazis, machte als »Aufrechterhaltung des latenten Kriegszustandes« einen »Revanchekrieg« auf Dauer fast unvermeidlich. Zwar bleibt Hitler »historisch verantwortlich«, da er 1939 die Initiative ergriff und sich nicht mit den außenpolitischen Erfolgen der 1930er Jahre zufriedengab, womit »er als der Vollender der Nationalbewegung in die Geschichte eingegangen« wäre und heute (mit Joachim Fest) »als der größte deutsche Politiker des 20. Jahrhunderts gelten würde«. Früher oder später wäre der Weltkrieg aber ohnehin ausgebrochen, Roosevelt habe den Konflikt mit NS-Deutschland schon 1937 als »unausweichlich« angesehen. Im Ringen um die Macht auf dem Kontinent einerseits, um die ideologische Weltordnung andererseits war niemand zu Kompromissen bereit, ging es allen Seiten, nicht nur den Deutschen, um die erbarmungslose »Vernichtung« des zum »Verbrecher« diskriminierten Feinds. Der Glaube, Deutschland habe »für die erste Jahrhunderthälfte im Zentrum des Weltgeschehens gestanden«, gehöre »zu den Schizophrenien der Nachkriegszeit«.

Im Vergleich mit dem Rückruf ist der Weg in den Abgrund ziemlich harmlos geraten. »Wer nun erwartete, das Propyläen-Buch strotze nur so von Geschichtsrevisionismus oder rede den Auschwitz-Leugnern das Wort, sah sich getäuscht«, schrieb Götz Aly. Da man keine Fehler oder Lügen gefunden habe, »verfiel man darauf, Seitenzahlen, die bestimmten Themen gewidmet oder nicht gewidmet worden waren, auszuzählen, mokierte sich über den Ton, in dem Teile der Darstellung gehalten oder nicht gehalten waren oder stellte den Autor unter Verdacht, er spreche nur vorsichtshalber nicht alle bösen Gedanken aus, die er eigentlich habe«, beschwerte sich Weißmann. Das ist in der Tendenz durchaus richtig beobachtet. Fragen nach Gewichtungen, Auslassungen und Perspektivierung dominierten die Kritik. »Das zutiefst Fragwürdige des Bandes besteht […] weniger in dem, was der Autor schreibt, als in dem, was er nicht beschreibt« (B. Wegner). Die meisten Verrisse waren knüppelhart, manchmal auch ein wenig unfair, wenn dem »Studienrat« mit professoraler Arroganz intellektuelle Überforderung oder mangelnder Fleiß vorgehalten wurden. Dabei wurde eine beträchtliche »Sammlung vieler kleiner Revisionismen« (T. Maissen) zusammengetragen, von denen zwei Beispiele genannt werden sollen.

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