Trumps Wiederkehr
Der Sieg der Enthemmung von Fintan O’TooleDer Sieg der Enthemmung
Alle kennen den Satz von Karl Marx: »Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.« Donald Trumps vernichtender Sieg über Kamala Harris macht ihn zweifellos zu einer weltgeschichtlichen Person, die für sehr lange Zeit überall ihre Spuren hinterlassen wird. Aber seine Wiederkehr ist keine Farce. Sie ist eine brutale Machtdemonstration.
Am Ende war das Drama, das diese bedeutende Epoche am besten verkörpert, doch das Schattentheater von Tod und Auferstehung, das sich am 13. Juli 2024 in Butler, Pennsylvania zutrug. Trump wurde vom Fragment einer Kugel getroffen, die Thomas Matthew Crooks abgefeuert hatte. Er stürzte zu Boden, dann erhob er sich wieder, Faust in die Höhe gereckt, triumphal und dem Attentat zum Trotz sehr lebendig. In diesem Moment, erleuchtet vom Schein des Heroismus, steckt die ganze Geschichte der Ereignisse seit Trumps scheinbarem politischen Tod am 6. Januar 2021: Was ihn nicht umbringt, macht ihn nur stärker.
Dieses Muster war in den vergangenen Jahren auch andernorts zu beobachten: Der starke Mann wird gewählt, wird wieder aus dem Amt befördert und erlebt eine triumphale Rückkehr. Das ist mit einem von Trumps politischen Vorbildern so passiert, dem Ungarn Viktor Orbán. Dasselbe gelang Jarosław Kaczyński in Polen, Robert Fico in der Slowakei und Benjamin Netanyahu in Israel. Und es kehrt dabei nicht einfach der starke Mann von vorher zurück – es ist eine Rückkehr als radikalerer autoritärer Führer. Er kommt zurück mit von der eigenen Straflosigkeit geschwellter Brust. Der Mann, den sie nicht umbringen konnten, ist auch der Mann, den sie an nichts hindern können.
»Enthemmung« ist ein Wort, das in jüngerer Zeit aus dem Psychologie-Vokabular in das der amerikanischen Politik gewandert ist. Es beschreibt einen Zustand, in dem Menschen zusehends unfähig werden, den Ausdruck ihrer Impulse und Triebe zu regulieren. Es trifft sehr genau Trumps immer surrealere, hämischere und grellere Rhetorik. Jetzt wird man es allerdings auch auf die Institutionen der amerikanischen Regierung anwenden müssen: Mit Verbündeten beim Supreme Court und der Kontrolle über den Senat und auch den Kongress wird es niemanden geben, der Trumps Triebe einhegen kann.
Und vielleicht gilt das auch für die amerikanische Gesellschaft als Ganze; es handelt sich um eine enthemmte Wählerschaft. Sie hat keine Angst mehr vor ihren eigenen schlimmsten Impulsen. Bislang konnte man sich ein wenig damit trösten, dass Trump weder 2016 noch 2020 den popular vote gewonnen hat. Und damit, dass nicht einmal während seiner Zeit im Weißen Haus eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner einverstanden war mit dem Job, den er machte. (Damit war er ein Unikum, seit es Umfragen gibt.) Man durfte mit einem gewissen Recht sagen, dass er Amerika nicht wirklich verkörperte.
Nun aber tut er es. Das Ausmaß seines Siegs macht die Annahme kaum abweisbar, dass neben dem sehr großen Kern seiner Wähler, die von seinem Frauen- und Ausländerhass, von seinem ständigen Mobbing, seiner Lügenhaftigkeit begeistert sind, noch eine große Anzahl derjenigen existiert, die zumindest nicht abgestoßen sind von der immer extremeren Enthemmtheit bei seinen sadistischen Vergnügungen. Sie wissen, mit wem sie es zu tun haben, und es kümmert sie wenig.
Es ist nicht leicht für die Demokratische Partei (und für Demokraten im Rest der Welt), das zu erfassen. Sowohl innerhalb wie außerhalb der Vereinigten Staaten sind Liberale und Progressive immer davon ausgegangen, dass, auch wenn die Regierung manchmal furchtbare Dinge tut, die Amerikaner als solche im Grunde anständig und gutartig sind. So sah das auch die Kampagne von Kamala Harris, mit ihrer Botschaft von Freude und Hoffnung und ihrer (erschreckend fruchtlosen) Jagd nach einem Reservoir von Republikanern, die zu gute Manieren haben, um Trump zu wählen.
Im Nachhinein erweist sich, was am 14. September in Superior, Wisconsin geschah, als einer der bezeichnendsten Momente des Wahlkampfs. Gegen Ende einer mitreißenden Rede erklärte Harris’ Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz seinem Publikum: »Ich werde bis in mein Grab nicht begreifen, warum das so ist, aber ich weiß ganz sicher, dass dies ein enorm knappes Rennen wird.« Der zweite Teil des Satzes war völlig erwartbar, aber im ersten Teil hat Walz mit Sicherheit mehr verraten, als er wollte. Er brachte ein Unverständnis zum Ausdruck, das weit über seine persönliche Verblüffung hinausging. Über seinen Worten hing die Drohung, dass die amerikanische Republik selbst zu Grabe getragen werden könnte, während ihre Verteidiger noch immer keine Ahnung haben, warum.
Die Wahl war unter anderem deshalb so seltsam, weil es für alle ein Blindflug war. Die Instrumente, mit denen man sonst die Dunkelheit durchdringt – die Umfragen –, machten die große Wolke der Unwissenheit nur immer dichter. Sicher, oft genug irren sie, aber in der Regel entwerfen sie wenigstens eine Fata Morgana dessen, was am Horizont wartet. Wenn aber alle Ergebnisse sich innerhalb der Fehlermarge bewegen, verharren wir in jenem Schwellenbereich, wo – wie es William Butler Yeats in einer anderen Zeit verworrener Ängste formulierte – »kein Faktum sich eindeutig zeigt«.
Bei der Wahl ging es am Ende aber um die Fehlertoleranz. Die Hälfte der US-Amerikaner scheint zu glauben, dass jeder weitere Fehler tödlich sein kann, die andere Hälfte zeigt sich gelassen. Die eine Seite fürchtet, dass Trump nach fast einem Jahrzehnt, in dem er die Gesetze, Institutionen und das staatsbürgerliche Leben verbal und physisch attackiert hat, der Demokratie nun endgültig den Garaus machen wird. Harris’ Appelle waren an diese Wählerschaft adressiert.
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