Heft 898, März 2024

Star-Container Taylor Swift

von Klaus Walter

Wenn Pop noch immer ein Medium der Vergemeinschaftung ist, welche Art der Vergemeinschaftung findet dann rund um den größten Popstar der Gegenwart statt? Diese Frage beschäftigt nicht zuletzt akademische Betriebe rund um den Globus.

Die Universität Gent bietet einen Literaturkurs zu den Songtexten von Taylor Swift an, um zu klären, ob die Sängerin ein »literarisches Genie« ist. In Melbourne wird bei einem »Swiftposium« an der Uni erforscht, wie TS Wirtschaft, Gesellschaft und Literatur beeinflusst. Prompt publiziert die bis dato weder als pop- noch als adorno-affin aufgefallene Tageszeitung Die Welt ihre »Bewerbung fürs akademische Swiftposium« und fragt: »Lässt sich die Kulturindustriekritik der Frankfurter Schule auf Taylor Swift übertragen?«

Holger Schulze, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Kopenhagen (und Ex-Merkur-Sound-Studies-Kolumnist), teilt auf Anfrage bei Facebook mit: »Aus meiner skandinavischen & deutlich vom US-Diskurs informierten Perspektive täte ich sagen: wer über Popmusik der Gegenwart sprechen will, kommt um Swift ebenso wenig herum wie um Beyoncé oder Bad Bunny.«

In seinem »Weekend Essay« geht der New Yorker der Frage nach, wie es ist, Taylor Swift im Gefängnis zu hören. »Ihre Musik gibt mir das Gefühl, dass ich immer noch Teil der Welt bin, die ich zurückgelassen habe«, gesteht der Autor Joe Garcia. Im Wirtschaftsteil der Frankfurter Rundschau wird spekuliert, ob Taylor Swift den Nobelpreis bekommen könnte. Nicht für Popmusik, nein, für Wirtschaftswissenschaften. Zwar sei die Sängerin noch nicht durch einschlägige Theorien aufgefallen, »ihr Effekt auf die US-Volkswirtschaft ist aber unbestreitbar«. Ein paar Tage später erklärt dieselbe FR im Sportteil, »warum das Techtelmechtel zwischen Taylor Swift und Travis Kelce ein PR-Segen ist für die American Football Liga NFL« (Spoiler: Geld, Aufmerksamkeitsökonomie).

Ins oberste Regal greift Grimes. Mitte Oktober 2023 lässt die kanadische Sängerin wissen, dass einzig ihre Kollegin Taylor Swift die Gespaltenen Staaten von Amerika wieder vereinigen könnte – als Präsidentin. Überhaupt könne nur TS Donald Trump schlagen. So geht das Tag für Tag, Stunde um Stunde, Rekorde über Rekorde: neue Swiftonomics-Effekte, neue Swiftmania-Sensationen.

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen