Heft 919, Dezember 2025

Was waren Vibes?

von Elias Kreuzmair

Im Jahr 2005 stellt sich der College-Student Ezra Koenig auf seinem eben eingerichteten Weblog Internet Vibes so vor: »Hey EVERYBODY! Welcome to my homepage. My name is Ezra and I’m a 21 year-old college student. I grew up in Glen Ridge, NJ and went to Glen Ridge High School (the very high school of Tom Cruise!).« Und weiter: »The name of my homepage is ›Internet Vibes‹. Mostly this homepage will be about music vibes and Tom Cruise vibes.« Auch zur Interaktion wird aufgefordert, mit der Bitte, beim Thema zu bleiben: »Please leave comments in which you discuss the vibes. My goal is to categorize as many vibes as I can. My favorite kinds of music are rap and rock.«

Es ist eine andere Zeit des Internets: Weblogs lösen gerade persönliche Homepages ab, Koenigs Begrüßungstext ist formuliert, als würde er auf einer ebensolchen stehen; Social Media im heutigen Sinn entsteht erst, Myspace und Facebook wurden 2003 und 2004 gegründet. Man kann nicht mehr ermessen, wie irritiert die vermutlich eher geringe Leserschaft dieses Weblogs von der auffällig penetranten Wiederholung des Begriffs »Vibe« gewesen sein mag und wie erstrebenswert ihr die Kategorisierung so vieler Vibes wie möglich erschien. Immer wieder wird Koenigs Weblog als eine Art Urszene des gegenwärtigen Vibe-Revivals genannt. Das Wort hat seither eine noch beachtlichere Karriere durchlaufen als Koenig, der als Sänger der Indie-Band Vampire Weekend zu einiger Berühmtheit gelangte.

Der Begriff »Vibes« zählt zu den populären Kategorien der Gegenwart, seit den 2010er Jahren hat er sich in der Internet- und Popkultur ausgebreitet. Es entstanden Instagram-Accounts, die Fotos mit »neukollnvibes«, »90scelebvibes« oder einfach »old.vibes« sammeln, und auf Reddit wurde diskutiert, ob nicht alle Philosophie »just vibes« sei. Trendforscher diagnostizierten eine Folge von »vibe shifts«. Im Dezember 2024 veröffentlichte die New York Times einen Artikel mit der Überschrift »Can You Copright a Vibe?« Eine Influencerin hatte eine andere verklagt, weil sie jener unterstellte, ihren Vibe kopiert zu haben. Was waren Vibes? Die kurze Antwort lautet: ein neuer »Unschärfejoker«.

Koenig sammelte auf seinem Weblog Bilder, die jeweils für einen bestimmten Vibe stehen. Ausführlich diskutiert er auch seinen eigenen Vibe am Beispiel von Fotos aus verschiedenen Zeitabschnitten. Auffällig ist, dass es immer wieder um popkulturelle Formationen geht, die anhand visueller Artefakte analysiert werden: etwa der »Bearded, eighties, semi-crunchy«-Vibe von Jeff Daniels in dem Film The Squid and the Whale (2005) und Michael Gross in der Sitcom Family Ties (1982–89) oder der »Mod culture vibe« des Posters von Quadrophenia (1979), einer Rockoper der Band The Who. Es kann dabei aber auch um spezifischere Dinge gehen. So sammelt Koenig über mehrere Posts hinweg Fotos, die einen bestimmten, durch Blitzlicht ausgelösten Lichtreflex auf grauen New-Balance-Sneakern zeigen und diese, so Koenig, zu »ghost shoes« machen.

Die Idee von Koenigs »Internet vibes« nimmt vorweg, was mit dem zeitweise sehr populären Weblog-Anbieter Tumblr, gegründet im Jahr 2007, dann zum Prinzip geworden ist: aus Bildern, aber auch Texten, einen bestimmten Zusammenhang zu schaffen, der sich als spezifischer Vibe ästhetisch kategorisieren lässt. Die Konjunktur des Begriffs ist also mit Social Media und der Transformation des Netzes vom Text- zum Bildmedium verknüpft. Spätestens 2010, mit der Gründung von Instagram, hat sich dieses Prinzip ausgebreitet. Auch wenn man durch die angesprochenen Instagram-Accounts scrollt, stellt man fest, dass ihr Versprechen daraus besteht, einen Ort – Berlin-Neukölln – oder eine Zeit – die 1990er – durch die Summe der einzelnen Fotografien auf den Punkt zu bringen. In der Reihenbildung erzeugen die Accounts ein gegenläufiges Moment zum algorithmisch kuratierten Newsfeed. Der datengetriebenen Optimierung im Sinn der Geschäftsmodelle des Plattformkapitalismus wird eine affektive Logik der gefühlten Gemeinsamkeit entgegengestellt, deren Zirkulation jedoch wieder auf genau jenen Algorithmus angewiesen ist.

Manchmal sind es bestimmte, allgemein gebräuchliche Adjektive, die ästhetischen Objekten bestimmte Vibes zuordnen. Kyle Chayka, Redakteur des New Yorker für Social Media-Themen, hat »cringe« oder »cursed« als virale Vibes bestimmt. Bilder oder Videos werden mit diesen kurzen Wörtern gepostet, um sie einem bestimmten Vibe zuzuordnen. Eine andere Variante besteht darin, zwei Bilder zu kombinieren und mit dem Statement »same energy« zu veröffentlichen. Den Bildern wird auf diese Weise zugeschrieben, dieselbe emotionale Botschaft, denselben Vibe auszustrahlen.

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